in der triestersiedlung

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Grafik: taska

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Christine Teichmann ◄
Foto: Evelyn Schalk

Station 1: Nördlicher Muchitsch Hof

Triester Siedlung

Diese Straße entlang geht es nach Triest, Italien(1).Früher Jugoslawien(2) noch früher die Hafenstadt
der Monarchie(3) Triest.
Manche machen dort Urlaub.
An der Triester Straße kann man auch Urlaub machen
weil man in der Siedlung bleibt
weil man ohnehin kein Geld für was anderes hat
oder gerade auf Staatskosten Pause macht
in der Karlau
und wenn gar nichts mehr geht
dann legst dich halt am Friedhof
Wenn mit mir was ist, weißt eh, welche Blumen ich haben will.
Bunte, so wie im Beet vor der Apotheke
wo sie einmal die Gartenzwerge entführt haben
Alarm! Polizei!
In der Triester Siedlung muss die Polizei nicht zum Gemeindebaufest ausrücken
noch nie
obwohl es dort schon Alkohol gibt
und da auch einmal wer laut wird
I bin’s, der Rudi!
In der Triester Siedlung hat die Polizei Zeit, die Gartenzwerge zurück zu bringen
ins Beet vor der Apotheke
weil jedes Kind weiß, wo die hin gehören
Die Kinder, die in so vielen Sprachen alle das selbe sagen
die seit 90 Jahren zwischen den Wäschestangen Fangen spielen
wer abgeschlagen wird, der ist‘s
I bin’s, der Rudi!
Mitten am Asphalt stellen die Gartenzwerge sich an
sie wollen Mensch ärgere dich nicht spielen
die einen mit roten Mützen, die andern mit grünen
nur blau will keiner sein
die haben das Budget für das Stadtteil Zentrum gekürzt,
aber wir machen weiter.
Mensch, ärgern lassen wir uns nicht so leicht.
Natürlich gibt es Konflikte, und wenn deine Wohnung an allen Seiten an schwierige Nachbarn
grenzt, ist es nicht so einfach – aber Multikulti ist nicht das Problem
I bin’s, der Rudi!
Seit die 13 Feen vom Gemeindebau durch ein Facility Management ersetzt worden sind,
gibt‘s niemanden mehr, die alles weiß und die Glühbirnen im Stiegenhaus gleich wechselt, wenn
eine ausgebrannt ist, und die Elfi muss das selber machen.
Obwohl die Überwachung funktioniert schon noch, und jeder weiß, wo die Gartenzwerge hin
gehören
Nur an den Franzi denkt keiner mehr
Kannst dich erinnern, wie den die Feuerwehr aus dem 3. Stock durchs Fenster hat abseilen müssen?
Was ist denn mit dem?
Im November gestorben, im Februar erst beigesetzt
den haben‘s einfach im Kühlfach vergessen
so ist das, wenn‘s keine Familie mehr gibt
nur das Stadtteilzentrum
wenn die Elisabeth nicht nachgefragt hätte, vielleicht wär‘ der immer noch auf der Pathologie
Jetzt ist er wieder da
weil Urlaub machen kannst auch in der Triester Siedlung
und wenn gar nichts mehr geht
dann legst dich halt am Zentralfriedhof.

Foto: Evelyn Schalk

Station 2: Triester Straße 41/Parkplatz

Südtiroler Siedlung

Wenn man der Triester Straße folgt, kommt man irgendwann nach Italien, aber die Straße führt auch von Italien in die Triester Siedlung. Von Südtirol ist es kein direkter Weg. Und trotzdem sind da Häuser, die tragen einen Südtiroler Adler (Triester Straße Nr 77) oder einen Apfelbaum (Triester Straße Nr 69). Errichtet 1941, mitten im Krieg für die Aussiedler aus Südtirol. Später sind dann die Russen über die Triester Straße einmarschiert und haben jedes Haus durchsucht. Mädchen und Frauen wurden versteckt, weil man Angst vor den Befreiern hatte. Ein schwieriges Kapitel, wie alles, kaum dass man die Geschichte rund um den Nationalsozialismus berührt. Wer sind die Opfer? Wahrheiten gibt es immer so viele wie Betrachter und das, was im Nachhinein wahr ist, stellt sich oft anders da, wenn du mitten in der Zeitgeschichte steckst.

Aber kurbeln wir die Zeit zurück, bis ins Jahr 1939, Hitler hat mit Mussolini einen Pakt geschlossen, der Brenner ist endgültig Grenze zwischen dem faschistischen Italien und dem faschistischen 1.000 jährigen Großdeutschen Reich, das keine 12 Jahre währen sollte, aber wiegesagt, wenn du so mitten drin steckst in der Zeitgeschichte, wie willst du das wissen.

Und das ist die Frage, auf die man auch immer wieder zurück kommt. Wer hat was gewusst? Und wieso sind wir heute, wo wir alle Information der Welt auf dem Handy mit uns herum tragen auch nicht davor gefeit, jeden Blödsinn zu glauben?

In Südtirol wird die deutschsprachige Bevölkerung 1939 vor die Wahl gestellt sich italianisieren zulassen oder sich zum deutschen Volk zu bekennen und auszuwandern, heim ins Reich. Gerüchte werden gestreut: wer dableibt, wird nach Sizilien verfrachtet, die Höfe sollen enteignet und Italienern überschrieben werden. Vielleicht angesichts der Arisierungen im deutschen Reich keine absurde Vorstellung, dass so etwas passieren kann. Im Gegenzug werden größere, fruchtbare Landwirtschaften in Aussicht gestellt, in Polen heißt es, in Galizien und keiner fragt, was denn mit den Bauern dort geschehen ist, dass man die Höfe einfach übernehmen kann. Oder man weiß es ohnehin und findet das in Ordnung? Oder man weiß es und fühlt sich machtlos, etwas anderes zu tun, als mitzumachen? Und wieso wissen es manche schon? Da heißt es auf einem Flugblatt der sogenannten Dableiber:

Südtirol und Galizien! Gibt es einen schreienderen Gegensatz? Wohnen sollt Ihr in Hütten, aus denen die polnischen Bewohner vertrieben wurden […] Zwischen feindliche Völker eingeschoben […] sollt ihr gegen die Polen eingesetzt werden, von diesen […] verhasst, bis man Euch aus dem Lande vertreiben wird, denn das Glücksrad kann sich wieder drehen.“

Und trotzdem gibt es so viele Optanten, diejenigen, die die Option, heim ins Reich zu gehen, wählen, weil sie glauben, es geht nicht anders. 85 % der deutschsprachigen Südtiroler entscheiden sich fürs Auswandern, über 200.000 Menschen. Frauen und Kinder werden nicht gefragt, für die entscheiden die Väter und Männer mit. Wirklich siedeln dann nur 75.000, die meisten 1940. Danach tröpfelt es nur mehr, weil die Wahrheit schaut anders aus – das geht manchmal recht schnell, auch wenn du mitten in der Zeitgeschichte steckst. Keine neuen Bauernhöfe, sondern Notquartiere, keine fruchtbare galizische Erde sondern Südtiroler Siedlungen wie Denggenhof, wie die an der TriesterStraße, überfüllt und armselig, und sogar da noch Neidobjekt für die Grazer Familien in den Gemeindebauten, die teilweise noch schlechter wohnen; und wieder die Frage: wer sind die Opfer? Heimat bleibt ein schwieriger Begriff. Von anderen MigrantInnen verlangen wir, dass sie sich integrieren, ihre Sprache und Gebräuche aufgeben, auch die Südtiroler werden zuerst angefeindet oder zumindest misstrauisch beäugt, aber im Gegensatz zu Flüchtlingen heute lässt man sie ja arbeiten, und die Kinder dürfen lernen und sich zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft hoch studieren, da kann man dann stolz das Törggelen und den Ball abhalten und Heimatverbundenheit zelebrieren, bis heute, wo die Option schon drei Generationen her ist und der Verband der Südtiroler in Österreich fast nur mehr Mitglieder hat, die hier geboren sind. Und ist ein Aussiedler eigentlich ein Vertriebener, wenn man doch freiwillig fürs Weggehen optiert hat, auch wenn dann alles ganz anders war als versprochen und man gar nicht hier her wollte, und wirklich freiwillig anders aussieht und: wer sind die Opfer?

Da ist nichts Schamhaftes zu bemerken in den Festschriften, dass man den Lügen von Goebbels geglaubt hat, dass man gegen die Dableiber gehetzt hat, denen man die Zustimmung zur Verwelschung ihres deutschen Volkstums“ vorgeworfen hat. Wer hat was gewusst? Wer sind die Opfer?

Wenn du mitten drin steckst in der Zeitgeschichte, ist es schwierig zu wissen, wie das alles einmal ausgehen wird. Wer hat was gewusst? Und wieso sind wir heute, wo wir alle Information der Welt auf dem Handy mit uns herum tragen auch nicht davor gefeit, jeden Blödsinn zu glauben?

Station 3: Mauergasse / Tor Karlau

Karlau

i wohn – waaßt eh
da draußen
in der Mauergassen
net weit vom Zentralfriedhof
i schau
auf de Karlau

sag do glei, wos‘d wohnst
kennt eh a jeda
wird kana mana
du warast söba ana
von dena

geh hör auf
a jeda
macht an fehla
nur weils uns zwa, nur weils an
no net erwischt ham
dawischn tuns an jedn
da brauch ma gar net redn
letztes Jahr
wia si de drei abgseilt ham
so schnell kannst gar net schaun
warns wieda daham
in der Karlau

i wohn – waaßt eh
da draußen
in der Mauergassen
i schau
auf de Karlau

wir tun net so gern drüber redn
aba frag da an jedn
ma wird deswegn net schlauer
vielleicht a bissl vorsichtiga
so auf dauer
im Schatten der Mauer

Foto: Evelyn Schalk

Station 4: Ressidorf

Ressidorf

Am Ende ist es immer die Liebe.
zu wenig oder zu viel davon
auf jeden Fall das Scheitern daran
und ein bisschen auch der Job – vielleicht ein Burn-out
du sagst dir: ein paar Monate Auszeit
einfach nur Fernsehschau‘n und Wodka trinken
auf einmal sind aus den paar Monaten Jahre geworden –
ja und ganz sicher der Alkohol
Am Ende bist du hier und das „hier“ ist jetzt kein Zuhause, aber ausgezogen ist trotzdem noch nie jemand, sagt der Krisz.

Hängen geblieben sind auch die Chefs, die Betreuer, und das obwohl der Pierre gleich an seinem ersten Tag als Zivildiener – und das ist schon 15 Jahre her – von einem Hund gebissen worden ist. Inzwischen gibt es keine Hunde mehr, sondern eine Katzenfarm, 16 Katzen unter den Bauten, und es werden immer mehr. Ein paar werden her geschenkt, aber die meisten bleiben.

Nein, ausziehen wird keiner.
Einer war mal 10 Monate weg, weil er sitzen musste, da war was, aber so genau müssen wir das nicht wissen, wenn darüber geredet wird, dann sagt man; er hat einen Blödsinn
gemacht, das reicht. Und einen Blödsinn, das hat schließlich jeder schon mal gemacht, und nachher kommt man zurück, wie gesagt, es ist nicht nach Hause, aber schön ist es, wieder da zu sein, und ausgezogen ist noch keiner.
Manche sieht man gar nicht oder so gut wie nie, die sind wie Einsiedlerkrebse in ihren Wohncontainern
Nein, die Container sind ja schon 2006 weg gekommen und durch Holzbauten ersetzt worden
ein Wohn Modul für jeden, oder ein halbes halt
ein Bett ein Tisch ein Sessel
manche brauchen gar nichts
zu Hause ist das nicht
Jeder mault,
wenn du im Winter um 4 in der Früh 40 Meter durch die Kälte aufs Klo musst
aber ausgezogen ist noch keiner.
Wenn über den Pierre geredet wird, dann klingt das wie „Bär“
und geduldig und gutmütig ist er ja
aber wie einen Bären soll man ihn auch nicht reizen
Auskommen müssen alle miteinander
auch wenn mal gestritten wird
und wenn jemand von außen kommt, halten alle zusammen
jeder hat einen Spitznamen
jeder hat Sehnsüchte und Träume
und Albträume
die einen von der Telefonzelle aus anrufen lassen
dass er sich jetzt umbringt
und dann fragt die Polizei beim Pierre nach

Die meisten haben das Leben aufgegeben
aber das Leben hat sie noch nicht aufgegeben
ein halber Grabstein liegt da
aber das hat keine Bedeutung
der gehört zu einem Projekt
immer wird etwas gerichtet
immer wird etwas gebaut
dazwischen wird Schach gespielt und gegrillt
Zu Hause ist das nicht
aber ausgezogen ist noch keiner
und diesen Sommer bauen wir ein Swimmingpool.
Vielleicht – na ja, doch nicht – aber möglich wär‘s
wenn jemand so viel Energie hätte und Willen und Kraft
aber der wäre dann nicht hier, oder?

Am Ende ist es immer die Liebe.
zu wenig oder zu viel davon
auf jeden Fall das Scheitern daran
und nach dem Scheitern ist da noch ein Platz
Am Ende bist du hier und das „hier“ ist jetzt kein Zuhause,
aber ausgezogen ist trotzdem noch nie jemand, sagt der Krisz.

(1) 1918 – 1945, seit 1954 Italien
(2) 1945 – 54 Teil Jugoslawiens
(3) Bis 1918 Österreich-Ungarn, Stützpunkt der kuk Kriegsmarine