Magdalena Druml ◄
Als Professionalistin der Gesundheits- und Krankenpflege missfällt mir das bestehende öffentliche Bild über den Pflegeberuf – denn die Profession Pflege umfasst mehr als nur Körper-und Intimpflege, und PflegerInnen können mehr, als nur Essenstabletts und Tee zu den PatientInnen tragen. Mir missfällt es, nur an diesen so oberflächlichen Tätigkeiten gemessen zu werden!
Derzeit sind kaum 50% der AbsolventInnen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege nach 5 Jahren nach wie vor in der Pflege tätig. Allein diese Tatsache sollte der Politik zu denken geben. Die Arbeitsbedingungen sind teilweise menschenverachtend, bedenkt man, dass bei einem 100%-igen Beschäftigungsausmaß die Pflegekraft einen Sollstundensatz von 177 Stunden hat – im Vergleich dazu beträgt die monatliche Sollstundenzahl bei einer 40h Wochenarbeitszeit plus/minus 160 Stunden. So arbeitet eine Pflegekraft 17 Stunden mehr im Monat, beim selben Beschäftigungsausmaß. Aufgrund des bestehenden Personalmangels bleibt es nie „nur“ bei diesen 177 Stunden. Der Mangel muss vom Personal kompensiert werden – das bedeutet in der Praxis weitere 20 im Voraus geplante Überstunden. Zusätzlich wird verlangt, auch während des Monats bei z.B. Krankenständen für KollegInnen einzuspringen und noch mehr Überstunden zu leisten. So weit so gut – es müssen der Dienstbetrieb und der Akutbereich aufrechterhalten werden. Doch das geschieht auf den Rücken der MitarbeiterInnen. Diese werden immerhin fürstlich dafür entlohnt. Wenn es nur so wäre! Jede Überstunde wird mit 50% besteuert, obwohl beim Nichtdurchführen des Zusatzdienstes definitiv Menschenleben gefährdet wären. Das bestehende Gesundheitssystem bedarf einer dringenden zukunftsorientierten Überarbeitung und muss endlich ins 21. Jahrhundert geholt werden.
Um das so zahlreiche frühe Ausscheiden der Pflegekräfte aus der Praxis zu verringern, müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dies muss eine Reduktion der Sollstunden beinhalten und die zusätzlich geleisteten Überstunden müssen steuerlich begünstigt werden. Auch der derzeitige Personalschlüssel muss dringendst geändert werden. Die Berechnungen dafür sind stammen aus dem vorigen Jahrhundert und entsprechen nicht den aktuellen täglich gestellten Anforderungen und dem damit einhergehenden Zeitaufwand. Ein weiterer gravierender Punkt ist die mangelnde Zeit, die für den einzelnen Menschen zur Verfügung steht. Pflegekräfte würden gerne ausreichend Zeit für die individuelle und bedürfnisorientierte Pflege aufwenden, anstatt diese „warm, sauber, satt“ abzufertigen. Das englische Wort Care wird mit Pflege, Betreuung, Versorgung oder auch Fürsorge übersetzt. Doch das Wort „pflegen“ kann seine tatsächliche Bedeutung nicht erfüllen. Pflegen kann man fast alles – Freundschaften, Gärten, Autos oder auch Möbel. Doch Menschen zu pflegen ist bei weitem tiefgründiger. Es kann einem emotional, physisch wie auch psychisch alles abverlangen. Einen fremden Menschen zu pflegen kann ein unglaublich schönes oder auch zutiefst erschütterndes Erlebnis sein. Manches Mal auch lebensbereichernd. PatientInnen in ihren verletzlichsten und vulnerabelsten Phasen des Lebens vertrauen uns ihr Wohlergehen an. Sie teilen ihre intimsten Momente mit uns – wie zum Beispiel den Moment des Sterbens. Pflegen bedeutet nicht nur Wunden besser oder schneller heilen zu lassen. Es bedeutet sein Gegenüber nicht nur als PatientIn, sondern als ganzheitliches Individuum zu betrachten – mit all seinen Ängsten, Befürchtungen oder Sorgen; diese wahrzunehmen und sich verständnisvoll zu zeigen. Pflegen bedeutet so viel mehr, als dieses Wort an Bedeutung tragen kann. Wieso schafft es nun die professionelle Pflege nicht, sich in der Gesellschaft besser darzustellen?
Es erscheint mir als nicht nachvollziehbar, weshalb die Pflege in Zeiten der Pandemie nicht entsprechend für den Stellenwert der eigenen Profession eintreten konnte. Weshalb sie nicht die Beschreibung „systemrelevant und nicht wegzudenken“ für ihr Bild in der Gesellschaft stärker verdeutlicht und verankert hat. Nun wurde das Jahr 2020 zum „Jahr der professionellen Pflege“ und es jährte sich der Geburtstag von Florence Nightingale zum 200. Mal. Doch schafft es die Pflege nach wie vor nicht – auch nicht nach 200 Jahren –, sich besser darzustellen. Pflegekräfte messen stattdessen sich und besonders neue KollegInnen daran, ob diese adäquat Exkremente entfernen können. Hierzu wortwörtlich aus einer Diskussionsplattform auf Facebook: „Die neuen Studierten wollen nicht mal Scheiße putzen gehen – was soll aus der Pflege nur werden?! Diese Akademisierung hat wohl wirklich niemand gebraucht“.
Nun, weshalb degradiert sich die Pflege immer selbst? Es ist unverständlich, wie professionelle Pflegekräfte sich selbst und ihre primären Tätigkeiten darstellen – denn eines sei gewiss, die Pflege beinhaltet auch, aber viel mehr und bei weitem komplexere Tätigkeiten als das Entfernen von Exkrementen. Hinzu kommt die Verwendung einer so primitiven Sprache – als ob Pflegende sich nicht besser ausdrücken könnten.
Dazu möchte ich den Satz von Ludwig Wittgenstein zitieren: „Die Grenze meiner Sprache, bedeutet die Grenze meiner Welt“. Ist die allgemeine Sprache der Pflege unzureichend, um sich selbst besser darzustellen? Denn wenn ich mich als Exkremente-putzende Berufsgruppe präsentiere, kann ich doch nicht erwarten, dass die Gesellschaft ein anderes Bild von dieser malt. Daraus folgt, dass Pflegekräfte ihre Berufsgruppe sowie ihre Tätigkeiten unzulänglich beschreiben (können).
Aus all dem resultiert für mich die Erkenntnis, dass die Pflege unbedingt die Akademisierung benötigt – nein nicht nur benötigt, sondern verdient hat. Bezüglich der Akademisierung sei gesagt, dass es für mich unerklärlich ist, weshalb die Pflege zum Lehrberuf degradiert werden soll – immerhin übernimmt die Pflege teils einige „ur-ärztliche“ Tätigkeiten undMedizin wie auch Pflege sind beides tertiär ausgebildete Berufe. Tagtäglich bin ich im Akutbereich mit Situationen konfrontiert, in denen selbst ich, mit über 30 Jahren und mehr als 10 Jahren Berufserfahrung, an meine Grenzen komme. Da stellt sich mir die Frage, wie ein Lehrling mit 15 Jahren völlig unerfahren und vom Leben noch kaum konfrontiert, diese Situationen meistern soll. Des Weiteren frage ich mich, wie lange diese Person wohl in der Pflege tätig bleiben wird?!
Bildung kann die Pflege dabei unterstützen eine Sprache zu entwickeln, die es vielleicht schafft, sich besser in der Gesellschaft darzustellen. Eine Sprache, die es den PflegerInnen ermöglicht, sich tatsächlich als die ProfessionalistInnen zu präsentieren, die sie sind. Vielleicht sollte sich in Zukunft professionelle und ausreichend gebildete Pflegekräfte viel stärker in die Politik wagen, um dort ein Sprachrohr von und für die Pflege zu sein.