Nayari Castillo-Rutz ◄
Während der Pandemie sind Projekte im „White Cube“ (Ausstellungen, Performances, Vorträge und Diskussionen mit Livepublikum) praktisch aus meinem Leben verschwunden. Die Hoffnung, vermehrte Finanzmittel für Projekte im öffentlichen Raum zu erhalten, erfüllte sich auch nicht. Mein Mann und ich, die wir beide im Kulturbereich arbeiten, haben daher für uns beschlossen, einen großen Teil unserer Aktivitäten und Energien in die Teilnahme an Konferenzen und die Veröffentlichung von Texten und Büchern zu stecken. Ein Segen für meine weitere Arbeit war zudem die Unterstützung des Landes Steiermark für mein Atelier als Reagenz-Raum für künstlerische Experimente.
Zu Beginn der Pandemie hatten die Menschen lange Zeit einfach nur Angst und befanden sich im Existenzmodus, so dass damals Gedanken an Kunst und Kultur beinahe undenkbar waren. Das hat sich im Laufe der Pandemie stark geändert und die Menschen erkannten, dass Kunst und Kultur elementare Bestandteile des Alltags sind.
Von uns Kulturproduzent*innen wurde erwartet, dass wir uns der Zeit anpassen. Das hat uns nicht aus unseren prekären Lebenssituationen herausgeholt, sondern im Gegenteil noch schwierigere Produktionsbedingungen geschaffen.
Die Virtualisierung von Kunst hat für mich einen dreifachen Effekt: Erstens mussten Kulturproduzent:innen ihren Modus Operandi ändern und Aktivitäten im virtuellen Raum durchzuführen. Da die Mittel zur Produktion dieser Aktivitäten viel zu gering sind, mussten wir ohne ausreichende finanzielle Ressourcen weiter produzieren. Es wurden Versuche unternommen, das künstlerische Umfeld am Laufen zu halten, aber in Wirklichkeit ging viel verloren.
Zweitens hat sich die Geschwindigkeit der Produktion radikal erhöht und dabei wurden die Stunden vor dem Computer mehr, sodass unser gesamtes Leben auf seltsame Art virtueller wurde. Das hatte enorme Auswirkungen auf die Konzepte und Dauer der Projekte, da es oft zu wenig Raum für anspruchsvollere Überlegungen gab.
Zum dritten haben wir teilweise unsere Praxis verloren, was die Beziehungen zu Öffentlichkeit anbelangt. Für Künstler*innen wie mich, die hauptsächlich im öffentlichen Raum und mit Beteiligung arbeiten, bedeutete dies einen totalen Mangel an Aktion und einen großen Verlust an politischem Spielraum und Wirkung, denn Distanz hilft keiner Sensibilisierungsarbeit.
Am schwierigsten ist für mich die Frage nach den Auswirkungen vermehrter Kontrollmechanismen zu beantworten. Als Kulturproduzent*in muss man immer ein Gleichgewicht zwischen dem Öffentlichen und Privaten herstellen und sehr genau überlegen, was wir veröffentlichen. Das Überwachungssystem, das uns in Pandemiezeiten schützt, kann gleichzeitig eine Kontrollstruktur sein, so dass wir einige Freiheiten verlieren, insbesondere die, unser Bild selbst zu gestalten.
Ich denke, dass wir uns dennoch daran gewöhnt haben. In meinem Fall gibt es jetzt mich, die Künstlerin und mich, die überwachte Bürgerin. Beide haben völlig andere gesellschaftliche Handlungsspielräume. Erstere zog sich zurück und arbeitete im Geheimen an Projekten; die Bürgerin hingegen wurde sich der Gesellschaft bewusster und ist für Projekte zuständig, die anderen helfen.
Nayari Castillo-Rutz, geb. in Caracas (VE), arbeitet als Installationskünstlerin mit Interventionen im öffentlichen Raum und im Bereich kollaborativer/sozial engagierter Kunst. Sie hat an zahlreichen internationalen Kunstprojekten als Künstlerin und/oder Kuratorin und an zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen in Europa und anderweitig teilgenommen. Sie wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, darunter dem KUNSTRAUM STEIERMARK-Stipendium des Landes Steiermark für die Jahre 2021/2022.