Jenseits der bezahlten Anzeige

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Leonhard Rabensteiner ◄

Die Gründe, eine Veranstaltung zu besuchen, können höchst unterschiedlich sein: Der Wunsch nach Zerstreuung, eine persönliche Bekanntschaft mit den Schauspieler:innen oder Interesse an der Veranstaltung. Häufig finden sich Menschen mit ähnlichen Interessen und auch aus ähnlichen sozialen Gruppen bei Veranstaltungen wieder. Diese Gemeinsamkeit kann mit Filterblasen verglichen werden, auch wenn kein Algorithmus eine Vorauswahl getroffen und uns Inhalte empfohlen hat, die uns am ehesten ansprechen und die längste Zeit an den Bildschirm fesseln. Wir haben eigene Interessen und die Freiheit, diesen Interessen nachzugehen – aber wir sollten uns auch bewusst sein, dass verschiedene Akteur:innen und Kräfte versuchen, diese Interessen zu steuern. Das kann positiv sein, etwa als Information in einem Veranstaltungskalender oder als sanfte Einladungen durch Newsletter und Flyer, aber auch problematisch werden, wenn uns etwa Ideologien schmackhaft gemacht werden sollen. Das Buhlen um unser Interesse hat viel mit der Aufmerksamkeitsökonomie zu tun, in der um unsere Anwesenheit, Partizipation und Interaktion geworben wird, und die großteils nach einer Marktlogik funktioniert. Wir werden als Zielgruppen gesehen und behandelt, es wird versucht uns effizient zu erreichen. Das bedeutet andere Bewerbungsstrategien für eine Lesung als für ein Autorennen. Beides sind öffentliche Veranstaltungen, aber sprechen unterschiedliche Gruppen an.

Diese Limitierung bedeutet nun aber nicht, dass es Öffentlichkeit nur eingeschränkt geben kann: Der öffentliche Raum ist das beste Argument dagegen. Zweifelsfrei versuchen auch auf der Straße verschiedene Akteur:innen über visuelle Kommunikation Menschen zu erreichen oder zu beeinflussen. Der entscheidende Unterschied ist, dass wir hier nicht zwangsläufig in Filterblasen landen, oder so selektiv als eine Zielgruppe durch Plakatwerbung angesprochen werden können. In einkommensstärkeren Vierteln wird man eher Werbung für Luxusprodukte als in einkommensschwachen Stadtteilen finden, denn es wird im öffentlichen Raum auf subtile Arten versucht, so zielgruppengerecht wie möglich zu kommunizieren. Aber auch wenn sich viele Menschen für Alltagswege wie etwa zur Arbeit oft täglich auf den gleichen Strecken bewegen, tun dies auch Menschen mit diversen Profilen. In vielen städtischen Gebieten tummeln sich zahlreiche Zielgruppen dicht nebeneinander, die sich in ihren Interessen und ihren Einkommen stark unterscheiden.

Das Buhlen um unser Interesse hat viel mit der Aufmerksamkeitsökonomie zu tun, in der um unsere Anwesenheit, Partizipation und Interaktion geworben wird, und die großteils nach einer Marktlogik funktioniert.

Vielleicht stoßen Sie sich nun auch am Begriff „Zielgruppe“? Ich hoffe es zumindest, da er stark von der Marketingsprache und -logik beeinflusst ist. Vielleicht wollen Sie einwenden, dass der öffentliche Raum doch konsumfrei sei und nicht mehr öffentlich ist, wenn er kommerziell vereinnahmt wird? Schön wäre es. Die allermeisten öffentlichen Räume werden für kommerzielle visuelle Kommunikation, sprich Außenwerbung, in verschiedenen Formen verwendet, Verkaufsabsichten sind eng mit der öffentlichen Sphäre verbunden. Das ist für viele Menschen so gewohnt, dass sie es nie hinterfragt haben. Werbung ist, seit sie sich erinnern können, einfach da.

Früher war es vielleicht nicht so viel, ein paar neue Werbetafeln sind in den letzten Jahren wohl dazugekommen und wurden mittlerweile zu digitalen Anzeigeflächen, und die Fenster der Straßenbahnen waren früher auch nicht damit verklebt. Gerade ältere Generationen in Österreich verbinden aber nicht durchwegs Nostalgie mit der Zeit, als es weniger Werbung gab, sondern lernten sie im Kontrast zum kommunistischen Ostblock zu schätzen. Die Menschen im Westen wussten um den Mangel von Produkten im Osten, und nichts war erleichternder und überzeugte besser von den Vorzügen des kapitalistischen Systems als Werbung zu sehen, die eine ständige Verfügbarkeit von Waren suggerierte.

Diese Freude am Kapitalismus war weitgehend hegemonisch, auch wenn ab den 1970er Jahren verstärkt Kritik daran geäußert wurde. Diese adressierte entweder den Kapitalismus an sich, oder aber unsere Konsumgewohnheiten und die Nachteile, die sie für Mensch und Natur haben. Die Werbung wurde dadurch für manche zur sichtbaren Verkörperung von oft komplexen und schwer darstellbaren Ausbeutungsprozessen.

Jedoch änderte die Kritik in Summe wenig, und wir sind Werbung heute nach wie vor ausgesetzt. Die normative Kraft des Faktischen scheint sie in eine so mächtige und omnipräsente Position gehoben zu haben, dass sie systemimmanent wirkt. Sie wird von manchen als notwendiges Übel und von anderen gar als Synonym des freien Marktes gesehen. Viele Menschen blenden sie bestmöglich aus – doch funktioniert Werbung schon, wenn sie passiv wahrgenommen wird.

Die Liste der Gründe, Werbung zu kritisieren, ist lang:
Die Mehrheit der Menschen freut sich nicht, sie zu sehen, aber hat keine Möglichkeit, sie auszuschalten oder gegen sie zu stimmen. Sie ist im öffentlichen Raum, aber es es gibt kaum eine Mitsprachemöglichkeit, sie partiell oder generell zu beschränken.

Sie dient nicht, wie von Werbenden oft argumentiert wird, der Information, sondern möchte uns zum Kauf von spezifischen Produkten animieren. Wenn wir uns aber informieren wollen, vergleichen wir einzelne Produkte miteinander, was inzwischen problemlos online mit ein paar Klicks möglich ist. Werbung weckt jedoch Wünsche in uns, die wir ohne sie oft nicht hätten. Das ist für eine wachstumsbasierte Wirtschaft etwas Positives, auf einem Planeten mit einer sich verschärfenden Klimakatastrophe aber nicht mehr ganz so positiv.

Selbst das am nachhaltigsten produzierte Produkt verbraucht Ressourcen – und wird dieses Produkt ohne Grund gekauft und konsumiert, ist das trotzdem ein vermeidbarer, klimaschädlicher Akt. Überkonsum ist ein wesentlicher Grund für viele ökologische und soziale Probleme, und vermutlich ist die Transformation zu einer Postwachstumsgesellschaft eine essentielle Maßnahme, um dem globalen Klimakollaps zu entgehen. Um diese Transformation in die Wege zu leiten, braucht es eine Abkehr von Werbung, um die ständige Schaffung von Bedürfnissen zu limitieren.

Die heilige Kuh des freien Marktes wird mit der Kritik an Werbung auch angesprochen: Sie kann – naheliegenderweise – durch die Brille der Kapitalismuskritik betrachtet werden. Fast interessanter ist es aber, sie in ihrer eigenen Logik zu kritisieren, nach der Werbung zum Funktionieren des Marktes beiträgt. Jedoch können sich große Firmen und multinationale Konzerne die meiste Werbung leisten und dadurch ihre Marktmacht weiter ausbauen. Kleine Unternehmen haben diese Mittel nicht, können nur wenig oder gar keine Werbung schalten – und sind der Monopolbildung der Großen ausgeliefert. Gäbe es keine Werbung oder nur ein gewisses Kontingent an möglicher Werbefläche pro Firma, könnte der Markt viel freier als bisher sein.

Wenn auch der Kapitalismus ohne Werbung weiter existieren würde, dann würden die geänderten Rahmenbedingungen zumindest Pfade in weniger zerstörerische Ausformungen öffnen. Und ein Weniger an Werbung hätte den nicht ganz unwesentlichen Nebeneffekt, die Lebensqualität zu steigern.

Neben der allgemeinen Kritik an Werbung gerät seit ein paar Jahren eine beworbene Produktgruppe verstärkt in den Fokus: jene der fossilen Produkte, seien es Verbrennerautos, Flugreisen oder Kreuzfahrten − Aber auch Ölkonzerne als solche, die nicht ihr Produkt bewerben, sondern durch massives Marketing ihr Geschäftsmodell legitimieren. Durch fossile Werbung, aber gerade auch deren Sponsoring von Kulturveranstaltungen, wird Greenwashing betrieben, die Konzerne zeichnen von sich ein  irreführend grünes Bild.

Darauf reagieren nun immer mehr Städte und Initiativen, die – ähnlich wie mit Tabakwerbung – ein Ende dieser schädlichen Anreize in die Wege leiten. Die Gefahren der fossilen Werbung werden indes auch im aktuellen IPCC-Report der Vereinten Nationen genannt, der österreichische Klimarat empfiehlt ebenfalls, klimaschädliche Werbung zumindest stark einzuschränken. Wenn auch ein generelles Werbeverbot illusorisch wirkt, dann wäre es zumindest wichtig, die Spielregeln für fossile Werbung zu adaptieren.

Wie ist das nun eigentlich mit der freien Meinungsäußerung im öffentlichen Raum? Welche Möglichkeiten haben Bürger:innen, Kritik an Werbung zu artikulieren oder irgendetwas anderes zu sagen, das sie auf dem Herzen haben? Eine Ausdrucksweise ist die selbstbestimmte Aneignung von Werbeflächen durch Adbusting oder Subvertising, bei der Werbeflächen kurzerhand in Beschlag genommen und umgestaltet werden. Dass sich diese Praxis rechtlich zumindest in einem Graubereich befindet, zeigt, wie stark die Verwertungslogik hier die Regeln für die Öffentlichkeit vorgibt. Hausbesitzer:innen können sich für eine Werbefläche oder ein Wandgemälde auf ihrer Fassade entscheiden, aber Mieter:innen des Hauses haben kein Mitspracherecht. Eine generelle Öffnung von Werbeflächen für private Meinungsäußerung wäre eine Möglichkeit, die Mitsprache im öffentlichen Raum zu demokratisieren. Auch einen bestimmten Prozentsatz an Werbeflächen für eingereichte, nichtkommerzielle Plakate von Bürger:innen bereitzustellen wäre eine Chance, wirklich  öffentlichen Diskurs zu fördern. Hier gäbe es zahlreiche Möglichkeiten zu diskutieren, durch die ein utopisch anmutender Gedanke Realität werden könnte.

Ob selbstermächtigt oder durch Initiativen, ob aus Klimaschutzgründen oder für ein besseres Leben: An der Präsenz von Werbung muss gerüttelt werden. Das würde jeder Stadt gut tun, aber sich besonders für eine Stadt anbieten, die seit kurzem eine weniger konservative Regierung hat.