„Frau, Leben, Freiheit“ – auf der Straße, überall

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Johann Herrach ◄

Wie sich die iranische Protestbewegung im öffentlichen Raum manifestiert.
Auszüge aus einer aktuell fortgesetzten Recherche.1

Bei einer Kontrolle durch die Sittenpolizei wurde die kurdische Iranerin Jina (Mahsa2) Amīnī, die gerade auf Besuch in die Hauptstadt Teheran gekommen war, aufgrund ihres angeblich inkorrekt getragenen Kopftuchs, in Polizeigewahrsam genommen. Nur wenige Zeit später starb sie am 16. September 2022 an den Folgen erlittener Polizeigewalt. Die heftigen Proteste, die der Tod von Jina (Mahsa) Amīnī in vielen Landesteilen des Irans auslöste, werden zu einem gewichtigen Teil von (jungen) Frauen getragen3. Nach Monaten halten die Protestaktionen immer noch an, obwohl sie inzwischen hunderte das Leben4 und zigtausende Menschen die Freiheit gekostet haben.
Als weltweites Wiedererkennungszeichen für das Streben iranischer Frauen und Männer nach Selbstbestimmung und Menschenrechten (und der damit verbundenen Forderung nach Aufhebung der seit über vierzig Jahren herrschenden Kopftuchpflicht) gilt der kurdische Slogan „Jin, Jiyan, Azadî“ (auf Farsi: „Zan, Zendegi, Azadi“, deutsch: „Frau, Leben, Freiheit“), der bereits seit Jahrzehnten in der kurdischen Autonomie- bzw. Unabhängigkeitsbewegung Verwendung findet und das erste Mal bei
8.-März-Demonstrationen im Jahr 2006 in der Türkei auf Bannern auftauchte.

„Von Kurdistan bis Zahedan, ich gebe mein Leben für den Iran“
Im Unterschied zur Sichtweise des Regimes, das die aktuellen Proteste in den kurdischen Gebieten und in der Provinz Sistan und Belutschistan als separatistisch abtun möchte5 (und für die Proteste wie üblich ausländische Akteure verantwortlich macht), betonen viele Protestslogans die Einheit des Irans und den Sturz des aktuellen Regimes als gemeinsames Ziel. So sind auf Videos von Demonstrationen aus Belutschistan und Zahedan Slogans auf Farsi zu hören und auf Transparenten zu lesen. Umgekehrt
gibt es Aktivist*innen, die in Teheran Wandslogans auf Kurdisch sprayen.
Menschen, die Parolen auf Wände sprühen, laufen nicht nur Gefahr, verhaftet, sondern auch erschossen zu werden. Dies zeigt der Fall des 44-jährigen Kurden Ardalan Ghasemi, der am 10. November in Kermanshah mit drei Schüssen in den Rücken getötet wurde, als er gerade Wandslogans gegen das Regime sprayte. Auch ein ebenfalls anwesender Freund von Ghasemi wurde durch Schüsse schwer verletzt.

Vom Regime symbolisch besetzter öffentlicher Raum
Seit Jahrzehnten wird der öffentliche Raum in iranischen Städten visuell von propagandistischen Images dominiert, oft in Form überdimensionaler Waldgemälde. Politische Propaganda findet mittlerweile vermehrt in moderner Form auf Überkopf- Billboards und großflächigen Bannern statt, die über und neben stark befahrenen Stadtautobahnen und auf eigenen Wänden zu sehen sind. Es mag daher nicht verwundern, dass diese Illustration staatlicher Macht und Propaganda (inklusive kommerzieller Werbebanner, aber auch Statuen) zu einem der symbolischen Hauptangriffsziele der Proteste geworden sind und inzwischen im Internet zahlreiche Videos von brennenden Propagandabannern oder anderweitig umgedeuteten Billboards auftauchen.
Im November 2022 wurde die iranische Fußballnationalmannschaft, die an der WM in Katar teilnahm, im fußballbegeisterten Iran zum Feindbild der Protestbewegung, nachdem die Spieler vor ihrer Abreise noch bei Präsident Raisi zu Besuch waren. Nun zählen auch die Banner zur Fußball-WM zu jenen, die in Brand gesteckt werden.

Wie sehr das Regime auf das Propagandainstrument des Fußballs im öffentlichen Raum setzt, zeigte sich deutlich nach dem Sieg des iranischen Fußballteams gegen die walisische Mannschaft. Plötzlich waren auf den Straßen nicht nur jubelnde Fans mit den Fahnen der Islamischen Republik zu sehen, sondern auch schwerbewaffnete Regime-Truppen, die sich – statt ihrem üblichen martialischen Auftreten – „menschlich“ zeigten, fröhlich lachend und Volkstänze tanzend.
Apropos Sport: Viele Sportler*innen6 haben sich öffentlich auf die Seite der Anti-Regime-Kräfte gestellt, etwa der ehemalige Fußballstar Ali Karimi, die ohne Kopftuch kletternde Elnas Rekabi; sowie Sportler, die bei der Hymne schweigen, nach Toren bzw. bei Pokalverleihungen nicht jubeln oder stattdessen aus Protest eine Geste des Haareabschneidens zeigen.

Der Widerstand ist weiblich
Nachdem Jina (Mahsa) Amīnī in der Folge eines Verstoßes gegen das obligate Kopftuchgebot in der Islamischen Republik Iran starb, war das demonstrative Schwenken des abgenommenen Kopftuchs auf belebten Straßen, begleitet von zustimmendem Hupkonzert der Vorbeifahrenden, eine der ersten durch Frauen gezeigten Widerstandsformen.
Zu den für diese aktuelle Protestbewegung typischen und teilweise sehr überraschenden Vorkommnissen zählt, dass neben den traditionell kritischen Studierenden an den Universitäten
gleich zu Beginn der Proteste auch viele Videos online gingen, in welchen Schülerinnen ohne Kopftuch und mit Parolen zu sehen sind. Nach Einschüchterungen, Verhaftungen und gewaltsam zu Tode gebrachten Jugendlichen7 finden sich später kaum mehr Zeugnisse von derartigen Aktionen. Berichten zufolge wurden selbst Minderjährige in psychiatrische Anstalten verfrachtet.

Schülerinnen in einer Schule in Teheran singen ohne Kopftuch ein Protestlied
und haben die Namen getöteter Demonstrant*innen auf die Tafel geschrieben.

Weiterhin gibt es jedoch künstlerisch-kreative Protestformen in den Kunstuniversitäten.Das Regime begegnet diesen Protesten nicht nur mit Verhaftungen, sondern auch durch Exmatrikulation
und Ausreiseverbot aus dem Iran.
Neben Schülerinnen und Studierenden nehmen auch viele Künstler*innen für ihre Online-Proteste die damit einhergehende Konsequenzen in Kauf. So werden immer wieder Künstlerinnen, die Fotos von sich ohne Kopftuch im Internet posten, zumindest vorübergehend festgenommen.
Auch wurden in mehreren Städten Brunnen, Wasserfälle u.ä. blutrot eingefärbt.

Abgeschnittene Haare von Teheraner Kunststudentinnen
bilden das Farsi-Wort „Zan“ (Frau).

Der Kampf um die Wände als Teil von Revolutionen
Für seinen Film „Writing on the City“ (2015) hat der inzwischen in Paris lebende iranische Filmemacher Keywan Karimi zahlreiche Foto- und Videodokumente aus der Zeit der Revolution im Iran 1978/79 in Teheraner Archiven ausgegraben. Sie dokumentieren, wie damals die Wände mit ihren geschriebenen und gesprühten Slogans, ihren Plakaten und Stencils verschiedene Funktionen im Kampf gegen das Schah-Regime übernahmen. So ging es vorrangig darum, jene Informationen öffentlich zu machen, die von den offiziellen Medien zensuriert bzw. totgeschwiegen wurden. Den Botschaften und Informationen über Opfer auf den Wänden wurde von der Bevölkerung mehr vertraut als den Regime-Medien.

Anlässlich des Internationalen Frauentages 2021: Stencils mit Portraits inhaftierter
iranischer Aktivistinnen und dem Slogan: „Im Frauentrakt des Gefängnisses
gibt es Platz für Frauen jeder Ideologie, Nationalität und Sprache“.

Insofern erfüllen regimekritische Wandparolen, unabhängig von den politischen Überzeugungen der Akteur*innen, zumeist ähnliche Funktionen, so auch im Rahmen der aktuellen Protestbewegung
im Iran. Die Verbreitung kritischer Botschaften gegen das Regime hat selbstverständlich nicht erst mit dieser Protestbewegung begonnen.

Die Namen von Getöteten und das wiederkehrende Symbol blutiger Hände.

„Was ist dein Plan? – Revolution“
Die heute so genannte „Islamische Revolution“ hatte nach monatelangen Protesten und zahlreichen Toten im Jahr 1978 zu Anfang des Jahres 1979 zum Sturz des Schahregimes geführt. Am 1. April 1979 wurde nach einem Referendum die Monarchie durch eine „Islamische Republik“ ersetzt. Bereits am 7. März 1979 wurde ein Kopftuchgebot für den Arbeitsplatz beschlossen und – verzögert durch Proteste – im Juli 1981 die verpflichtende Verschleierung in der Öffentlichkeit eingeführt (die auch für Nicht-Musliminnen gilt).

Am Internationalen Frauentag, dem 8.3.1979, protestierten in Teheran Zehntausende
Frauen gegen eine obligatorische Verschleierung.

Die Botschaften der Ungehörten
Nachdem im Iran, wie in vielen Ländern, die Sprayer*innen- Szene hauptsächlich männlich geprägt ist, ist es umso überraschender, dass plötzlich eine Vielzahl von Videos auftauchen, in denen Frauen beim Sprühen zu sehen sind. Apropos Videos: Nachdem die meisten der gesprühten regimekritischen Slogans wohl nur kurze Zeit überleben, bis sie wieder übermalt werden, ist die Verbreitung über das Internet umso wichtiger. Auf Social Media-Kanälen finden sich daher zahlreiche Fotos und Videos, die von iranischen User*innen an Medien im westlichen Ausland geschickt werden und so für Dokumentation
und Weiterverbreitung sorgen.
Nicht zuletzt deshalb ist die zeitweise und regional beschränkte Drosselung bzw. Totalabschaltung des Internets (und Stroms) eine wirksame Methode zur Unterdrückung der Proteste.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass iranische Geldscheine mit politischen Parolen
beschrieben werden. Neu scheint das Bedrucken zu sein. Hier „blickt“ Khomeini
auf eine Frau ohne Kopftuch und den Slogan „Brot, Arbeit, Freiheit“.

Den Opfern Namen und Gesicht geben
Was die Verbreitung von Bildern Protestierender betrifft, so dienten diese dem Regime im Jahr 2009, im Zuge der so genannten „Grünen Revolution“, als Ausgangsmaterial für Inhaftierungen. Bei den Protesten heute haben die Betroffenen zum einen gelernt, ihre Identität zu schützen, zum anderen hat auch für Medien die Sicherheit der am Bild gezeigten Personen Vorrang vor deren Ikonisierung.
Eine umso wichtigere Rolle nimmt die Benennung der Opfer ein. Nach Jina (Mahsa) Amīnī waren es vor allem junge getötete Frauen wie die 16-jährige Nika Shakarami und die 16-jährige, am 23.9.2022 zu Tode geprügelte Sarina Esmailsadeh in Karaj, deren Namen zu Zeugnissen der Brutalität des Regimes und Symbolen des Widerstands wurden.
Während der Proteste wurden immer wieder Überwachungskameras und für wenige Sekunden sogar, ein Programm des iranischen Fernsehens gehackt und Fotos von einigen der getöteter Frauen im TV gezeigt.
Das bisher größte durch das Regime verübte Blutbad ereignete sich in Zahedan (Hauptstadt der Provinz Sistan und Belutschistan), als am 30. September nach dem Freitagsgebet wahllos in die Menschenmenge auf der Straße geschossen wurde und dabei nach Angaben von Amnesty International mindestens8 82 Menschen starben.
Neben dem Gedenken an die Getöteten wird der öffentliche Raum auch dazu genützt, um auf Verletzte, Gefangene und Verschwundene aufmerksam zu machen. Verwandte von Inhaftierten versuchen auf den Straßen und vor den Gefängnissen für zumindest eine kurze Zeit auf das Schicksal ihrer Familienmitglieder aufmerksam zu machen.
Nicht verleugnen lässt sich, dass das herrschende Regime bereit ist, den Widerstand mit allen Mitteln und auch unter Einsatz tödlicher Gewalt zu beenden. Wenn eine von vielen schon beschworene Revolution so auch noch nicht zu sehen ist – diese junge heranwachsende Generation von Frauen und Männern im Iran scheint mehr denn je entschlossen, für ihre Freiheit auch ihr Leben zu geben.

Die getötete Teheranerin Nika Shakarami.

„Kurdistan ist nicht alleine“
Der Widerstand in den kurdisch besiedelten Gebieten Irans gegen das herrschende Regime hat eine lange Tradition. Nachdem um Mitte November vermehrt Bilder aus kurdischen Städten im Netz aufgetaucht sind, die den Eindruck erwecken, Protestierende hätten zumindest straßenweise die Kontrolle in ihren Städten übernommen, folgen rasch Videoberichte von starken Truppenverlegungen in Richtung der kurdischen Gebiete sowie nächtliche Videos, in welchen minutenlanges Schießen zu hören ist sowie von Konvois schwer bewaffneter Einheiten des Regimes sowie von Straßenkämpfen in den Städten Piranshahr und Javanrud auf. Im kurdischen Nordirak werden zeitgleich iranisch-kurdische Einrichtungen vom iranischem Militär mit Raketen angegriffen. Die genaue Zahl der Getöteten in den kurdischen Städten Irans bleibt unklar. Die Ereignisse in Kurdistan spiegeln sich innerhalb weniger Stunden bzw. Tage im restlichen Iran auf den Wänden und auf Protestbannern wieder. Dabei wird die Solidarität und Unterstützung der dortigen Protestbewegung beschworen.

Der Gott des Regenbogens
Am 16. November wurde in Izeh der im Auto seiner Eltern mitfahrende neunjährige Kian Pirfalak durch Schüsse getötet. Am selben Tag wurden in der Stadt mehrere Menschen erschossen, darunter ein weiteres Kind. Von Kian existiert ein Video, in dem er sein im Rahmen eines Wissenschaftsprojekts gebasteltes Boot vorstellte. Er begann das Video mit der üblichen Redewendung „Im Namen des Gottes“ und ergänzte: „des Gottes des Regenbogens“. Vom Regime wurden angebliche Terroristen für seinen
Tod verantwortlich gemacht. Diese Version sollte durch stundenlange Propaganda-Sendungen im Fernsehen und auf Propagandabannern untermauert werden und wurde sogar in TV-Quizshows
eingesetzt.

Regenbögen und Papierboote sind als weit verbreitete Symbole
in Erinnerung an Kian aufgetaucht und wurden nicht nur mit seinem Namen, sondern auch mit den Namen anderer Opfer beschrieben. Seit Beginn der Protestbewegung sind immer wieder Minderjährigen durch das Regime, das mit dem Begriff „Kindermörderregierung“ von den Protestierenden gebrandmarkt wird, getötet worden.

Boote und blutroter Brunnen bei einer Kundgebung von Studierenden der Kunstfakultät
Isfahan zum Gedenken an Kian Pirfalak.

14., 15., 16. Azar – ein landesweiter Streik als die erhofften Tage einer Revolution
Obwohl bei der Protestbewegung öffentlich immer noch keine Art von Führungspersönlichkeiten oder Führungsstruktur klar erkennbar sind, schien es für den Dezember 2022 dennoch genaue Pläne zu geben. Mit einem dreitägigen Streik vom 5. bis 7. Dezember (nach persischem Kalender 14. bis 16. Azar) wollte man dem Sturz des Regimes einen Schritt näherkommen bzw. sehen Parolen damit bereits die Tage des Regimes gezählt. In der letzten Novemberwoche tauchten die ersten Streikaufrufe in den sozialen Netzwerken auf. Das Datum ist bewusst gewählt. Der 5. Dezember ist der 40. Trauertag9 von jenen Opfern der Proteste, die bei der Zeremonie zum 40. Tag nach dem Tod von Mahsa Amini getötet wurden. Das Ende des Streiks am 7. Dezember fiel mit dem so genannten „Studententag“ zusammen.
Neben Streikaufrufen auf Mauern, Autobahnen und anderen Orten im öffentlichen Raum kamen in den Städten dem Anschein nach großflächig eine Vielzahl von Flugblättern und Streuzetteln zum Einsatz. Mit dem Aufruf zum landesweiten Streik wird die Botschaft vermittelt, dass es durch diese gemeinsame Anstrengung möglich sei, das herrschende Regime zu stürzen. Einige Slogans zielen speziell auf jene ab, die sich bis jetzt noch nicht der Protestbewegung angeschlossen haben.
An den drei Streiktagen wurden schließlich eine Vielzahl von Videos gepostet, die in zahlreichen iranischen Städten leere Straßenzüge mit geschlossenen Geschäften zeigen. Der Streik scheint tatsächlich erfolgreich zu sein und die Protestbewegung zu erweitern, über die gesellschaftlichen Gruppen von Schüler*innen, Student*innen, Künstler*innen, (jungen) Frauen in urbanen Bereichen und größeren Teilen der Bevölkerung in kurdischen Gebieten sowie in Sistan und Belutschistan hinaus.
Vom Regime wird diese Solidarisierung von Geschäftsleuten jedoch nicht hingenommen. So werden etwa in Isfahan Geschäfte von Streikenden von regimetreuen Kräften mit eindeutigen Aussagen für ihr Handeln verurteilt. Als schwerwiegende Maßnahme gegen die Streikenden werden in verschiedenen Städten geschlossene Geschäfte offiziell von der Verwaltung verplombt und ihnen ein Wiedereröffnen verboten. In der Folge wird zudem berichtet, dass die Konten von am Streik beteiligten Geschäftsleuten
eingefroren werden.

Mohsen Shekari (hingerichtet am 8.12.2022) und Majidreza Rahnavard (hingerichtet am 12.12.2022)
Zwar kann nach den erfolgreichen Streiktagen vom 5. bis 7. Dezember keine Rede davon sein, dass der Sturz des Regimes kurz bevor stünde. Jedoch hat sich wohl bei vielen in der Protestbewegung die Hoffnungen auf Veränderungen des politischen Systems verstärkt.
Umso größer der Schock, als am Morgen des folgenden Tages bekannt wird, dass eine erste Person aufgrund der Teilnahme an den Protesten exekutiert wurde. Dem hingerichteten 23-jährige Mohsen Shekari wurde vorgeworfen, am 25. September 2022 in Teheran an einer Straßenblockade teilgenommen und dabei ein Mitglied der Basij verletzt zu haben. Dies wurde ihm als „Kriegsführung
gegen Gott und seinen Propheten“ (Muharaba) ausgelegt, was nach islamischem Recht mit dem Tode zu bestrafen ist.
Nur wenige Tage nach Shekari wurde am Morgen des 12. Dezembers in Mashad der ebenfalls 23-jährige Majidreza Rahnavard öffentlich gehängt, angeblich habe er zwei Basij erstochen. In den folgenden Dezembertagen wird die Liste der aufgrund dubioser Prozesse zum Tode Verurteilten immer länger. Unter ihnen der bekannte Rapper Tomaj Salehi und der Arzt Hamid Ghareh Hassanlou.

„Das Feuer wird durch den Wind stärker.“ (Zitat aus einem Gedicht) Darunter:
„Nein zum Töten durch das Regime #MohsenShekari“.

Mit den beiden vollstreckten und noch drohenden Exekutionen hat das Mullah-Regime das Ziel eines Abschreckungseffektes mit Sicherheit erreicht. Statt sich durch andauernde Protestaktionen, erfolgreiche Streiks und weitere Eskalationsstufen unter Druck setzen zu lassen, hat das Regime durch die Erhöhung der Repressionen (etwa in den kurdischen Gebieten) und durch die drohenden Hinrichtungen die Handlungsmacht wieder einigermaßen übernommen. Jeden Morgen wachen nun Menschen auf, die (egal wo sie leben) auf einen politischen Wandel im Iran hoffen und lesen als erstes voller Sorge in den sozialen Medien nach, ob die Regierung wieder ein Todesurteil vollstreckt hat.

Die gesamte bisherige Recherche mit zahlreichen Detailinformationen, Fotos, sämtlichen Nachweisen und Quellen ist als Serie auf https://tatsachen.at publiziert.

1 Für die vorliegende Recherche wurde hauptsächlich auf folgende Medien auf unterschiedlichen Social Media-Kanälen (Instagram, Twitter, Telegram) zurückgegriffen: Vahid Online, BBC Persian, Manoto, Radio Farda, Iran International, Khiaban Tribune. Aufgrund der sprachlichen Vielfalt im Iran und meiner Quellenauswahl sind in der folgenden Dokumentation mögliche Wandparolen etc. in kurdischer, türkischer, arabischer oder armenischer Sprache unterrepräsentiert bzw. nicht erfasst. Teil 1: September bis November 2022.
2 Die Verwendung des kurdischen Namens Jîna ist, wie viele andere Namen, in der Islamischen Republik Iran als „nicht-iranisch“ verboten. Mahsā ist daher der erlaubte „Ersatz“-Vorname für Jina Amini. Vgl. https://ekurd.net/iran-not-allow-mahsa-amini-2022-09-27
3 s gibt dabei regionale Unterschiede. So sind Frauen wenig bis kaum auf Videos von Protestmärschen in Städten der Region Sistan und Belutschistan im Süden des Irans zu sehen. Vgl. https://twitter.com/OrgIAC/status/1591069102638235649
4 Die genauen Opferzahlen sind unbekannt und steigen täglich. Verifizierte Listen von Getöteten gehen von zumindest 344 Personen aus. Die tatsächliche Zahl von Regimeopfern dürfte jedoch um ein Vielfaches höher sein. Vgl. https://www.bbc.com/news/63643643 , 15.11.2022.
5 In diesen Gebieten hat es auch in den vergangenen Jahren immer wieder zahlreiche willkürliche Verhaftungen, Todesopfer durch die Gewalt des Regimes sowie Hinrichtungen gegeben
6 In Solidarität mit der Protestbewegung gibt es auch viele iranische Schauspielerinnen, die (verbotenerweise) Videos von sich ohne Kopftuch posten.
7 Unter den verifizierten Getöteten befinden sich 46 männliche und 12 weibliche Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Vgl. https://www.theguardian.com/global-development/2022/nov/20/iran-protests-children-killed-reports-mahsa-amini , 20.11.2022 5 In diesen Gebieten hat es auch in den vergangenen Jahren immer wieder zahlreiche willkürliche Verhaftungen, Todesopfer durch die Gewalt des Regimes sowie Hinrichtungen gegeben
8 In einer anderen Quelle werden 90 Opfer namentlich angeführt: https://www.ostomaan.org/en/the-list-of-confirmed-killed-demonstrators-on-friday-30th-of-september-2022-in-zahedan-but-it-is-increasing-as-more-killed-peoples-names-day-by-day/ , vom 3.10.2022
9 Bereits seit der Antike wird der 40. Todestag einer Person mit Feierlichkeiten begangen. Diese Tradition wird sowohl im Islam als auch in Teilen der christlichen Kirchen bis heute praktiziert.