(noch) kein neuer anfang in sicht …

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Joachim Hainzl ◄

Es klang ja fast wie ein Märchen. Da flog eine Partei aus dem Parlament und bei der nächsten Wahl ist man dann „Wahlsieger“, quasi ein Neuanfang von Null auf Hundert. „Wahlsieger“ – ein Begriff, dessen Verwendung für jene Parteien mit starken Stimmenzugewinnen bei Wahlen ich noch nie verstanden habe. Denn wenn jemand dann immer noch z. B. nur drittstärkste Partei ist, dann hat man noch lange keine Wahl gewonnen. Beim letzten Kitzbühler Slalom (um einen aktuellen saisonalen Vergleich zu ziehen) hat ein Österreicher im zweiten Durchgang viele Plätze aufgeholt. Aber ich hätte nicht bemerkt, dass ihn die mediale Öffentlichkeit zum Rennsieger erklärt hat. Wie auch immer. Da hat nun eine Partei dazugewonnen und hat immer noch einen großen Abstand auf den Ersten im Starterfeld. Und tatsächlich, die „Wahlsieger“ haben sich inzwischen auf eine Koalition geeinigt.

Die Parolen auf den Schildern wurden im Juni 2015 im Kunstprojekt von Maryam Mohammadi und Joachim Hainzl im <rotor> Zentrum für zeitgenössische Kunst ausgegeben. Heute, weniger als fünf Jahre danach, haben wir uns von diesen proklamierten Zielen noch um einiges weiter entfernt.

Also, alles auf Anfang? Vergessen das zeitlich zum Glück recht begrenzte Intermezzo einer Regierung, die auch auf Kosten von Menschenrechten und marginalisierten Gesellschaftsgruppen populistische Politik betrieben und in ihrer kurzen Amtszeit bereits vieles nachhaltig ruiniert hat? Wird also alles wieder rückabgewickelt, was so grauslich war an Maßnahmen der letzten gewählten Regierung (und auch schon der SPÖ-ÖVP-Regierungen zuvor) gegen Arme, gegen Drittstaatsangehörige und Geflüchtete, gegen die Religionsfreiheit, an Überwachen und Strafen? Ja, ok, die Polizeipferde haben jetzt „Asyl“ in der Hofreitschule bekommen, wie ORF online ein wenig süffisant titelt. Aber sonst?

Kann man von der aktuellen Regierung annehmen, dass sie sich zurück auf den Pfad einer Politik begibt, die gesellschaftlicher Vielfalt wertschätzender gegenübersteht, damit verbundene Herausforderungen optimistischer angeht und nicht Politik auf Kosten von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen macht, die ihnen als Sündenböcke dienen? Kann man annehmen, dass die Regierung damit dem mehrheitlichen Wunsch der österreichischen Bevölkerung entsprechen würde, weil die nunmehr plötzlich nach einer Politik abseits von Ausgrenzung und Abschottung verlangt? Ein Zurück an den Anfang also, das die Zeit der türkis-blauen Koalition vergessen machen oder wie einen Fiebertraum erscheinen und versinken lässt?

Aber halt: Ist diese VFP-Koalition gescheitert wegen unüberbrückbarer inhaltlicher Differenzen? Gab es ein kollektives Fremdschämen in Politik und Bevölkerung und daher bei der letzten Wahl ein Abstrafen der „Mitte-Rechts“ Politik? Nein, da war lediglich ein misslungener Spanien-Ausflug von Vertretern einer Regierungspartei. Sonst nichts. Es war und ist kein Zurück auf den Weg einer politischen Mitte, wie sie ständig proklamiert wird.

Die Freude ist daher verfrüht, ebenso wie die an einem momentanen Italien ohne Salvini an der Macht oder einem Deutschland und Frankreich, noch ohne AfD bzw. Le Pen in der Regierung. Auch Ungarn und Polen haben sich nicht von ihrer rechten Politik verabschiedet. Großbritannien geht mit Johnson ebenfalls seinen Weg des Rüpelhaften, so wie die USA mit Trump. Und Machos prägen die Politik Russlands, Brasilien, der Türkei oder der Philippinen. Überall sind Populisten am Werk, die ihr Handwerk verstehen, die wissen, dass in einer komplizierten Welt einfache Lösungen gut ankommen und es beherrschen, ihre toxisch simplen Rezepte medial entsprechend zu verkaufen. Und es scheint ein Faible zu geben für vermeintlich volksnahe Politiker(innen), die eben diesem Volk nach dem Mund reden und sich keinen Deut um „politische Korrektheit“, soll heißen Sprache jenseits von Hetze, scheren, wenn es um Menschenrechte geht.

Bezogen auf Österreich kann man gerade sehen, dass auch ein Wahlsieg der burgenländischen SPÖ nicht unbedingt als Rückbesinnung auf den Weg einer progressiven und mutigen offenen Gesellschaftspolitik zu deuten ist. Es ist wohl mehr vom selben Erfolgsrezept. Nämlich, dass es Stimmen bringt, wenn man immer wieder behauptet, dass die „Unsrigen“ endlich geschützt gehören würden vor den gewissen „Anderen“ – siehe etwa auch die Diskussion um die „Sicherungshaft“ oder das bereits in Graz realisierte Konzept der „Schutzzonen“. Manifestation von Deklassierung und Diskriminierung.

Aktuell gibt es eben kein Zurück an einen besseren Anfang. Fortschrittliche Politik erscheint historisch betrachtet eher wie ein kleines Zeitfenster, das sich für einige Jahrzehnte in einigen Teilen der Welt aufgetan hat. Es gilt zu erkennen, dass ausgrenzende Politiken sich wie ein Lavastrom beständig weiterbewegen und vieles und viele unter sich begraben. Dagegen gilt es anzukämpfen. Auch jetzt und in Zukunft.

In Österreich wird es künftig sicher nicht einfacher, dass sich kritische Stimmen und Personen in den kommenden Monaten und Jahren politisch beheimatet bzw. von bundesweit agierenden Parteien vertreten und angesprochen fühlen. Denn Menschenrechte sind unteilbar und daher auch auf keinem Altar des politischen Pragmatismus als relativierbar zu opfern. Wer dazu (wortreich) schweigt, stimmt zu.