borstenstimme

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Grafik: taska

wasch.gang
 

Kateřina Černá ◄
Foto: Lena Prehal

So sitzt er da und streichelt seiner Katze über das Fell. Immer schön in Wuchsrichtung, niemals gegen den Strich. So hat er das als Kind schon gelernt.

In seinem Schaukelstuhl sitzt er, wippt leicht vor und zurück, die Augen geschlossen. Die Katze schnurrt und macht diese Bewegung mit ihren Pfoten, als wäre sein Oberschenkel der Bauch der Katzenmutter und sie noch ein junges Kätzchen. Ihre Krallen machen ein Schabgeräusch an seiner Hose und ab und zu dringt eine Kralle durch den Stoff, berührt ihn ganz sacht am Bein, ein kleiner Stich nur, irgendwie unangenehm, aber doch auch, ja, auch angenehm. Es kommt ja von ihr und sie ist die einzige Gesellschaft, die er hat.

Obwohl er seine Augen geschlossen hält, weiß er, dass sie ihre Augen zu schmalen blinzelnden Schlitzen geformt hat: Zufriedene halbgeschlossene Katzenaugenschlitze.

Neben ihm raucht eine Zigarette im Aschenbecher vor sich hin, das ist jetzt öfter so. Dass die Zigarette neben ihm rauchen darf, nicht immer in ihm, obwohl, das weiß man ja nicht, ob passiver Rauch nicht doch schädlicher ist als – aber er – er und sein Leben, sie haben eine Langsamkeit bekommen, dass das jetzt so sein darf.

Er denkt an die verlassenen Spinnennetze, die sich staubig von einer Wand zur anderen spannen oder als Staubfäden von der Decke hängen. An den Plafondabstauber aus Rosshaar, den von Hand eingezogenen, nicht den viertelkugelförmigen, maschinell gestanzten, mit Rosshaar und Nylonfaser. Das ist ja eine Investition fürs Leben, so etwas kauft man sich nur einmal.

Er denkt, dass das wieder einmal gemacht werden müsste, dass man das wieder einmal machen müsste, die Decke abstauben. Aber die Dinge sind schwieriger geworden, langsamer – und grauer.

Früher ist er mit dem Straußenwedel durch die Wohnung geflattert und hat den Staub von den Gegenständen genommen wie ein Kolibri, der aufgeregt zitternd den Nektar einer Blume aufnimmt.

Das Schnurren der Katze bildet die Hintergrundmusik für das Knarzen des Rattanschaukelstuhls, in dem Herr Friedrich gedankenverloren wippt. Ja, seine Gedanken verlieren sich jetzt öfter.

Die Krallen der Katze arbeiten an seiner Hose wie der durch die Rillen im Vinyl gleitende Tonabnehmer eines Plattenspielers. Heutzutage ist ja leider fast alles aus ordinärem PVC, denkt er.

Mit einem Plattenabstauber aus Ziegenhaar streicht Friedrich über seine innere Schallplatte, während diese sich auf ihrem Teller dreht. Das tut ihm gut, ein rosa-samtiges Gefühl, Himbeerhonig auf der Brust, wenn der Staub der Platte an den Borsten haften bleibt.

Die Musik seiner Vergangenheit beginnt in ihm zu spielen wie ein sich knisternd entrollendes Knäuel – eine Schnur aus Sisal, glatt, ohne eine einzige einem Fragezeichen gleich herausragende Faser.

Er erinnert sich, wie er sich früher vor der Zukunft gefürchtet hat. Man wusste ja nicht, was auf einen zukommt.

„Das Leben hält so viel für einen bereit“, hat Inge immer gesagt und es wohlwollend, fast schon liebevoll gemeint. Ihm aber, hat das Angst gemacht – dieses Bereithalten. Als stünde da jemand, der Tod selbst, vielleicht, und hielte ein Paket, das er ihm mit klapprigen Händen überreichen will – immer wieder. Das Leben – das ist ja nur die Kehrseite des Todes.

Nein, er mochte keine Überraschungen.

Bürsten- und Korbwaren aller Art bekommt man in der Rösslmühlgasse 9 in Graz.
Foto: Lena Prehal

Die Zukunft, die ist noch nicht gesponnen, geschweige denn aufgerollt. Dieses Knäuel das erst entstehen muss, für jeden Lebensabschnitt eines.

Aber die Vergangenheit, die kann nicht mehr überraschen. Sie steht aufgerollt wie ein Hanfseil im Regal. Die kann man an sich nehmen, einfach nur halten und sich sicher fühlen.

Oder entrollen, sich jedes Detail, jede einzelne Faser, aus der die Vergangenheit besteht, ansehen, alles noch einmal durchgehen.

Wie er den Damen im Separee die Steckdosenbürsten vorgeführt hat. Kein einziges Staubkorn hat mehr in der Steckdose gelegen, so oft wie er das gemacht hat. Oder die Bürsten mit Kopfbündel, die so sanft und rhythmisch den Rand des grün schimmernden Flaschenbodens entlang gestrichen sind.

Inge, mit der er fernmündlich in Kontakt war. Sie hat ihm erzählt von Schnüren, Seilen und Trossen, diesen Knäueln, die einem bis zum Knie reichen können wie struppige Hunde in kompakter Sitzhaltung, denen man ab und zu den Kopf tätschelt, während man den Blick schweifen lässt. Den Blick schweifen hat er nie lassen, wenn er mit Inge im Gespräch war. Sein Blick war stets zuerst verschwommen und dann blind geworden für die Außenwelt und in sein Inneres geglitten, wo Fasernstaub und Zigarettenrauch in der Luft hingen, im Halbdunkel. Er hat ihrer Stimme gelauscht, den Worten und Wörtern, die sich zu Schnüren flochten und um sich selbst wickelten. Ihre Stimme dabei so griffig, faserig, dass sie die in seiner Innenwelt besonders bedürftigen Stellen einer Kratzbürste gleich bearbeitete, oder wie eine Massagebürste über seinen Innenkörper schrubbte, ihm jede abgestorbene Hautzelle abrieb. Sie hat eine Stimme wie Borsten gehabt, die Inge.

Und ihre Art zu artikulieren – die Art und Weise, wie sie die Worte hervorbrachte, wie diese durch ihren Artikulationsapparat liefen, von ihm geformt wurden: Hanf, Sisal, Fibris; Ross, Schwein, Ziege, Dachs. Wie eine gut geschmierte, fast schon antike Maschine spann sie Wortschnüre für ihn, nur für ihn.

Sie hätte für immer diese körperlose Stimme bleiben können, wenn sie nur nie damit aufgehört hätte, zu ihm zu sprechen, ihn ein-, zweimal die Woche anzurufen und ihm zu erzählen, von neuen Materialien.

Niemals hätte er mehr von ihr verlangt, als diese Stimme zu sein, diese Kombination aus Kratz- und Massagebürste auf seiner rissigen Seele.

Aber der fernmündliche Kontakt ebbte irgendwann ab. Zunächst hat Herr Friedrich gespürt, wie die Wärme, die ihre Wortproduktion erzeugte, nachließ. Irgendwann hat Inge dann gar nicht mehr angerufen. Und wenn er selbst beim Partnerunternehmen anrief, hieß es, sie sei nicht zu sprechen.

Etwas von ihrer Borstenstimme aber, hat sich in ihm verheddert, ist für immer auf seiner inneren Haut haften geblieben. Jedes Mal, wenn er an sie denkt, löst die Erinnerung dieses wohlige Kratzen in ihm aus.

Die Katze schläft jetzt, atmet kurze Katzenatemzüge, das Schaben ihrer Krallen auf seiner Hose hat aufgehört. Der Teller dreht leere Runden, von der inneren Schallplatte Herrn Friedrichs ist nur noch ein Rauschen zu vernehmen.