gefahrlos & gemeinsam?

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Joachim Hainzl und Eva Ursprung ◄

In den letzten Jahren mehren sich wieder jene gesellschaftlichen Themen, die dazu führen, dass ich mich mit Bekannten, Befreundeten und Verwandten streite, aus dem Zimmer gehe, um Diskussionen zu vermeiden oder sogar den Kontakt zu ihnen abbreche, da ich sie einfach nicht verstehe bzw. verstehen will. Da gibt’s einfach keinen gemeinsamen Nenner, da gibt’s nur Lager, kaum was dazwischen, nur Schwarz oder Weiß, nur wahr oder falsch, kein Platz für Kompromisse. 

Interessanterweise verlaufen diese Gräben nur teilweise an altbekannten ideologischen Bruchlinien von „Links“ und „Rechts“. Jedenfalls gibt es bei allen diesen Themenstellungen eine starke persönliche Betroffenheit und damit eine emotionale Ebene, die immer mitspielt bzw. damit verbunden eine starke subjektiv geprägte (oder zumindest so erscheinende) Argumentationslinie.   

Vom Rauch der Freiheit und der Kultur des Solidarischen

Da gab es zum Beispiel die Diskussion um Rauchverbote. Ich als Nichtraucher hab das eigentlich recht logisch gefunden, dass ich ein Recht darauf habe, im öffentlichen Bereich oder in Lokalen von Zigarettenrauch unbehelligt bleiben zu können. Aber was waren das für Debatten, zum Beispiel in dieser etablierten Kunsteinrichtung in Graz, bei der ich damals dabei war. Wie wurde da im Namen der Freiheit (der Kunst) gegen die obrigkeitsstaatliche Einschränkung gewettert. 

Dann die Diskussionen um Flüchtlinge. Welcome oder nicht welcome. Bereicherung oder Gefahr. Auf eine Seite galt und gilt es sich zu schlagen. Und wieder war/ist jede/r betroffen, kennt in meinen Workshops jede/r Jugendliche einen Flüchtling, ist von einem angesprochen worden. Dann diese ÖVP-FPÖ-Regierung als ein Resultat derartiger Emotionalisierungen und Popularisierungen (ob es die ohne Ibiza immer noch gäbe?). Damit einher ging die Diskussion um islamistische Terroranschläge, die Gefahr durch einen offensiven Islam, Burkaverbot und kopftuchtragende Frauen. Aufgrund dieses Themas und der fruchtlose Debatten dazu habe ich die langjährige Zusammenarbeit mit einer Einrichtung in Graz beendet, habe ich bemerkt, dass man besser nicht bei einer anderen Einrichtung zu sehr anstreifen sollte und sind zwei Lokale in der Südsteiermark auf meiner schwarzen Liste (da ich wegen der Wirte und ihren Aussagen keine Lust mehr habe, dort hinzugehen).  

Von der freitäglichen Zukunft in den Pandemiealltag

Dann die „Fridays for Future“-Bewegung. Hat jemand von euch vor zirka zwei Jahren mal die Facebook-Kommentare zu Greta Thunberg gelesen? Wie viele untergriffige, gemeine  persönliche Beleidigungen da einfach so rausgeschrie(b)en werden. Es geht nicht um Argumentationslinien, da geht’s um Emotion pur. 

Als ob das alles in nur wenigen Jahren nicht schon genug an anscheinend überfordernden Themen gewesen ist, kommt dann jetzt diese Pandemie daher. Damit verbunden Teile meiner Verwandtschaft, die ich am liebsten auf den Mond schießen möchte, wenn sie mit ihren Verschwörungstheorien anfangen. Mich ärgert meine Hilflosigkeit in den Diskussionen, weil verdammt nochmal, wie soll ich denn den Überblick haben, ob alle Maßnahmen tatsächlich notwendig sind? Ja, ich bin auch total verärgert über die Einschränkungen im Kulturbereich, von denen ich selbst betroffen bin und ja, ich warte auch auf die Impfung, in der Hoffnung, wieder etwas von meiner Mobilität zurückzugewinnen. Apropos Impfung: Da versuche ich zwar immer noch teilweise, ImpfgegnerInnen mit Sachargumenten und sachlichen Vergleichen zu begegnen. Aber es scheint ein Kampf gegen Windmühlen zu sein. Kleines Beispiel gefällig? Eine 90-jährige Bekannte war sich unsicher ob sie sich impfen lassen sollte, weil viele in ihrem betreuerischen Umfeld dagegen sind. Als sie dann letzte Woche, unter anderem durch meine Überzeugungsarbeit, ihren Impftermin bekommen hatte, meinte sie dann: „Wie soll ich das meiner Pflegerin sagen, die macht sich ja so Sorgen um mich.“ Hallo, jetzt bin ich als derjenige, der jemanden zur Impfung rät, im Lager der Sorglosen? Ich bin jedenfalls erschöpft davon, mit anderen über das Thema „Impfung“ zu reden. Wenn es so viele gibt, die sich nicht impfen lassen wollen, sollen sie doch, dann bekomme wenigstens ich hoffentlich einen schnelleren Impftermin. 

Wo soll ich mich denn nun positionieren?

Wie vorhin gesagt, die Bruchlinien in diesen so stark ideologisierten Diskussionen verlaufen quer durch alle Gruppierungen, Schichten, Altersklassen. Leute, von denen ich es niemals gedacht habe, stehen auf der anderen Seite eines unüberwindlich erscheinenden Grabens. Klar, was erkennbar ist, ist der Umstand, dass populistische Politik, mit einer großen Prise Verschwörungstheorie  in so einer Stimmung Hochkonjunktur feiert. Aber verdammt nochmal, ich stehe staatlichen Eingriffen ins Privatleben ja auch kritisch gegenüber, ich verwehre mich gegen zu viele Verbote, Überwachung und Strafen. Wie also mich jetzt positionieren wenn die staatskritische und überwachungskritische und verbotskritische Position schon von Leuten besetzt ist, mit denen ich aber sicher nichts zu tun haben möchte?

Was soll ich noch weiter schreiben? Ich habe für mich nur diese Beobachtungen. Ich weiß auch nicht genau, was die Lösungen sein könnten. Ist das ein Zeichen von Überforderung? Sind Leugnen, Ignorieren, Bagatellisieren, Ironisieren oder sich fatalistisch dem Schicksal ergeben die irrationalen Antworten auf diese Überforderungen? Ich jedenfalls versuche in meinen emotionalen Energiehaushalt Überhitzungen zu vermeiden. Das bedeutet teilweise einen Rückzug ins private, überschaubare Glück und eine Abschottung von allem und allen, mit dem/der bzw. denen ich nichts zu tun haben will.

Ich hoffe für mich, dass das nur eine Zwischenlösung ist.

Die Trotzmacht der Kultur

In meiner Kulturinitiative arbeiten regelmäßig etwa 30 Personen in ihren Ateliers. So schwierig die Zeit gerade für Musiker!nnen, Performance und Theater ist – in der bildenden Kunst geht es unermüdlich weiter mit Ausstellungen, Aufträgen und Ankäufen.

Langfristig geplante und geförderten Projekte müssen stattfinden, man muss aktiv und sichtbar bleiben, die Infrastruktur aufrecht erhalten, Miete zahlen, Mitarbeiter!nnen halten, die Basis für ein Weiterbestehen in einer immer schwerer vorstellbaren zukünftigen Normalität bewahren. Also gilt es, Veranstaltungsräume trotzdem sinnvoll zu nutzen, sich ständig wechselnden Verordnungen anzupassen, sich permanent neu zu erfinden. Die größte Herausforderung ist jedoch, den Mut nicht zu verlieren, kreativ zu bleiben und neue Wege zu finden, die Kunst zu den Menschen zu bringen.

Was neben dem haptischen Kunsterlebnis fehlt, ist der Kontakt mit den Rezipient!nnen, die Eröffnungen, die Gespräche. Ohne Feedback und mit drastisch reduzierten Besuchsmöglichkeiten entsteht das Gefühl, ins Leere zu arbeiten: Oft über Jahre konzipierte und produzierte Ausstellungen werden aufwendig aufgebaut und warten wochenlang in menschenleeren Häusern darauf, gesehen zu werden. Mit Verlängerungen der Ausstellungsdauer wird versucht, zumindest kurze Zeit das reale Betrachten zu ermöglichen, anstatt nahtlos bis zur nächsten Welle das nächste Projekt zu installieren und eventuell auch damit gleich wieder in den Lockdown zu schlittern. So werden die Programme wie mit einer immer voller werdenden Schneeschaufel weiter ins Jahr geschoben, jedes einzelne wird mühsam immer wieder aufs Neue umorganisiert, neue Termine werden gesucht, gefunden – und wieder verschoben.

Schmusekatzen und Schlafschafe

Die Schaumbad-Katzen sehen es eher locker. Nach wie vor warten sie beim Eingang, fordern ihre Streicheleinheiten und flutschen in die Ausstellung. Aber auch sie müssen Abstriche machen, denn wer weiß schon, was so ein Katzenfell alles übertragen kann. Immer weniger Kolleg!nnen kommen ihrer Streichelpflicht nach.

Die Stimmung ist gespalten, und die Kluft zwischen extremer Vorsicht und weitgehender Sorglosigkeit bietet permanente Konfliktfelder. Das Haus ist zugepflastert mit Verbotsschildern, der Aufenthalt ohne Maske in gemeinschaftlichen Bereichen wird inzwischen mit Entzug des Schlüssels sanktioniert – eine vor noch einem Jahr unvorstellbare Maßnahme. Vorstand und Team werden zu Kontrollinstanzen und teilen im freien Atelierhaus Strafen aus.

Die Reaktionen von außen sind unterschiedlich: Manche sehen mit dem Tragen der Maske die Freiheit der Kunst bedroht und beschimpfen uns als systemgesteuerte Schlafschafe, andere bleiben lieber weg, weil sie inzwischen jegliche Kontakte meiden und sich selbst in Zeiten der relativen Öffnung keinem Risiko aussetzen wollen. Da helfen auch keine Desinfektionsmittel an allen Ecken und Enden, in weiten Abständen aufgestellte Stühle auf der Terrasse, strikte Einhaltung der jeweils maximal zugelassenen Personenzahl in der Halle.

Raumvermessungen und Möglichkeitsräume

Zu Anfang haben wir noch Quadrate abgeklebt, 10 m2 pro Person, 15 Personen durften sich vergangenen Sommer noch im Raum aufhalten. Inzwischen sind es nur noch 10 und wir haben selbst dabei schon das subjektive Gefühl der Überfüllung.

Die Besiedelung des digitalen Raums schreitet voran, wenn auch zögerlich. Kunst ohne Haptik, digitales Brennen ohne reales Feuer. Zu viel Zeit verbringt man mit Organisieren und Konferieren am Computer. Kunst sollte zwar alltäglich sein, aber auch den Alltag überhöhen, sich davon abheben. Wie spannend ist es also, wenn es kaum noch Unterschiede zwischen künstlerischen Präsentationen und Online-Konferenzen gibt?

Also auch hier der Druck – und sei es nur der des eigenen Anspruchs –, sich selbst im Umgang mit dem digitalen Raum neu zu erfinden. Nicht einfach analoge Aktionen ins Internet zu übertragen, sondern das Netz von vornherein als Aktionsfeld mitzudenken und dessen Möglichkeiten als integralen Bestandteil einzubinden. Sich selbst auf den neuesten Stand der ständig fortschreitenden Technologien zu bringen, Open Source Alternativen testen, an Grenzen stoßen, um sich dann doch widerwillig auf fragwürdige konventionelle Plattformen einzulassen. Publikum auf allen verfügbaren Social Media Kanälen einsammeln, um endlich wieder auf eine mit „früher“ vergleichbare Reichweite zu kommen. Parallel dazu die Entwicklung einer Open Source Performanceplattform vorantreiben und im realen Raum Besucher!nnen einzeln die Kunst erklären.

Und dabei stets die Vision einer wieder „normalen“ Zukunft im Auge behalten. Die Vorstellung eines Betriebes mit Dauerkontrollen von Testergebnissen, Abstandsregeln, verdeckten Mündern und Wischtüchern mit Desinfektionsmitteln hinter jeder Berührung beiseite schieben und einfach den Glauben aufrecht erhalten, dass es eines Tages wieder möglich sein wird: das Feiern der Freiheit der Kunst in angstfreien und vor allem gefahrlos nutzbaren gemeinsamen Räumen.

Foto: Brina Blum on unsplash