krankenpflege – zwischen diskurs, wirbel und wahrhaftigkeit

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Angelika Führer, Sofia Hinger, Lena Lampersberger, Gerhilde Schüttengruber ◄

Frau K. war einsam – inmitten einer Klinik voller Menschen. Und Einsamkeit tut weh. In der Nacht bevor sie verstorben ist, hat sie mir noch etwas gegeben. Wahrhaftigkeit. Ich bin in meinem Beruf schon einige Male auf so eine Wahrhaftigkeit gestoßen – aber im Wirbel des Alltags ging sie immer verloren. In dieser Nacht ist Frau K.s Tumor aufgebrochen. Der Tumor, der ihr die Einsamkeit gegeben hat. Frau K. berichtete mir von einer beruhigenden Angewohnheit der Menschen – der Vermeidung. Dem Menschen im Alter, in Krankheit oder Tod vielleicht nicht das Richtige zu sagen, lässt uns verstummen, ihn uns meiden. Und dann wird zwischenmenschlich nur noch an der Oberfläche gekratzt. Frau K. sagte, endlich mit jemanden über das Sterben zu sprechen, tue gut. Gerade heraus. Aufrichtigkeit könne sie gut vertragen. Frau K. sagte, diese Gabe solle ich mir bewahren. Und da habe ich endlich wieder die Schönheit meines Berufs wiedergefunden. So nah dran sein zu dürfen.“

So schildert eine Pflegeperson eine Begegnung mit einer Patientin. Die Pflege von pflegebedürftigen oder sterbenden Menschen ist für sie Arbeitsalltag und findet nun auch zusehends mehr Bedeutung im gesellschaftlichen und politischen Diskurs. Dieser Diskurs ist von einer gewissen Vielfältigkeit geprägt, denn das Thema Pflege wird auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert. Der Diskurs findet auf der Ebene der Kosten, auf der Ebene des eklatanten Personalmangels oder auf der Ebene der demographischen Entwicklung, welcher ein massiver Anstieg an pflegebedürftigen Menschen angelastet wird, statt. Selten findet der Diskurs auf der Ebene der pflegebedürftigen Menschen statt, denn diese würde eine diffizile Betrachtungsweise der Thematik erfordern. Eine Betrachtungsweise, bei der es um Bedürfnisse geht, um Würde und darum, wie wir als Gesellschaft mit denjenigen Menschen umgehen, beziehungsweise umgehen wollen, die Pflege bedürfen. Die Ebenen, wie Kosten, Personal und Anzahl an pflegebedürftigen Menschen, auf denen der Diskurs geführt wird, sind zweifelsohne wichtig, denn gute Strukturen und ein funktionierendes System sind notwendig, um Pflege gewährleisten zu können. Doch ein Diskurs um Würde, Bedürfnisse und die grundsätzliche Fragestellung, was wir als Gesellschaft wollen, muss auch diskutiert werden. Wäre sich die Gesellschaft grundsätzlich einig, wie man mit Pflegebedürftigkeit umgehen möchte, dann wären viele Diskussionen auf Struktur- und Systemebene einfacher zu führen und mancher Diskurs würde überhaupt nicht geführt werden. Pflegebedürftigkeit könnte als Phänomen des Lebens betrachten werden, welches auf Grund des medizinischen Fortschrittes länger und komplexer auftreten kann und vielen Professionen eine sinnvolle Aufgabe gibt. Zudem betrifft und beeinflusst diese Art des Diskurses nicht nur die pflegebedürftigen Menschen, sondern auch jene, die in den unterschiedlichsten Bereichen arbeiten, wo Pflegeleistungen angeboten werden. Denn die Pflege älterer Erwachsener ist kein beliebter Karriereweg. Lieber möchten (angehende) Pflegende mit Kindern oder jungen Menschen arbeiten, da diese Arbeit als herausfordernder und spannender empfunden wird. Die Arbeit mit älteren Erwachsenen wir als undankbar und frustrierend angesehen (vgl. Liu et al., 2015) und ältere Personen werden vor allem aufgrund ihrer eventuell verminderten körperlichen Gesundheit stigmatisiert. Besonders Personen über 80 Jahre können aufgrund ihres erhöhten Risikos für Pflegeabhängigkeit davon vermehrt betroffen sein (vgl. North und Fiske, 2013).

Selten findet der Diskurs auf der Ebene der pflegebedürftigen Menschen statt, denn diese würde ein e diffizile Betrachtungsweise der Thematik erfordern. Eine Betrachtungsweise, bei der es um Bedürfnisse geht, um Würde und darum, wie wir als Gesellschaft mit denjenigen Menschen umgehen, beziehungsweise umgehen wollen, die Pflege bedürfen.

Die Thematik, wie Pflegepersonen die Pflege älterer Erwachsener sehen, wurde kürzlich am Institut für Pflegewissenschaft an der Medizinischen Universität Graz untersucht: Von Pflegepersonen, die in der täglichen Praxis arbeiten, wird die Arbeit mit älteren Personen positiv betrachtet. Die Arbeit mit älteren Erwachsenen wird von Pflegepersonen als herausfordernd und arbeitsintensiv gesehen, aber sie meinen ebenso, dass sich die investierte Energie und Zeit lohnt. Dies spiegeln auch Kommentare aus der Praxis wider, die hier einen Einblick in die Care-Arbeit im geriatrischen Bereich geben sollen:

„Care-Arbeit sprengt die Grenzen des gewöhnlichen Pflegens. Es handelt sich um eine Sorgekultur, die eine gewisse Haltung für das Gegenüber mitbringen muss. Speziell in der Gerontologie oder der Palliative Care, bedarf es eines Blicks von außen und eines Schrittes zurück, um die Bedürfnisse herauszufiltern und interdisziplinär handeln zu können. Die Zeit, die das Pflegepersonal dabei beim Patienten oder bei der Patientin verbringt, ist hierfür ein essentielles Instrument.“

© Pixabay

„Am Lebensende ist es genau diese Arbeit, die Care-Arbeit, die im Sinne eines ganzheitlichen Pflegekonzeptes gemeinsam mit der betroffenen Person versucht, die vorhandene Lebensqualität zu optimieren oder beizubehalten: Und dies geht weit über die Symptomkontrolle wie Schmerzlinderung oder Reduktion einer Dyspnoe-Symptomatik hinaus. Oftmals ist es das gemeinsame Aushalten, das Da-Sein oder das gemeinsame Schweigen in einer absoluten Ausnahmesituation.“

Liu, Y. E., Norman, I. J. & While, A. E. 2015. Nurses’ attitudes towards older people and working with older patients: an explanatory model. Journal of Nursing Management, 23, 965-73.
North, M. S. & Fiske, S. T. 2013. Subtyping Ageism: Policy Issues in Succession and Consumption. Social Issues Policy Review, 7, 36-57.

Angelika Führer BScN, DGKP Geriatrische Gesundheitszentren Graz
Sofia Hinger BScN, MMSc, DGKP Gerontopsychiatrie KH der Elisabethinen und ehrenamtliche DGKP im Vinzidorf Hospiz
Lena Lampersberger BScN, MSc, DGKP Institut für Pflegewissenschaft/Medizinische Universität Graz
Gerhilde Schüttengruber BSc, MSc, DGKP Institut für Pflegewissenschaft/Medizinische Universität Graz