eine hausbesetzergeschichte

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Martin Murpott ◄
Foto: Lena Prehal

Es war ein eher schleichender, aber nicht unabsehbarer Prozess, der aus Eberwein Stocker, einem ehemals annehmbaren Mitglied der alternativen linken Szene, einen bürgerlichen Schnösel gemacht hatte. Ein Prozess, den man gerade hier in Graz relativ häufig beobachten konnteund der Eberwein auch durchaus bekannt war. Man tauschte irgendwann die zerrissenen Jeans mit aufgenähtem Discharge-Patch gegen diese komischen Hochwasserhosen aus Leinen, die aussahen, als wären sie für Segler ohne Segelboot erfunden worden. Statt sich im Stadtpark mit seinen unambitionierten Punker-Kumpels auf ein Bier zu treffen, ging man plötzlich in  Hipsterlokale, in denen man seinen Latte Macchiato auch mit Hafermilch trinken konnte und redete mit seiner Studiengruppe über die Verwirklichung einer möglichst innovativen Smartphone-App. Statt sich für die Rechte der Honigbiene einzusetzen oder Grazer Ordnungswächtern die Kappe vom Kopf zu klauen, wurden auf einmal Praktika bei ultraspießigen Finanzunternehmen oder Marketingtätigkeiten für die fucking Volkspartei interessant. Ein Abschluss in BWL oder Architektur hier, ein paar wohlhabende Eltern oder ein kleines Erbe dort, und schon fand man sich sogar im Besitz einer eigenen Immobilen wieder, die es zu spekulieren galt.

Die Immobilie, die sich seit nun mehr fünf Jahren und mittlerweile als Leerstand im Besitz von Eberwein Stocker befand, war ein vierstöckiges und unsaniertes Zinshaus aus den 1920er Jahren. Es lag ein wenig versteckt zwischen dem Ende der Ägydigasse und dem südlichen Ausläufer des Grazer Griesplatzes. Die Nutzfläche betrug fast 500 Quadratmeter und inkludierte neben den sechs Wohnungen in den oberen Stockwerken auch ein ehemaliges Wirtshaus im Erdgeschoss des Gebäudes. Um die Sache abzurunden, verfügte der Besitz noch über zusätzliche 350 Quadratmeter Grundstücksfläche im Stile eines klassischen und völlig überwucherten Innenhofes.

Das Zinshaus war natürlich nicht immer leer gewesen. Als er es 2015 der schon etwas betagten Vorbesitzerin um die nahezu lächerliche Summe von 800.000 Euro abschwatzte, war es sogar noch relativ belebt. Eberwein wusste natürlich, dass mit dem Vermieten von Wohnungen keine wirklich große Kohle zu reißen war, aber er kannte sich mit der Entwicklung der Grazer Immobilienpreise aus und konnte zudem auch relativ gut rechnen. Der Großteil der Mietverträge mit den ehemaligen Bewohnerinnen lief erst Ende 2019 aus und Eberwein konnte nicht behaupten, dass er in den paar Jahren schlecht an ihnen verdient hatte. Dank der veräußerten Anteile eines kleinen Startup-Unternehmens, an dessen Gründung er bereits während seiner Studienzeit beteiligt war, hatte er einen wesentlichen Teil des Zinshaus-Kaufpreises durch Eigenkapital aufbringen können. Das Bedienen des Restkredites erledigte er mit Hilfe seines dekadent-kapitalistischen Gehalts als Juniorpartner bei „Enteignungen, Klammerth & Co“. Einziges Problem war lange Zeit die Wirtin im Erdgeschoss des Gebäudes, die einen dieser völlig spekulantenfeindlichen Altmietverträge besaß. Die dumme Kuh wollte mit ihren 62 Jahren partout nicht in Pension gehen, sich einen anderen Standort suchen oder eine Zeitlang von Österreichs üppigem Arbeitslosengeld leben. „Aber was sollen meine Stammgäste sagen, ich habe mein gesamtes Leben da rein gesteckt, meine zwei Mitarbeiter haben doch Kinder, die will ich nicht kündigen – Eberwein konnte das alles nicht mehr hören! Wer in seiner Kaschemme noch nicht einmal Craft-Bier aus Obervogauer Biohopfen auf seiner Karte hatte, durfte wirklich nicht auf sein Verständnis hoffen. Doch kam Virus, kam Rat. Am 14. Mai 2020 gab Rosi Scharf, Besitzerin des Wirtshauses „Zum Rammelnden Rindviech“ bekannt, dass sie ihre gastronomischen Segel streichen musste und ihr Lokal nicht wiedereröffnen würde. Der zweimonatige, Lockdown-bedingte Umsatzverlust sprengte den ohnehin sehr eingeschränkten Rahmen ihrer finanziellen Reserven und der fromme Wunsch nach einem Mietnachlass stieß bei Eberwein Stocker auf mehr als nur taube Ohren.

Inzwischen schrieb man den späten sonntäglichen Abend des 28. Juni 2020 und seit vorherigem Freitag war es endlich soweit: Das gesamte Altprekariat einschließlich dieser proletoiden Gastronomin war vollständig draußen! Wenn er jetzt nur noch ein wenig Kohle investieren würde, um die Räumlichkeiten und vielleicht sogar die gelbliche Außenfassade ein bisschen in Schuss zu bringen, könnte er mit der Hütte Millionen verdienen. Die einzige Frage, die sich jetzt wirklich noch stellte, war, ob er das gesamte Gebäude äußerst gewinnträchtig an eine gewissensbefreite Immobiliengesellschaft oder jede Wohnung einzeln um einen unmoralisch hohen Preis an die Grazer Upperclass verscherbeln sollte. Eberwein Stocker lag in seinem Designerbett aus Zirbenholz im Schlafzimmer seiner schicken Maisonette-Wohnung in Graz-Geidorf, freute sich auf den morgigen Bürotag und grinste sich in den Schlaf. Obwohl seine Augenlieder bereits geschlossen waren, konnte man in seinen Pupillen das Eurozeichen aufblitzen sehen.

Flora Lichtenstein hatte mit sich selbst ausgemacht, dass sie nur jeden zweiten von ihr konsumierten Kaffee auf der vergilbten Strichliste eintrug, die im vierten Stock des Bürogebäudes von „Enteignungen, Klammerth & Co“ in der Betriebsküche hing. Nachdem sie nur genau 102,50 Euro pro Monat für ihr verschissenes 45-Wochenstunden-aufwärts-Praktikum bekam, klang es doch bloß fair, nicht jede Espressokapsel mit 35 Cent zu vergüten. In Zukunft würde sie nicht einmal mehr diese anschreiben. So konnte sie sich zumindest ein bisschen dafür revanchieren, dass einer der Seniorpartner sie gestern wegen ihrer Tattoos an den Unterarmen gerügt hatte und sie nun mit dieser dämlichen, hellblauen Langarmbluse herumrennen musste. Eigentlich hatte Flora ja JUS studiert, um bei diversen NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen ihr Scherflein zum Weltfrieden beitragen zu können oder sich zumindest nicht völlig dem Kapital verkaufen zu müssen. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte war, dass nicht einmal fucking Greenpeace einen Teilzeitjob locker machte, wenn man nicht mindestens ein halbes Jahr Praktikum in drei verschiedenen Geschäftssparten abgerissen hatte. So aber war Flora noch bis mindestens Ende Juli damit beschäftig, für irgendwelche jungen oder alten und vorwiegend männlichen Säcke die Post zu sortieren, diverse Kopieraufträge zu erfüllen und gelegentlich die juristischen Unzulänglichkeiten schlecht geschriebener Verträge zu korrigieren. Einer dieser Säcke war Eberwein Stocker, Master of – warum auch immer – Science.

Kommen sie rein, Frau Lichtenstein!, rief Eberwein Stocker, als er Flora dabei ertappte, wie sie vollbepackt mit Immobilienzeitschriften, Postwurfsendungen und Kundenakten versuchte, die Glastür seines Büros zu öffnen. Natürlich hätte er sich aus seiner kostengünstigen Kopie eines Chesterfield Bürostuhls „Classic“ erheben können, um der jungen Frau mit dem eher kurz geschnittenen, blonden Undercut, dem dezenten Nasenring und der eigenartigen blauen Langarmbluse zu helfen. Allerdings wurde ihm unlängst auf Twitter von zwei anderen Männern erklärt, dass derlei Höflichkeiten für junge Frauen oftmals ein Akt des systematischen Antifeminismus darstellten. Hallo Eberwein begrüßte sie ihn, nachdem sie es nach einiger Plagerei endlich geschafft hatte, das großzügig bemessene und sonnendurchflutete Westseitenbüro zu betreten. Flora hätte zwar noch gerne ein ironisches Danke fürs Tür aufmachen, du Arsch hinten drangefügt, entschied sich aber aus Praktikumsvertragsgründen dagegen.Hallo Flora, legen Sie das ganze Zeugs einfach auf meinen Tisch! Ihre neue Bluse steht Ihnen übrigens ausgezeichnet. So wie eigentlich eh alles, was Sie tragen.

Sie wussten beide, dass zumindest das mit der Bluse eine Lüge war, und Flora hatte auch gar keine Lust, weiter auf Eberweins billige Flirtversuche einzusteigen oder auf irgendeine Art mit ihm Small Talk zu führen. Deswegen beschränkte sie sich auch aufs Wesentliche, legte ihm die Immobilienzeitschriften, Postwurfsendungen und Kundenakten auf seinen gefakten Eichenholztisch und fragte ihn, ob er sonst noch irgendeine Aufgabe für sie hatte. „Nichts großartiges“, antwortete Eberwein. „Könnten Sie mir nur schnell diesen Objektplan zwei, drei mal kopieren und wieder ins Büro bringen? Aber bitte am besten unauffällig, wenn es geht. Wie soll ich sagen, die Pläne haben nur bedingt mit ,Enteignungen, Klammerth & Co‘ zu tun.“

Flora fing noch im selben Moment breitflächig zu grinsen an, als sie von Eberwein den Stapel an Papieren überreicht bekam, deren Deckblatt ein vierstöckiges Objekt in der Ägydigasse als Leerstand auswies. Eberwein, dem dieser Ausbruch an Heiterkeit natürlich nicht entgangen war, wurde neugierig. Es freut mich klarerweise, wenn Sie gut aufgelegt sind Flora, aber hat Ihr Lächeln gerade irgendeine spezielle Bedeutung?Flora erkannte, dass sie ihren Gefühlen wohl gerade etwas zu viel freien Lauf gelassen hatte und räusperte sich. Nein, nein, mich hat nur das Wort „Leerstand“ etwas irritiert.“ „Ich verstehe nicht ganz, antworte Eberwein, der nun  seinerseits etwas irritiert erschien. Ach, Sie haben es noch gar nicht gehört, stellte Flora immer noch leicht belustigt fest. Das Rammelnde Rindviech-Haus wurde gestern von Aktivistinnen instand besetzt …

Der anthrazitfarbene Büroteppich aus Flachgewebe, auf dem Eberwein hin und her marschierte um seine Gedanken zu ordnen, begann schon Furchen zu ziehen. Noch nicht ganz klar zu diesem Zeitpunkt war ihm nämlich, ob er die ganze Sache sportlich oder persönlich nehmen sollte. Eberwein hatte definitiv nichts gegen Hausbesetzer und auch nichts gegen besetzte Häuser, denn er gehörte ja quasi selbst einmal zu dieser Brut. Aber warum zum Teufel musste es ausgerechnet seine Immobilie sein und nicht irgendeine andere leerstehende Hütte in dieser verfluchten 291.000-Einwohnerstadt? Normalerweise würde sich das Problem ja spätestens mit Uni Beginn im Oktober oder Kälteeinbruch im November von selbst erledigen. Ohne Heizung an einer Bachelorarbeit über den Sprachwitz US-amerikanischer Stummfilme zu schreiben, konnte eine ziemliche Challenge werden, wenn man ohnehin schon zweimal den Abgabetermin verschoben hatte. Nur leider begannen inzwischen auch die Medien das Thema aufzugreifen. So titelte etwa die Onlineausgabe der eher konservativen Kleinen Zeitschrift:

Mutmaßliche Linksextremisten haben bürgerliches Wohneigentum als Geisel genommen! Rindviech-Haus in der Ägydiegasse wurde aufs Brutalste besetzt.“

Von Gewalt konnte zwar wirklich keine Rede sein, jedoch musste Eberwein es sich vorerst wohl abschminken, die Wohnungen, geschweige denn das ganze Haus, auf den freien Markt zu schmeißen. Kein Mensch würde ihm eine besetzte Bude abnehmen, zumindest nicht zu den vulgären Preisen, die er sich so vorstellte. Eberweins jüngeres Ich hätte sich bei dem Gedanken, jemals ein Haus räumen zu lassen, vermutlich postwendend selbst entführt, doch im Hier und Jetzt erschien ihm die Entscheidung nur logisch.

Letztendlich kostete es Eberwein nur genau 15 Minuten telefonische Zeit, um die Dinge in Gang zu setzen, die nach Ablauf eines 18-stündigen Ultimatums am folgenden Dienstag zur Mittagszeit ihren Höhepunkt finden sollten. Exakt um 17:45 Uhr begann er mit Immobilienanwalt Janosch Artnig, einem langjährigen Freund und Tischtennispartner, Rücksprache über die weitere Vorgehensweise zu halten. Dieser füllte noch während des Gespräches eine dementsprechende Vorlage aus und erstattete gemäß § 338 ABGB via E-Mail Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Gleich darauf, und zwar um exakt 17:59 Uhr, erkundigte sich Eberwein bei der zuständigen Polizeidienststelle, wann die Sause denn spätestens beginnen konnte. Gruppeninspektor Xandl Maisch, bei dem die Anzeige schon ausgedruckt auf dem Tisch lag, hatte den Anruf von Eberwein bereits erwartet. Er war kein Mann vieler Worte und hatte auch seinerseits bereits Rücksprache gehalten.

„Wir haben noch ein paar amtliche Dokumente zu stempeln, ein paar Leute zu mobilisieren und ein paar Schlagstöcke zu schmieren, Herr Stocker. Im Idealfall haben wir diese Chaoten auch schon wieder draußen, noch bevor morgen die Barbara Karlich Show startet!“

Denn Gruppeninspektor Maisch nahm die Angelegenheit durchaus sportlich. Um 18:00 Uhr legte er den Hörer auf und wies einen Untergebenen an, den Besetzerinnen das eingangs erwähnte Ultimatum zu stellen.

Obwohl von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt, war es für Eberwein bei weitem kein Schlaf der Gerechten, der ihn am selben Abend in seinem Boxspringbett übermannte. Vor allem aber war es kein dauerhafter. Als Eberwein um Punkt ein Uhr nachts entsetzt die Augen aufriss, hatte er das Gefühl, als würde man gerade eine Stalinorgel durch seine Gehörgänge feuern. Schmerzverzehrt griff er sich an seine Ohren und brauchte noch mindestens acht Takte des in ultrabrutaler Lautstärke gespielten D-Beats um zu realisieren, was hier vor sich ging. Vor seinem Bett schwebte eine Gestalt, deren Gesicht nach einer obskuren Mischung aus altem Iggy Pop und jungem Skeletor aussah. Sie war mit einem weiß-blauen Matrosenanzug bekleidet und wirkte darin, als käme sie gerade von einem Kindergeburtstag im wilhelminischen Deutschland. Auf ihrer Schulter trug die Gestalt einen Ghettoblaster, dessen Krach wiederum für den unglaublichen Schmerz in seinen Lauschern verantwortlich war. „What the fuck?! What the fucking fuck?! Wer verfickt nochmal bist du?“ Eberwein schrie so laut er konnte, um den Lärm des Blasters zu übertönen. Nachdem die Gestalt den Lautstärkenregler auf annähernd Null gedreht hatte, stellte sie sich mit höflicher und fast kindlicher Stimme vor: „Ich bin – so wie dir bereits im Vorfeld angekündigt wurde – der erste der drei Geister, die dich heute Nacht heimsuchen werden. Ich bin der Geist der vergangenen Hausbesetzung und heiße Heimo.“

„Alter! Abgesehen davon, dass ich vermutlich träume und ohnehin gleich aufwachen werde, aber mir wurde überhaupt nichts angekündigt!“

Das Gesicht des Geistes verfinsterte sich und seine leeren Augenhöhlen begannen rot zu glühen. „Das kann es doch wirklich nicht sein. Es ist immer das Gleiche. Da hat doch Marlies diese alte Schnapsdrossel schon wieder ihren Dienst verschlafen. Seit sie bei der Gewerkschaft ist denkt sie wohl, sie kann sich alles erlauben“ Heimo schüttelte resignierend den Kopf und stellte den Ghettoblaster neben sich in die Luft, wo dieser ohne fremdes zutun einfach ebenfalls vor sich hin schwebte. Danach fuhr er seine drahtig-skeletartigen Arme aus, um damit nach Eberwein zu greifen.

Einen Silberblitz, einen Donnerknall und einen Konfettiregen später fand sich Eberwein, wie konnte es auch anders sein, ebenfalls schwebend wieder. Genauer gesagt schwebte er links neben dem Geist der vergangenen Hausbesetzung, ungefähr vier Meter über dem verschlammten Vorhof der ehemaligen Sankt Andrä-Schule und direkt vor einem der großen, schäbigen Fenster selbiger. Nach Heimos Berührung fühlte sich Eberwein für einen kurzen Moment, als wäre es Silvester und LSD-Trip an einem Abend. Aber als die Sekunden der völligen Benommenheit vergangen waren, begann er zu realisieren, wo er sich befand. Man schrieb das Jahr 2007 und in Graz hatte man sich wieder einmal an einem gepflegten Squatting versucht. Die Besetzung des Objekts in der Grenadiergasse 2 dauerte nur wenige Tage an, doch in dieser einen Nacht ging dort eine ziemlich gute Party ab. Zumindest solange, bis Eberwein den politischsten Korb seines Lebens bekam. Um das Geschehen hinter der dreckigen Fensterscheibe besser beobachten zu können, reckte sein 2020er-Schwebe-Ich den Kopf nach vorne. Ein Konglomerat an Hausbesetzerinnen, Punks und Linke Szene-Grazern bevölkerte tanzend das ehemalige Klassenzimmer. Die Wände waren bereits mit Parolen a la „Spekulatius statt Spekulanten“ oder „Die Häuser denen die drin wohnen“ besprüht. Ein Aktivist verkaufte Billigbier zum Selbstkostenpreis und in der Ecke hatte man ein DJ-Pult, einen Plattenspieler und ein paar Boxen aufgebaut. Eberweins Blicke durchforsteten das Zimmer bis er fand was er suchte. Sich selbst und Lissy aus Wien! Lissy aus Wien war gleichermaßen alternativ wie hübsch. Im Gegensatz zu Eberwein, der eigentlich nur wegen dem üblichen Sehen und Gesehen-Werden in der Grenadiergasse war, hatte sie sich von vornherein an der Hausbesetzung beteiligt. Lissy tat was sie tat aus vollster Überzeugung und Eberwein hatte sich den ganzen Abend Mühe gegeben, sie mit seinem oberflächlichen Wissen über Judith Butler zu beeindrucken, das er irgendwann mal auf der Uni aufgeschnappt hatte. Lissy wiederum erzählte ihm von der Notwendigkeit feministischer Freiräume, und da er ihr nur halbherzig zuhörte, dachte er bis zu diesem Zeitpunkt auch, dass da heute noch was laufen könnte. Hätte Eberwein ihr nicht nur halbherzig sondern tatsächlich zugehört, hätte er wohl begriffen, dass Lissy aus Wien definitiv nicht hier war, um sich von einem random Szene-Grazer anbraten zu lassen. Er hätte verstanden, dass feministische Freiräume unter anderem bedeuten, als Frau auch mal abtanzen zu können, ohne dauernd fickfixierte Dudes abwimmeln zu müssen. Vor allem aber hätte er verstanden, dass der Versuch, Lissy während eines Songs der Band Bikini Kill zu küssen, völlig unangebracht war. Der Kussversuch endete damit, dass Lissy ihm zuerst in die Schulter boxte, um ihm dann ein „Was soll das denn jetzt, Oida?“ ins Gesicht zu brüllen. Die darauf folgende kurze, aber finale Standpauke über fehlenden männlichen Respekt lenkte auch die Blicke der anderen Tanzenden auf Lissy und ihn, worauf Eberwein wie ein begossener Pudel den Raum verließ und sich nachhause begab.

Eberweins 2020er-Schwebe-Ich, das diese Brachialabfuhr seit 13 Jahren erfolgreich verdrängt hatte, verspürte Wut auf sich selbst und Scham gleichzeitig. Er wandte sich von der Scheibe weg und dem Geist zu. War es das jetzt oder flattern wir hier die ganze Nacht deppert herum? Heimos leere Augenhöhlen begannen erneut rot zu glühen. Oh, der feine Herr ist des Schwebens müde! Nun gut, das können wir unverzüglich ändern. Wie auf Kommando besann sich die Schwerkraft ihrer eigentlichen Bestimmung und ließ Eberwein Richtung Boden sausen. Als er den zugrundeliegenden Schlamm berührte, brach er sich nicht wie befürchtet beide Beine, sondern begann bis über beide Ohren darin zu versinken. Das letzte was Eberwein sah, bevor er endgültig unter der Oberfläche verschwand, war eine plötzlich vor ihm stehende Lissy, die sich zu ihm hinunterbeugte, um an seinem linken Augapfel eine selbstgedrehte Zigarette abzudämpfen.

Aaaaaaaaaaaahhhhhhh! Schreiend wachte Eberwein auf. Natürlich geschah dies in seinem Bett und natürlich dachte er intuitiv, dies alles sei nur ein Traum gewesen. Erst als er die für seine persönliche Coolness relativ verschwitzte schwarze Seidendecke auf die Seite klappte, um aufs Klo zu gehen, überkamen ihn massive Zweifel daran. Sein halbnackter Körper, denn er schlief meist nur mit altem Band-Shirt und Boxershorts, war von den Zehenspitzen bis zum Hals mit Dreck überzogen. Eberwein beschloss, statt aufs Klo erst einmal unter die Dusche zu gehen, denn pinkeln konnte er auch dort. Es war zehn vor eins und langsam fing er an zu realisieren, dass hier irgendeine Scheiße am Rennen war, die nicht bloß auf einen unerwarteten Drogen-Flashback oder ähnliches zurückzuführen war. Als er 50 ml Giorgio Armani Shower Gel for Men und eine entleerte Harnblase später die Dusche verließ, wummerte es plötzlich mehrmals an seiner Wohnungstüre. Die Lautstärke deutete darauf hin, dass wohl The Incredible Hulk persönlich am anklopfen war und hätte Eberwein nicht bereites vorhin uriniert, wäre es ihm vermutlich spätestens jetzt die Füße hinuntergelaufen. Völlig verschreckt schnappte er sich seinen marineblauen Bademantel von Calvin Klein und schlich sich vom Badezimmer in Richtung Vorraum. Es war schrecklich. Der ungebetene Gast hatte sich bereits selbst Einlass verschafft, indem er einfach die Wohnungstüre aus ihren Angeln gedroschen hatte und stand schon im Zimmer.

„Oh Gott, nein, bitte nicht! Du, du, …“
„Ich weiß.“
„… du siehst aus …“
„Meine äußere Gestalt reproduziert die Ängste der Menschen, die ich besuche.“
„… wie eine überdimensionierte Zombieversion von Andreas fucking Gabalier!“

Auch der Geist der gegenwärtigen Hausbesetzung hielt sich nicht lange mit weiterführenden Erklärungen auf und nannte noch nicht einmal seinen Vornamen. Er streckte seine etwas verfaulten, aber durchaus muskelbepackten Arme nach Eberwein aus. Was danach folgte, war auch schon der bereits bekannte Silberblitz, gepaart mit einem Donnerknall und dem Konfettiregen sowie kurzfristiger und völliger Benommenheit. Doch statt irgendwo im Freien vor einer ehemaligen Schule zu schweben, fand sich Eberwein diesmal stehend inmitten eines unmöblierten, aber dafür schlecht tapezierten Wohnzimmers wieder. An den vergilbten Wänden konnte man noch jene sauberen Stellen sehen, wo zuvor vermutlich Bilder gehangen hatten. Fensterseitig lagen ein Schlafsack, eine Isomatte, mehrere Bücher, etwas Gewand, ein Rucksack und eine Bluetooth-Box. Eine nackte Glühbirne erhellte den Raum. Eberwein, der sich körperlich relativ transparent fühlte und auch optisch so wirkte, ging zum Fenster und glotzte hinaus. Zwei Stockwerke unter sich erblickte er die schwach befahrene, nächtliche Ägydigasse, auf der ein einsamer Bullenwagen im Schritttempo vor dem besetzen Rindviechhaus vorbeipatrouillierte. Als er sich wieder umdrehte bekam er fast einen Herzinfarkt, denn er hatte die weibliche Person nicht kommen hören, die ihm plötzlich und ohne Vorwarnung gegenüberstand. Es war die Praktikantin Flora Lichtenstein. Statt ihrer blauen Langarmbluse trug sie ein ärmelloses hellgrünes Shirt, eine Fischerweste mit einem Haufen Buttons drauf sowie enge und mit diversen Bandpatches benähte Jeans.

 Was zum Teufel machen Sie denn hier, Frau Lichtenstein? Selbige ignorierte Eberweins Frage und ging einfach durch ihn hindurch, um das Fenster zu öffnen. Danach nahm sie denselben Weg zurück, um zu der am Boden liegenden Isomatte zu gelangen und sich den Schlafsack zu richten. Fragend sah der verblüffte Eberwein nach dem Geist der gegenwärtigen Hausbesetzung, der sich inzwischen in eine Ecke verzogen hatte und an seiner Lederhose herumzupfte.

So dermaßen überrascht, Stocker? Noch nie einen stereotypischen Gruselfilm geguckt oder was? Sie hört dich nicht, sieht dich nicht und bemerkt dich nicht, und selbst wenn, würdest du sie wohl kaum interessieren. Der Geist konzentrierte sich nach wie vor auf sein Höschen, ohne Eberwein beim Sprechen eines Blickes zu würdigen.
Ja, aber was macht sie dann in meinem verdammten Haus?
Ja, was glaubst du denn, du Arsch? Sie engagiert sich politisch, organisiert Gremien, kämpft gegen Faschos und für Chancengleichheit! Weil Arschloch-Ausbeuterfirmen ihr als Praktikantin kaum Kohle zahlen und Arschloch-Spekulanten die Mietpreise in die Höhe treiben, hat sie ihre Wohnung verloren. Nicht jeder hat reiche Eltern, die einem notfalls mit der nötigen Kohle aushelfen. Hier hat sie einen Platz gefunden und hier würde sie sinnvolle kulturelle Arbeit leisten, wenn nicht morgen die Riotcops auftanzen würden, um die ganze Hütte wieder zu räumen.
Aber was hat das alles mit mir zu tun?
Alter, das fragst du wirklich noch?

Der Geist ließ endlich von seiner beschissenen Krachledernen ab, sah Eberwein in die Augen und sein halbverrottetes Gesicht deutete so etwas Ähnliches wie ein hämisches Grinsen an. Du weißt was mit Menschen passiert, die kein Dach über dem Kopf haben, oder Stocker? Ihre Welt stürzt ein. Der Geist schnippte laut mit den Fingern seiner linken Hand, wobei ihm ein Daumen abbrach. Wie in Zeitlupe begann die Decke zu zerbröckeln und Steinbrocken so groß wie Medizinbälle stürzten von ihr herab. Einer davon traf Flora auf den Kopf und brach ihr den Schädel. Entsetzt versuchte Eberwein zu ihr zu gelangen, um ihr zu helfen. Noch bevor er den leblosen und blutüberströmten Körper erreichte, wurde er selbst getroffen. Gar nicht mehr so physisch transparent wie noch kurz zuvor gingen ihm die Lichter aus.

Es war weder der mordsmäßige Kopfschmerz, noch der äußerst lästige Steinstaub in seinem Rachen, der Eberweins Lichter schließlich wieder zum Erhellen brachte. Viel mehr war es ein heftiges Gebeutel, das ihm ein Gefühl gab, als würde er sich in einem atombetriebenen Bandmassagegerät befinden. „Aufwachen, aufwachen, aufwachen – wir haben doch keine Zeit!“ Der Geist der ihn am Kragen hielt, wie wild schüttelte und schließlich auf die Füße zog, erschien sichtlich gestresst. Er oder besser gesagt sie trug ein türkisfarbenes Kleid, das mit einem schwarzen Wappenschild bestickt war. Das innere des Wappens schien zwei großen Ohren zu symbolisieren. Obwohl der Geist nicht augenscheinlich wie einer aussah, wirkten seine feinen Gesichtszüge und seine dunklen Augen trotzdem so, als wäre alles Leben in ihm schon sehr, sehr lange verloschen. Selbst die langen blonden und zu einem Zopf geflochtenen Haare versprühten einen indirekten Hauch des Todes. Ein kalter Schauder lief Eberwein den Rücken hinunter, der erst recht nicht wärmer wurde, als er merkte, dass er sich diesmal nicht in seinem Boxspringbett befand. Wäre es nämlich so gewesen, hätte er sich spätestens jetzt die Frage stellen müssen, warum er von dutzenden futuristischen SUVs umgeben war, die in Reih und Glied auf die Rückkehr ihrer Besitzer warteten. Die vielen Autos, die Überwachungskameras und der Umstand, dass an der gegenüberliegenden Betonwand „Ebene 3“ geschrieben stand, ließen jedoch darauf schließen, dass es sich hier um ein Parkhaus handeln musste. Ein riesiges sogar.

„Nein, sags nicht, du bist der Geist …“

… der zukünftigen Hausbesetzung! Das ist exakt, aber ich bevorzuge Caro.

Von mir aus Caro, aber wo …

… in der Ägydiegasse, Ecke Griesplatz im Jahr 2033! Tut mir Leid, wollte schon um zwei Uhr kommen, aber wurde bei einem Auftrag in Berlin-Friedrichshain etwas länger aufgehalten, als geplant. Wir müssen uns also beeilen, beeilen, beeilen.

Caro, die offensichtlich über unglaublich starke Kräfte verfügte, hob Eberwein einfach hoch und hievte ihn über ihre Schulter. Danach hetzte sie mit ihm zum offenen Westende der Etage und hielt ihn soweit auf die Straße hinaus, dass er Richtung Griesplatz blicken konnte. Offensichtlich beanspruchte das Parkhaus zumindest die letzten zwei bis drei Hausnummern der Ägydiegasse und auch des Griesplatzes. Dies wiederum warf bei Eberwein unweigerlich die Frage auf, wie das baulich wohl mit seiner eigenen Immobilie zu vereinbaren war. Primär hatte er allerdings Angst, von Caro fallengelassen zu werden. Der Griesplatz war völlig verändert und konnte eigentlich nur mehr als gentrifizierte Hipsterhölle bezeichnet werden. Die Kebabläden hatten alle typisch deutsche Namen und schienen nur mehr Vollkorndöner zu verkaufen. Alle traditionellen Geschäfte waren irgendwelchen Ketten wie Patagonia oder Apple gewichen. Eberwein konnte sogar ein dreistöckiges Barbershop-Center erkennen. Es war zum Kotzen!

Was ist denn das für eine Scheiße hier? Und wo ist die zukünftige …

… Hausbesetzung zu finden? Gibt keine mehr!

Willst du mich verarschen, warum bin ich dann hier? Warum zeigst du mir diesen clownesken Platz überhaupt?

Ach Gott, ach Gott, ach Gott. Hör zu! Nachdem du deine Hütte räumen hast lassen, war das ein schwerer Schlag für die Ambitionen der alternativen linken Szene in Graz. Die Demos wurden weniger, Konzerte veranstalten wurde immer schwieriger. Viele Aktivisten zogen nach Wien oder Deutschland, das Sub musste auch irgendwann schließen. Die ÖVP holte die Absolute und vergab sogar die Leitung des Explosiv an einen der ihren. Das ganze Programm also.

Die Absolute? Wegen mir? Hör zu das ist nicht …“

… nicht lustig? Nein, im Gegenteil. Und jetzt schnell, ich muss dir noch was anderes zeigen, zeigen zeigen.

Nachdem ihn Caro einige Male wie ein Wurfgewicht hin und her geschwungen hatte, ließ sie ihn los. Einer Rakete ähnelnd schoss Eberwein in einem 85 Grad Winkel über die Dächer von Graz hinfort in den Äther hinauf und in fast gleich steilem Winkel wieder hinab. Druck und Geschwindigkeit waren so hoch, dass er es nicht einmal schaffte, sich vor Angst in die Hose zu machen. Wie eine menschliche Bowlingkugel schlug er am Boden des eigentlich nur drei Kilometer entfernt liegenden Grazer Zentralfriedhofs auf und räumte ein halbes Dutzend Grabsteine ab. Schließlich kam er vor einem frisch ausgehobenen Grab zu erliegen, das aber bereits mit einem provisorischen Holzkreuz versehen war. Eberwein fühlte sich, als hätte ihn ein Autobus überrollt. Nach geraumer Zeit schaffte es er endlich, sich aufzurappeln. Was er auf dem Holzkreuz zu lesen bekam, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren und er sank auf die Knie: „Eberwein Stocker, 30.05.1981 – 29.06.2033“

Aber wieso, aber wieso? wimmerte Eberwein vor sich hin. Weil du es so wolltest! sprach Caro, die in bester Geistermanier plötzlich hinter ihm stand. Eberwein richtete sich schwerfällig auf und drehte sich um. Er hatte Tränen in den Augen und Dreck am ganzen Körper.

Was soll das heißen, ich wollte …
… es so? Hast dich ganz schön verspekuliert, mein Lieber! Anstatt die Wohnungen einzeln zu vermieten, musstest du ja letztendlich das ganze Haus verkaufen. Weit unter seinem tatsächlichen Wert wohlgemerkt. Es wurde vom neuen Eigentümer abgerissen, da eine Parkgarage zweckdienlicher erschien. In den darauffolgenden Jahren hast du deinen gesamten Gewinn an der Börse verloren, weil du an ein Comeback von Verbrennungsmotoren geglaubt hast. Letztendlich hast du dich dann aus Frust darüber totgesoffen.

Eberwein sank erneut auf die Knie und weinte wie ein kleines Kind. Ohne irgendeinem Ausdruck von Mitleid schritt Caro auf ihn zu und stupste ihn mit ihrem rechten Zeigefinger gerade so fest an, dass er rücklings in seine letzte Ruhestätte purzelte. Wie paralysiert lag er nun in seinem Grab und blickte nach oben. Er konnte nicht einmal mehr schreien, als Caro schließlich begann, Erde auf ihn hinabzuschaufeln.

Die Sonne lachte durch das Schlafzimmerfenster seiner schicken Maisonette-Wohnung in Graz-Geidorf, und kitzelte Eberwein an den Wangen. Dieser öffnete die Augen, schnappte wie wild nach Luft und versuchte panisch, die feuchte Grabeserde aus Mund und Nase zu bekommen. Er befand sich wieder in seinem Boxspringbett unter seiner schwarzen Seidenbettwäsche. Alles war versaut mit Schlamm, Staub und Dreck. Scheiße, scheiße, scheiße! Die Digitaluhr auf seinem Nachtkästchen zeigte 13:12 Uhr, was wiederum bedeute, dass die Räumung des Rindviech-Hauses bereits seit über eine Stunde im vollsten Gange war. Eberwein stürmte ins Bad, soff erst einmal einen Liter Wasser direkt aus dem Hahn und hielt danach einfach nur seine verdreckte Birne lange genug unter den Brausekopf der Dusche, um nicht mehr wie ein jüdischer Golem auszusehen. Dann warf er sich in sein erstbestes Gewand, suchte sein Handy, fluchte, weil er es nicht gleich fand, und rief sich schließlich ein Taxi.

Schneller, schneller, schneller, jetzt geben Sie doch bitte mal Gas!
Hören Sie jetzt endlich auf? Es ist immer noch Rot! Ich kann da nicht einfach drüber brettern, nur weil Sie glauben, dass der Besitz eines Führerscheins überwertet wird und die Farben einer Ampel bloß zur Verschönerung des Straßenbildes dienen.

Jede andere Taxifahrerin hätte Eberwein wohl längst aus dem Auto geschmissen und sich einen neuen Fahrgast gesucht, doch die Frau am Steuer mit Namen Marlies blieb cool. Sie war von ihrem nächtlichen Zweitjob noch ganz andere Sachen gewöhnt. Als sie nach knapp 10 Minuten ihr Ziel erreichten, warf ihr Eberwein einen 50-Euroschein zu, was einer Trinkgeldspanne von circa 380 % entsprach, und stieg eiligst aus. Das Taxi konnte nicht bis ganz vor das Rindviech-Haus fahren, weil die Polizei einen Teil der Ägydigasse für die Räumung gesperrt hatte, also hastete er den Rest des Weges zu Fuß. 50 Meter weiter und eine behördliche Personenfeststellung später erreichte er schließlich seinen Besitz, doch der Besetzungsofen war bereits aus. Gruppeninspektor Xandl Maisch höchstpersönlich zerrte just in diesem Moment den letzten verbliebenen Squatter mittels Schmerzgriff aus dem Haus hin zu einem Einsatzfahrzeug. Er hatte wie versprochen noch vor Beginn der Barbara Karlich-Show ganze Arbeit geleistet.

Epilog: Die in Graz ansässigen Initiatorinnen der Besetzung staunten nicht schlecht, als Eberwein keine zwei Wochen später mit einem erstaunlichen Angebot an sie herantrat. Zuerst ziemlich und wohl zurecht skeptisch mussten sie feststellen, dass der Mietvertrag für das ehemalige Wirtshaus „Zum Rammelnden Rindviech“ durchaus wasserdicht war. Ein symbolischer Euro monatlich für eine vorerst zehnjährige Laufzeit war mehr als nur fair und Eberwein hatte sich sogar um eine dauerhafte Veranstaltungskonzession gekümmert. Das einzige was der neu gegründete Verein „Graz von Unten“ im Gegenzug dafür tun musste war, sich eigenständig um die Instandhaltung zu kümmern. Noch weniger schlecht staunte allerdings Flora Lichtenstein, als Eberwein ihr am Ende ihres Praktikums in seinem Büro bei „Enteignungen, Klammerth & Co“ eine Schenkungsurkunde über eine Wohnung im zweiten Stock des Rindviech-Hauses in die Hand drückte. Er sagte, er wolle absolut keine Gegenleistung dafür haben und sie solle das Ganze annehmen oder eben nicht. Was die restlichen fünf Wohnungen betraf? Nun ja, die verkaufte Eberwein tatsächlich! Zwar gerade mal um so viel, dass er selbst pari ausstieg, denn welcher Upper Class-Schnösel wollte schon über einem Lokal wohnen, wo ständig Punkkonzerte stattfanden, aber damit konnte sich Eberwein inzwischen abfinden. Die Vereinsmitglieder, zu denen von Anfang an auch Flora gehörte, bedankten sich auf ihre eigene Art und gewährten ihm freien Eintritt auf Lebenszeit. Dass Eberwein getreu dem Motto „Pay what you can“, trotzdem jedes Mal blechte, schien jedoch auch niemanden weiter zu stören …