care – ein erfahrungsbericht

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Charly Hierzberger ◄

Mein Zugang zum Thema „Care“ bezieht sich auf zwei wesentliche Teile meines schulischen Wirkens. Zum einen bedarf es im Fachbereich Berufsorientierung einer oft intensiven Begleitung meiner SchülerInnen, die sich im achten Schuljahr auf neue Schul- und Ausbildungssituationen vorbereiten müssen. Zum anderen versuche ich mittlerweile schon seit vielen Jahren, Talente in mehreren Bereichen im schulischen Kontext und teilweise weit darüber hinaus zu fördern und zu unterstützen.

Berufsorientierung als schulisches Fach hat in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung, da es letztlich hauptsächlich um eine Entscheidungsfindung für den eigenen Lebensweg der Jugendlichen geht und damit unterscheidet sich dieses Fach sehr von allen anderen. Informationsweitergabe und ein nicht zu verachtendes Maß an Medienkompetenz und EDV-Kenntnissen sind nach meinem Dafürhalten wichtige Bestandteile für diesen Gegenstand, aber im Zentrum steht für mich ganz eindeutig die persönliche Betreuung in der „heißen“ Phase der Entscheidung. Diese geschieht in der Regel individuell sehr unterschiedlich und wird von vielen Faktoren beeinflusst, nicht zuletzt auch von mir selbst. Jedes Jahr werde ich von ratsuchenden Eltern-(teilen) und natürlich von völlig unentschlossenen Jugendlichen geradezu aufgefordert, für sie eine Entscheidung zu treffen. Vor allem dann, wenn Zeugnisnoten nicht dazu angetan sind, die Planung der eigenen Karriere so umsetzen zu können, wie man sich das vielleicht zuvor vorgestellt hat. Manche „Ratschläge“ werden durch die langjährige Erfahrung zwar vielleicht glaubwürdiger, aber andererseits sieht man sich als Lehrer und Betreuer auch immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, dass es für manche SchülerInnen ein viel höheres Maß an Unterstützung bräuchte, um sie auf den für sie vielleicht „richtigen“ Weg zu bringen. Die Definition dieses Weges ist naturgemäß immer abhängig von der jeweiligen Sichtweise (z.B. Jugendliche, Eltern, LehrerIn, Jugendcoach, usw.), aber dennoch bin ich mir der Tatsache bewusst, dass ich für nicht wenige unentschlossene Jugendliche den Lebensweg der nächsten vier oder fünf Jahre oder vielleicht auch mehr wesentlich mitbestimmt habe. Das führt schon dazu, dass man sich als Begleiter und Lehrer auch immer der großen Verantwortung bewusst sein muss, die man in diesem Fachbereich auf sich nimmt.

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Bedingt durch diese Begleitung in der siebenten und achten Schulstufe entstehen manchmal auch freundschaftliche Bindungen an die SchülerInnen, die oft lange über die Schulzeit hinausreichen. So kommt es immer wieder vor, dass Ehemalige sich oft ganz unverhofft melden bzw. in ihrer alten Schule auftauchen und über ihren Werdegang berichten. Korrekturen bei vorwissenschaftlichen Arbeiten im Zuge der Maturavorbereitung, eine Vielzahl von Aufnahmeprüfungsvorbereitungen für Musikstudien, Hilfen beim Wechseln von Schulen in der Oberstufe, Beratungen bei Schulabbrüchen bzw. Entscheidungen für Lehrausbildungen bis hin zu gravierenden familiären Problemen, die Jugendliche auch nach der Schulzeit „begleiten“, bilden weitere Teile meiner Betreuungsarbeit im Zuge meiner Tätigkeit als Berufsorientierungslehrer an einer Pflichtschule in Graz.

Der zweite Aspekt, der in vielen Fällen auch Hand in Hand mit dem ersten zu sehen ist, bezieht sich auf die Förderung von Talenten und Fähigkeiten, die meine SchülerInnen schon während ihrer Pflichtschulzeit zeigen. Auch dabei ist das Feld ein weites. Zurzeit baue ich mit einer angehenden Tischlerin einen Sessel aus Holzresten für ihr baldiges Vorstellungsgespräch bei einem Tischlereibetrieb. Parallel dazu erarbeite ich mit einer anderen Schülerin die Basis in HTML und CSS für die neue Schulwebsite. Ein weiteres Mädchen trainiert ihre Stimme für das Abschlusskonzert im Sologesang. Einen jungen Mann durfte ich zu den berufspraktischen Tage in die zuvor empfohlene Logistikfirma bringen, da sein Vater, bei dem er seit der Scheidung der Eltern lebt, um sechs Uhr morgens keine Zeit hatte, weil er zur gleichen Zeit einen Bus der Graz-Linien lenken musste. Das sind nur einige aktuelle Beispiele. Im Laufe der Zeit sind bereits mehrere Kinderbücher für angehende Kindergartenpädagoginnen entstanden, die durch das Layout und den professionellen Einband eines Buchbinders durchaus herzeigbare Exemplare wurden. Mehrere Filme, in denen Jugendliche in Rollen schlüpfen und sich darstellen konnten, sind in den letzten Jahrzehnten auch schon entstanden. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen, aber es geht nicht um Selbstbeweihräucherung, sondern ausschließlich um den Versuch, dasjenige aus den Jugendlichen hervorzuholen, was sehr oft im Fächerkanon der Schule nicht oder zu wenig zum Zug kommt.

Zwei Klassen oder rund 40 bis 50 SchülerInnen in dieser sehr wichtigen Lebenszeit zu betreuen, ist durchaus herausfordernd und zeitintensiv. Einen jungen Menschen in dieser Phase ernst zu nehmen, bedeutet auch, ihm Zeit zu schenken. Zeit, die auch zur gleichen Zeit viele andere und nicht zuletzt die eigene Familie benötigen würde. Dieser Spagat ist nicht immer leicht. Dass man durch die Rückmeldungen (oft auch noch nach Jahren) als Lehrer aber unglaublich reich beschenkt wird, ist wohl der schönste Dank für diese Art Unterricht zu betreiben.