ohne bilder keine revolution

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Foto: Wolfgang Bauer

Der Schrei, der Aufschrei bleibt. Die Revolution im Sudan 2018/19 fand auf der Straße statt und ihren Ausdruck, ihre Befeuerung, ihre Freiheit nicht zuletzt in der Streetart, den unzähligen Graffitis und Murals, die die Hauptstadt Khartoum für kurze Zeit in eine Open Air Galerie mit Musik und Performances verwandelten. „Die Revolution wurde durchgehalten, weil die Kunst Teil von ihr war“, so die Studentin Anda Kamal Yousif , die selbst an den Protesten und Sit-ins teilgenommen hat. „Sogar die Straßenkinder, die Leute ohne politischen Hintergrund haben aus und mit den Liedern der Revolution gelernt.“ In zahlreichen westlichen Medien wurde diese Kreativität ebenso gefeiert, wie die friedlichen Massenproteste, die letztlich zum Sturz des Diktators Omar Al-Baschir führten. Die Empörung über die Gewalt, die dieser gegen die Protestierenden anwandte, verhallte rasch, der Sieg galt als verbucht. „Ohne Bilder gibt es keine Revolution“, so der Künstler Galal Yousif.

Foto: Wolfgang Bauer

Jetzt, zwei Jahre später, ist der komplexe Prozess des „Nation building“ noch lange nicht abgeschlossen, der Frieden, sofern er diesen Namen verdient, ein mehr als fragiler. Bedingt durch den Klimawandel werden die Dürren immer katastrophaler, der Mangel an fruchtbarem Boden lässt die inneren Konflikte nicht zur Ruhe kommen, die Lebensmittelpreise schnellen in die Höhe, erst kürzlich kam es wieder zu Massakern, Tausende sind auf der Flucht. Bereits jetzt leben 1,6 Millionen Menschen in der Folge des Darfur-Konflikts in elenden Camps. Zudem fliehen zehntausende Menschen vor den kriegerischen Auseinandersetzungen in Äthiopien und suchen Schutz in dem selbst so gebeutelten Nachbarland. Wie der Arabische Frühling vor zehn Jahren begannen auch die Proteste im Sudan als Hungerrevolten. Ihr Schrei ist noch nicht verklungen, die Entwicklung seiner Geschichte wird nicht zuletzt davon abhängen, ob er über die Grenzen hinaus gehört wird. Immer mehr Menschen wollen nur noch eines: weg. Weg von der Gewalt, dem Leid, der Perspektivenlosigkeit. „We will flee from our home, we will flee towards exile, but migration is also cruel, it’s unbearable! It will absorb our souls inevitably“, schrieb der junge sudanesische Lyriker Abdel Wahab Yousif, besser bekannt als Latinos.(1) Und er sah voraus:

You’ll die at sea.
Your head rocked by the roaring waves,
your body swaying in the water,
like a perforated boat.
In the prime of youth you’ll go,
shy of your 30th birthday.
Departing early is not a bad idea;
but it surely is if you die alone
with no woman calling you to her embrace:
„Let me hold you to my breast,
I have plenty of room.
Let me wash the dirt of misery off your soul.“

Abdel Wahab Latinos war einer von 45 Menschen, darunter fünf Kinder, die im August letzten Jahres vor der Küste Libyens ertranken, als das überfüllte Boot, in dem sie versuchten, Europa zu erreichen, im Kugelhagel versank. Obwohl die Küstenwachen von Lybien, Italien und Malta alarmiert waren, kam ihnen niemand zur Hilfe. (Red.)


(1) Vgl. https://arablit.org/2020/08/27/trading-misery-for-death-the-tragic-death-of-a-sudanese-poet/
https://www.amplifyafrica.org/post/sudanese-poet-perishes-in-worst-shipwreck-of-2020