(1) Karin Tschavgova-Wondra (Architektin und Architekturvermittlerin) ◄
In der wachsenden Stadt Graz boomt der Wohnungsbau. Zeit, um nachzuschauen, ob das konjunkturelle Hoch dazu führt, größere Vielfalt und höhere Standards des Wohnens zu entwickeln.
Wer sich mit der in Österreich singulären Entwicklung der Architektur in Graz und der Steiermark ab den 1980ern beschäftigt, der weiß, dass dem Wohnungsbau dabei eine entscheidende Rolle zukam. Das von der damaligen Landesregierung initiierte Modell Steiermark legte in einem dem Wohnen gewidmeten Arbeitskreis besonderes Augenmerk auf eine qualitative Anhebung der Wohnsituation – weg vom reinen Funktionalismus des Wiederaufbaus hin zu einem zukunftstauglichen sozialen Wohnbau, der auf die nun bessere ökonomische Basis der Bewohner*innen und ihre daraus entstehenden Ansprüche, etwa nach privatem Grün, eingehen sollte.
Auch das Ende dieser fast eineinhalb Jahrzehnte dauernden Initiative ist bekannt. Das Wohnbau-Experiment wurde nach einem wahlbedingten Wechsel der politischen Verantwortung 1992 als gescheitert erklärt und ziemlich abrupt beendet. Von eitler Selbstverwirklichung der Architekten war die Rede und davon, dass einiges misslang. Gründe dafür könnten viele aufgezählt werden. Manch ein Scheitern war systembedingt, etwa durch das enge Korsett der Förderrichtlinien und ein Business-as-usual-Gebaren vonseiten gemeinnütziger Wohnungsgenossenschaften. Danach entzündete sich jede Diskussion über einen zukunftsgerichteten sozialen Wohnungsbau an zu geringen Fördermitteln bei hohen Baukosten und stets wachsenden bauphysikalischen Vorschriften, die die Umsetzung von architektonischer Qualität und Vielfalt angeblich unmöglich machte.
Seit Jahren steigt die Einwohner*innenzahl von Graz kontinuierlich und die Stadt hat offensichtlich immensen Bedarf an neuen Wohnungen. Man muss weder besonders fachkundig sein noch als Flaneur*in bis in entlegene Stadtrandgebiete wandern, um staunend zu sehen, wie derzeit letzte Baulücken, städtische Brachen und ehemals landwirtschaftlich genützte Flächen verbaut werden. Kein Zweifel, Bauen in Graz hat Hochkonjunktur.
Geändert haben sich Strukturen und Prämissen der Wohnversorgung. Geförderter Wohnbau, der nur von gemeinnützigen Bauvereinigungen und Kommunen errichtet werden kann, ist in den Hintergrund getreten. Ein Großteil der Wohnungen wird heute über Banken finanziert […]. Investoren sind Immobilienentwickler, die sich auf die Errichtung von Wohnraum konzentrieren und Unternehmen, die als selbstständig tätige Zweige aus gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften hervorgegangen sind, um gewinnorientiert bauen zu können. Wohnungsbau ist in Zeiten, in denen Vermögende ihr Geld lukrativer anlegen wollen als auf der Bank, ein gutes Geschäft geworden.
Nachfrage schafft Angebot und vice versa – das war immer schon so. Neu am aktuellen Wohnungsmarkt ist, dass Nutznießer und Verbraucher nicht mehr in einer Person vereint sind. Wer kauft, bewohnt sein Anlageobjekt nicht selbst und Mieter*innen haben keinerlei Einfluss auf seine Qualität, Größe und Ausstattung. Wohnqualität als wesentliche Grundlage für ein gutes Leben kann oder – besser gesagt – könnte ausschließlich die Käuferin oder der Käufer einfordern. Zeit also, um Nachschau zu halten, ob und wie dieser Qualitätsanspruch zurzeit in Graz – der Stadt, die um neue Bürger*innen wirbt – erfüllt wird – heute, wo Wohnungspreise in Graz statistisch bei 4.000 Euro und mehr pro Quadratmeter liegen.Fest steht, dass der Wohnungsmarkt in drei Teile zerfällt. [Der erste Teil umfasst] hochpreisige Wohnungen, die als Luxus und privates Paradies angeboten werden. [Der zweite Teil umfasst] geförderte Wohnungen in Großanlagen, die in Miete oder Mietkauf vergeben werden. Hier prüft der sogenannte Wohnbautisch die Einhaltung der Förderrichtlinien. Innovation sucht man hier vergeblich, aber das Bemühen um eine funktionelle Optimierung immer kleiner werdender Wohnungsgrundrisse und die Erhaltung von Standards wie zweiseitiger Orientierung ist ablesbar. Und dann gibt es noch den frei finanzierten Wohnungsbau, der Rendite versprechende Vorsorge- und Anlegerwohnungen anbietet. In einem solchen Angebot wie z.B. dem Bauvorhaben Brauquartier Puntigam, in dem rund 800 Wohnungen errichtet wurden, sinken Qualität, Größe und Ausstattung der Wohnungen auf erschreckend niedrige Mindeststandards.
Die Qualität des Wohnbaus regelt zurzeit nicht einmal mehr der Markt. Weiters: Frei finanzierter Wohnungsbau zeigt nur in seltenen Einzelfällen höhere Wohnqualität als der geförderte. Von Experimenten in Graz keine Spur. Und die wichtigste Erkenntnis: Eine breite Entwicklung und Realisierung zeitgemäßer, an gesellschaftliche Veränderungen angepasste Wohnformen findet auch in Zeiten der Wohnbaukonjunktur nicht statt. Ein sozialer Wohnbau bräuchte erneut politische Rückendeckung und eine Steuerung, die durch Anreize und Engagement gekennzeichnet ist, damit Wohnen als Grundrecht besser, schöner und damit lebenswerter werden kann. Der Weg dahin scheint heute nicht kürzer zu sein als in den 1980ern, als in der Steiermark Architekt*innen immerhin zu Experimenten animiert wurden.
(1) Der hier veröffentlichte Text ist eine gekürzte und bearbeitete Version des Artikels, der erstmals unter dem Titel „Es boomt, aber tut sich etwas?“ im Feuilleton Spectrum der Tageszeitung Die Presse am 24.6.2017 erschienen ist.