wenn die verordnung nicht der vielfalt entspricht

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Lidija Krienzer-Radojević ◄

Seit dem ersten Tag der Gesundheitskrise war die Kulturbranche mit mannigfaltigen Unsicherheiten und Beschränkungen konfrontiert. Nicht nur griffen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie stark in die Produktion und in den Konsum kultureller Tätigkeiten ein, auch wurde augenscheinlich, wie beschränkt Kunst und Kultur von der Politik wahrgenommen werden. In den zahlreichen Verordnungen fanden meistens nur Veranstaltungen sehr eng definierter Kulturstätten und „professioneller“ Künstler*innen und Kulturvermittler*innen Beachtung. Doch als Geschäftsführerin der IG Kultur Steiermark war ich täglich mit vielen queeren Formen, Personen und Formaten in Kunst- und Kulturbereich konfrontiert, die in den vorgeschriebenen Definitionen keinen Platz gefunden haben. Das soziale Feld der Kultur umfasst diverse Produktions- und Arbeitsweisen. Die Beteiligten sind sowohl ausgebildete Künstler*innen, Kulturmanager*innen, Kulturvermittler*innen, etc., als auch und sogar im überwiegendem Maße Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen und Lebensgeschichten ohne eine formelle Ausbildung und „Nachweispapiere“ diesen Bereich gestalten, neue Symbole, Bilder und Klänge entwickeln, ihn lebendig halten und ihn vielfältig und zugänglich für alle machen. Sie arbeiten in Mischformen als Laien und Profis zusammen, side by side, entwickeln Projekte, bei denen vielmehr der Prozess und die soziale Wirkung im Vordergrund stehen als die bloße Veranstaltung, die das Publikum unterhalten soll und ein paar Münzen in die Kasse bringt. Es war ein langer Weg, dass die Politik und Verwaltung auch diesen Gruppen, Prozessen und Formaten mehr Beachtung zukommen lässt. Da die Pandemie so lange angedauert hat, haben schlussendlich einige doch Berücksichtigung in den Hilfen und Verordnungen gefunden. Doch viele blieben sich selbst überlassen und wir als IG Kultur mussten viel improvisieren.

Dünn und dünner

Der Kulturbereich ist sehr divers. Diese Feststellung verkünden wir sehr stolz. Doch es gibt noch eine „Vielfalt“, die man sich nicht als Erfolg an die Fahnen heften kann. Sie betrifft die soziale Lage von Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Die bestehenden Ungleichheiten, die von der WIFO-Studie Ökonomische Bedeutung der Kulturwirtschaft und ihre Betroffenheit in der COVID-19-Krise im Jahr 2020 hervorgehoben worden waren, wurden durch die Pandemie noch vertieft, wodurch die andere Vielfalt – jene der vielfältigen Kulturlandschaft – bedroht ist. Die Beschäftigungsverhältnisse in diesem Bereich stellen seit Jahren einen politischen Konflikt dar. Das Hauptproblem der Arbeitenden im Kulturbereich, insbesondere bei Selbstständigen, ist die Auflösung von Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben, die fehlende soziale Absicherung und geringe Einkommenssicherheit, wodurch Betroffene ihre Existenz oft nicht bestreiten können. Die COVID-19-Krise hat die Arbeitsbedingungen für das kulturelle Prekariat noch verschärft (sowohl für Personen als auch für Initiativen) und gleichzeitig Organisation, Produktion und Arbeitsweisen auf den Kopf gestellt (z.B. der schnelle Wechsel zu virtueller Kunst und Kultur, Stand-by-Produktionen und Distance-Zusammenarbeit). Die Kulturtätigen standen vor einer herausfordernden Aufgabe: In einer zugespitzten, existenziell unsicheren Lage mussten sie extrem innovativ, sparsam (weil doch jede Techno-Innovation viel kostet) und kreativ agieren. Wenn man berücksichtigt, wie beispielsweise das Kaufhaus Österreich – ein Projekt, das sehr hohe Kosten verursacht hat – grandios gescheitert ist, dann Hut ab vor allen Kulturmacher*innen, die diesen Salto Mortale geschafft und überlebt haben. Aus diesem Grund brauchen wir jetzt dringend eine dynamische und progressive Kulturpolitik, die nicht nur effektiv Maßnahmen gegen die negativen Auswirkungen der Krise setzt, sondern auch alte politische Versäumnisse und verpasste Möglichkeiten bezüglich der Regelung der Arbeitsverhältnisse in diesem Sektor richtig stellt.

Zusammenhalt

Und jetzt ganz persönlich: Die Pandemie war lang, geprägt von viel unbezahltem Engagement und emotional anstrengend, die ganze Zeit hindurch sind mir viele traurige Geschichten und oft Verzweiflung zu Ohren gekommen und auch Enttäuschungen über die Kulturpolitik mussten verarbeitet werden. Jedoch, es gibt ein großes positives Aber: Die Pandemie hat uns als Team und Organisation gezeigt, wie gut wir österreichweit zusammen arbeiten können. Es war beeindruckend, was Solidarität, Zusammenhalt und respektvoller sowie offener Austausch bewirken können. Diese Haltung haben wir auch nach Außen getragen. Wir haben laufend unsere Mitglieder und die breite Öffentlichkeit mit Informationen versorgt. Wir waren zugänglich für alle, die Hilfe brauchten und haben ausdauernd die Interessen einer vielfältigen (in jedem Sinn) Freien Szene mitgetragen. In Hinblick auf die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und der global bestehenden Klimakrise sowie politischer Ausgrenzung und Spaltung, die zwei Corona-Jahren geprägt haben, werden wir diese solidarische Haltung und ein „über den eigenen Tellerrand schauen“ noch mehr brauchen.