Müssen Künstlerinnen nackt sein, um ins Museum zu kommen? Ein Update.

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Eva Ursprung ◄

Bis Jänner 2023 war es überdimensional in der Ausstellung Faking the Real. Kunst der Verführung im Kunsthaus Graz zu sehen, das vielzitierte Plakat der Guerrilla Girls von 1989: Do Women Have to Be Naked to Get into the Met. Museum? Zum Foto einer nackten Frau mit Gorillamaske die ernüchternden Fakten: ‘Less than 5% of artists in the Modern Art sections are women, but 85% of the nudes are female.’

Das war damals so, könnte man sagen. Inzwischen werden historische Künstlerinnen wiederentdeckt und in vielen bedeutenden Museen und Großausstellungen präsentiert, die zeitgenössische Kunst ist ohne Frauen kaum noch vorstellbar. Umso mehr verwundern die Umfrageergebnisse der britischen Kunsthistorikerin Katy Hessel aus dem Jahr 2021 zur Frage, wie viele Namen von Künstlerinnen den 2000 Befragten einfielen: Nur 30 Prozent konnten drei Künstlerinnen nennen.

In ihrem im selben Jahr erschienenen Buch leistet Hessel Hilfestellung: The History of Art Without Men. Große Künstlerinnen und ihre Werke erzählt sie Kunstgeschichte ausschließlich anhand von Künstlerinnen. Von der Renaissance über den Impressionismus bis hin zur Gegenwart macht sie Werke von Frauen im Kontext der jeweiligen Kunstströmung und gesellschaftlichen Umstände ihrer Zeit sichtbar. Ein offensichtlich notwendiges Unterfangen, denn die erste Ausgabe des Standardwerks für Studierende der Kunstgeschichte, Die Geschichte der Kunst von Ernst Gomrich von 1950 enthielt keine einzige Frau. Der Nachholbedarf ist also groß, und Hessel hilft auch auf Instagram mit ihrer Seite The Great Women Artists auf die Sprünge.

Damit erntet sie aber nicht nur Anerkennung, sondern auch Wogen der Empörung seitens einer gekränkten Männerwelt, die sich nun ausgeschlossen fühlt. Ähnliche Reaktionen gab es auf die 51. Biennale in Venedig, wo die Kuratorinnen Rosa Martinez und Maria de Corral im Jahr 2005 erstmals in deren Geschichte auf einen Frauenanteil von 40% im Arsenale und im italienischen Themenpavillon kamen (in den Jahren davor waren es durchwegs weniger als 10%).
Die Überraschung kam jedoch 2022 mit Kuratorin Cecilia Alemani – fast 90% der Ausstellenden waren Frauen oder genderneutral, viele davon People of Colour sowie aus dem Globalen Süden.

Gleichzeitig zeigen aktuelle Statistiken ein wenig ermutigendes Bild: Kunstwerke von Frauen werden deutlich unter dem Niveau ihrer männlichen Kollegen gehandelt, Museumssammlungen sind nach wie vor von Männern dominiert. In der Sammlung der Londoner National Gallery (gegründet 1824) sind Künstlerinnen noch immer nur zu einem Prozent vertreten, die erste Einzelausstellung einer Künstlerin gab es 2020 mit Artemisia Gentileschi. Im Hauptraum der Royal Academy of Art gab es noch nie eine Einzelausstellung von einer Frau.

Es ist alles keine Frage der Quantität – die Qualität muss stimmen? Von dieser kann man sich nun im Buch von Katy Hessel, aber auch anhand zahlreicher aktueller Ausstellungen zeitgenössischer Kunst weltweit überzeugen.

Aktuell in Graz: Kunst im Korsett?

Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht! meinte Friedrich Nietzsche und inszenierte ein Foto, auf dem die von ihm verehrte Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas Salomé in einem Karren sitzend eine Peitsche schwang. Vor den Karren gespannt waren Nietzsche und sein Kollege Paul Rée.
Die Künstlerin Alexandra Gschiel erspart den Männern das Mitbringen von Peitschen. Sie baut diese prophylaktisch in ihr Korsett ein und trägt dieses stolz. Denn ein Korsett bewirkt eine aufrechte Haltung und steigert dadurch das Selbstwertgefühl. Die Peitsche weist jedoch darauf hin, dass die Sache doch nicht so einfach ist. Sie steht für das Getrieben-Sein durch gesellschaftliche (männliche) Erwartungen an das Frausein, die sich auch im Korsett niederschlagen. Mit der Peitsche kann aber auch schnell zurückgeschlagen werden, hat man sie so wie die Künstlerin immer griffbereitzur Hand.

Die Personale von Alexandra Gschiel bei KiG! Kultur in Graz beschäftigt sich mit gesellschaftlich auferlegten Zwängen, Protesten und Befreiungsaktionen und forscht zwischen Einschränkung und Aufbegehren nach dem eigentlichen Begehren der Frau hinter den Requisiten.

Ausstellung Alexandra Gschiel „…and I“, KiG! Kultur in Graz, Lagergasse 98a, 8020 Graz.
Ausstellungsdauer: 3.3.2023 – 13.4.2023, Artist Talk: 24.03.2023 • 17:00. https://kig.mur.at