building cummunities, not audiences!

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Klaus Schinnerl, (IG Kultur Steiermark)

Der Erfolgsgeschichte der Grazer Stadtteilzentren droht ein jähes Ende. Was vor 20 Jahren in der Arbeiter_innensiedlung Denggenhof im Bezirk Gries seinen Anfang nahm und sich seither aufgrund zahlreicher zivilgesellschaftlicher Initiativen äußerst positiv entwickelt hat, soll, wenn es nach Stadtrat Mario Eustacchio (FPÖ) geht, bald Geschichte sein.

Im Zuge einer „Umstrukturierung“ der Stadtteilarbeit – die tatsächlich eine Kürzung darstellt – werden die Stadtteilzentren nur noch eine Basisförderung in der Höhe von max. 25. 000€ erhalten; das entspricht einer Halbierung der bisherigen Förderung und ist dezidiert zu wenig, um die bisherige Tätigkeit aufrecht erhalten zu können. In den letzten Jahren sind in Graz vier Stadtteilzentren und unzählige Nachbarschaftszentren gegründet worden. Bis zur Gemeinderatswahl 2017 wurde diese Entwicklung von der Stadtregierung begrüßt und moderat gefördert. Nach der Übernahme des Wohnungsressorts durch die FPÖ ist eine nachhaltige Einbindung der Bewohner_innen in die Stadtentwicklung offenbar nicht mehr gefragt. Die Beschneidung der Stadtteilarbeit führt darüber hinaus wie im Kulturbereich in der Praxis zu einer Prekarisierung durch Projektarbeit und unfreiwilliger ehrenamtlicher Arbeit.

Eine Kultur des Mitgestaltens

Die Arbeit, die in den Stadtteilzentren stattfindet, ist zwar zu einem großen Teil sozialarbeiterisch, aber es wird auf dieser Ebene auch partizipative Kulturarbeit geleistet. Wie der Raum einer Stadt materiell sowie sozial gestaltet wird, hängt davon ab, welche Kräfte­verhältnisse vor Ort wirken. Stadtteilarbeit ermöglicht die Teilhabe der Bewohner_innen bei der Gestaltung ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Die selbstbestimmte Kulturarbeit durch die Stadtteilbewohner_innen (z. B. in Workshops, Erzählcafés, Filmabenden etc.) stiftet Zugehörigkeit und trägt dazu bei, die Vereinzelung in der Gesellschaft zu überwinden. Im regelmäßigen Austausch entsteht langsam ein Bewusstsein dafür, dass viele Probleme im Viertel bzw. der Bewohner_innen nicht rein individueller Natur sind, sondern gesellschaftlichen Charakter haben und nur kollektiv verändert werden können. Die Bewohner_innen konstituieren sich – im besten Fall – als eigenständige_r und selbstbewusste_r Akteur_in in der Stadtentwicklung. Bei der Sichtbarmachung ihrer Anliegen werden oft auch Künstler_innen oder Kulturinitiativen miteinbezogen, die zusammen mit den Stadtteilbewohner_innen partizipative Kunst- und Kulturprojekte erarbeiten und umsetzen. Sie tragen so zum Community Building im Stadtteil bei – ein Aspekt, der im neoliberalen Kulturbegriff nicht berücksichtigt wird. Kultur soll demnach nicht aktivieren, sondern passiv konsumiert werden. Dies zeigt sich auch, wenn zur Beurteilung der Sinnhaftigkeit der geleisteten Stadtteil- oder Kulturarbeit in erster Linie die Teilnehmer_innenzahlen herangezogen werden und nicht qualitativ, etwa zwischen einem Workshop und einem Fest, differenziert wird. Was aus diesem Blickwinkel zählt, sind einzig nackte Zahlen, statt der vielen wundbaren Erfolgsgeschichten der Stadtteilarbeit.

Kurzfristige Projekte statt nachhaltiger Treffpunkte

Die durch die Kürzung der Stadtteilarbeit freiwerdenden Mittel sollen in Zukunft für Nachbarschaftsprojekte verwendet werden. Statt einer kontinuierlichen Arbeit vor Ort werden kurzfristige Projekte gefördert. Für die Stadtteilarbeit bedeutet dies nicht nur eine unsichere Perspektive, sondern ein grundlegendes Problem. Denn das bedeutet, dass nur ein kleiner Teil der Förderung für Personalkosten aufgewendet werden darf, doch ebenso wie in der Kulturarbeit – und in jedem Unternehmen – stellen die Personalkosten den höchsten Teil der Ausgaben dar. Geht es nach der schwarzblauen Stadtpolitik, soll die eigentliche Stadtteilarbeit künftig hauptsächlich von ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen durchgeführt werden. Ehrenamtliche Arbeit war zwar schon bisher eine wichtige Stütze der Stadtteilarbeit, jedoch kann diese nicht ohne stabile Strukturen und professionelle Anleitung auskommen und nur von Menschen mit ausreichenden sozialen und finanziellen Ressourcen ausgeübt werden. Somit wird hier die Professionalisierung der Stadtteilarbeit in Frage gestellt und ein erzwungenes Ehrenamt geschaffen.

Über Sinnhaftigkeit und Relevanz der eingereichten Projekte sollen zukünftig nicht die Bewohner_innen selbst oder ein fachkundiges Gremium entscheiden, sondern der Bezirksrat. In letzter Instanz bestimmt allerdings Mario Eustacchio selbst. So hat er nun die Projektanträge der Zentren NaNet und Eggenlend abgelehnt, obwohl sie vom Bezirksrat befürwortet wurden. Angeblich sollen die Ansuchen „nicht korrekt genug“ gewesen sein. Unter dem Vorwand von (vermeintlicher) Demokratisierung der Stadtteilarbeit droht also das genaue Gegenteil – nämlich ihre parteipolitische Instrumentalisierung und reine Willkür.

Die Widersprüchlichkeit und Kurzsichtigkeit im Handeln der Stadtregierung zeigen sich auch im Bezug auf das Kulturjahr 2020, denn einige Kulturinitiativen haben gemeinsame Projekte mit den Stadtteilzentren eingereicht. Jetzt drohen ihnen ihre Projektpartner_innen abhanden zu kommen. Ohne Stadtteilzentren fehlen die notwendigen Anker-Strukturen vor Ort, um nachhaltige Kulturprojekte durchführen zu können. Es hat den Anschein, als konterkariere ein Stadtrat die Bestrebungen des anderen. Dies spricht weder für einvernehmliches Handeln innerhalb der schwarzblauen Koalition, noch für eine nachhaltige Ausrichtung des Kulturstadtjahres 2020.

Ungehörter Protest

Im Februar 2019 wurde das Ende der Finanzierung der Stadtteilzentren für das zweite Halbjahr von Mario Eustacchio sehr kurz­fristig bekannt gegeben. Gegen die Mittelkürzung gab es umgehend vielfältige Proteste: Empörte Bewohner_innen ließen die Telefone im Stadtratsbüro und Bürgermeisteramt heiß laufen, schrieben Mails und (Leser_innen-)Briefe; es wurden 1.562 Unterschriften gesammelt und ein Aktionstag am Hauptplatz abgehalten. Diese Unmutsbekundungen wurden zwar von den zuständigen Politikern zur Kenntnis genommen, aber in der Folge völlig ignoriert – so gab es bisher noch kein persönliches Gespräch mit Bürgermeister Siegfried Nagl. Die FPÖ hält weiter an den „Umstrukturierungsplänen“ fest und die ÖVP an der Koalition. Es zeigt sich einmal mehr das autoritäre Demokratieverständnis dieser Stadtregierung, die Mitbestimmung nur im Rahmen von Wahlen führ legitim hält.

Doch Demokratie lebt nur durch tagtägliche Teilhabe aller. Ausschlussmechanismen treffen Individuen sowie unterschiedliche gesellschaftliche Felder gleichermaßen. Um dagegen wirksam Widerstand zu leisten, gilt es in Zukunft gemeinsame Allianzen, wie z. B. zwischen Kultur- und Stadtteilarbeit, zu schmieden.