girardihaus: rollen neu besetzen

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Evelyn Schalk ◄

Jetzt scheint es also fix, das Girardihaus in Graz wird nicht abgerissen, die Stadt Graz hat sich mit dem Besitzer auf einen Baurechtsvertrag über 35 Jahre geeinigt und will das Gebäude sanieren, ein Museum einrichten, dazu ein Lokal, Büros und Proberäume für die Kunstuniversität.

Die schwarzblaue Koalition im Rathaus lässt sich für die Rettung als Traditionsbewahrerin feiern. Dabei werden die langen Jahre der Untätigkeit ebenso traditionell vergessen, wie jene Menschen, die das Girardihaus überhaupt erst wieder ins öffentliche Bewusstsein geholt haben: die Besetzer*innen(1), die im Sommer letzten Jahres das Gebäude für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und mediale Aufmerksamkeit auf den Leerstand gezogen haben, die vehement auf das Fehlen von Freiräumen in der Stadt hinwiesen und das Haus als nichtkommerziellen Ort für Kunst- und Kulturschaffende, als Treffpunkt für alle zurückerobern wollten. Die den Mut hatten, Taten zu setzen statt wegzuschauen. Die sich Kontroversen und Risiken ausgesetzt haben und auf die wenn überhaupt herabgeschaut wurde und wird bzw. die mittlerweile gänzlich unerwähnt bleiben. An den Zuständen, in deren Kontext sie in Aktion getreten sind, die sie angeprangert haben, hat sich freilich nichts geändert, diese haben sich im Gegenteil weiter verschärft. Darin hat sich die schwarzblaue Stadtregierung einmal mehr als rigide Bewahrerin der bestehenden Zustände erwiesen: noch immer fehlt leistbarer Wohn-, Arbeits-, und Lebensraum, noch immer ist öffentlicher Raum massiv von Profitinteressen bestimmt und große Teile der Bevölkerung werden ausgeschlossen, noch immer fehlt Stadtraum für alle.

Kann das neue Girardihaus zu einem solchen Raum werden? Wer wird in die Entscheidungen über dessen Gestaltung miteingebunden? Wer bestimmt über die Nutzung des Hauses? KPÖ-Gemeinderätin Christine Braunesreuther befürchtet, dass nach Ablauf des Vertrages, „der Besitzer in 35 Jahren den vollen Preis für ein top saniertes Haus in attraktiver Innenstadtlage, das zuvor auf Kosten der Allgemeinheit renoviert wurde“ zurückverlangt. Eine Absicherungsklausel der Stadt würde fehlen.

Die Besetzer*innen wollten eine offene Entwicklung, Zugänglichkeit, einen transparenten Prozess, die Einbindung aller Interessierten, Anrainer*innen, Kulturschaffenden, Arbeiter*innen. Kommunikation auf Augenhöhe, von Mensch zu Mensch. In den Verlautbarungen der Stadt zu den Plänen für die Neugestaltung ist von alldem keine Zeile zu lesen. Daran ändert offenbar auch der Umstand nichts, dass der Start zur Instandsetzung, wie Bürgermeister Nagl betont, im Kontext des Kulturjahres 2020/21 erfolgt, das sich genau solchen Fragen programmatisch widmet.

Ja, das Geburtshaus des Schauspielers Alexander Girardi, Sohn eines Immigranten und Schlossers, ist städtisches Kulturerbe, das es vor Abriss und Verfall zu schützen gilt. Aber eine Stadt ist weder Museum noch Immobilienunternehmen, sie ist ein wachsendes, sich veränderndes Gefüge, dessen Entwicklung daran gemessen wird, welche Möglichkeiten sie ihren Bewohner*innen bietet, und zwar allen.

(1) https://ausreisser.mur.at/2020/09/09/girardihaus-freiraum-schaffen/