Politik macht Menschenrechte – oder sollen wir es lassen?

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Daniela Grabovac

Sieht man sich die aktuellen politischen Diskussionen über Menschenrechtsthemen an, scheint es, als ob wir in einer Zeit angelangt sind, in der Menschenrechte vor allem die Rechte anderer sind und die Frage ihrer Einschränkung im Vordergrund steht.

Menschenrechte per se sind jedoch Rechte, die jedem Menschen, allein aufgrund seines Menschseins gleichermaßen zustehen. Sie wurden lautstark und erfolgreich durch die Anführer der französischen Revolution mit „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ eingefordert und sie stellten in der Präambel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte fest, dass „die Unkenntnis, das Vergessen oder die Verachtung der Menschenrechte die einzigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen sind“.1

Sozialer Unfrieden, Aufbegehren und Revolutionen würden demnach ihre Ursache in der Nichtbeteiligung sowie der Schlechter- oder Ungleichbehandlung ihrer Bürger:innen haben.

Geschichtlich zurückblickend, fällt auf, dass die Frauenrechtsbewegung als erste das Recht auf Gleichheit und Solidarität nach der Französischen Revolution einforderte. Frauen organisierten sich, gingen auf die Straßen und kämpften für ihre Rechte. Neben dem Wahlrecht und dem Recht auf Bildung spielt auch die politische Repräsentation von Frauen in der Politik nach wie vor eine bedeutende Rolle. Während im Jahr 1918 unter 208 Abgeordneten keine einzige Frau vertreten war, konnten 1919 bereits acht weibliche Abgeordnete im Nationalrat ihre politische Tätigkeit aufnehmen. Heute sind zwar nicht die Hälfte der Abgeordneten weiblich, jedoch beträgt der Anteil der Frauen 39,34 %, was 72 von insgesamt 183 Abgeordneten entspricht.

Politik und ihre Vertreter:innen fungieren als Sprachrohr und Stimme der Bürger:innen, sollen verbindend für das Gemeinwesen wirken und somit einen zentralen Bestandteil der repräsentativen Demokratie bilden. Würde man/frau heute Politiker:innen nach der Gleichberechtigung fragen, so wäre dies eine Forderung, die von allen bejaht werden würde.

So einfach diese Frage zu beantworten ist, so unterschiedlich gestaltet sich deren tatsächliche Umsetzung – so schwierig wird es auch mit anderen Menschenrechten:

Der Einsatz für die Gleichstellung aller Geschlechter, die Chancengleichheit und die Einkommensgerechtigkeit für Frauen sind nach wie vor wichtige politische Forderungen, die realisiert werden müssen. Allerdings wird der politische und öffentliche Diskurs oft von Debatten über eine Einschränkung auf zwei Geschlechter, ein traditionelles Familienbild und die Abschaffung bzw. Limitierung des Genderns.2 begleitet.

Der Diversitäts- und Inklusionsgedanke, der im Menschenrechtsbegriff durch seine Universalität verankert ist, wird oft als belastend wahrgenommen. Emotional aufgeladen, wird die Frage aufgeworfen: „Was fordern ‚die‘ eigentlich noch? Gleiche Rechte und Nicht-Diskriminierung?“ Waren dies nicht auch die Fragen, die Frauen zu hören bekamen, als sie für ihre Rechte auf die Straße gingen?

Welche Umstände und Faktoren haben dazu geführt, dass Menschenrechte für alle Menschen gelten? Ein zentraler Aspekt dabei war der Schutz vor Diskriminierung, der sich als roter Faden durch die Menschenrechte zieht. Dadurch wird sichergestellt, dass Menschen aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung oder ethnischer Herkunft nicht benachteiligt oder schlechter behandelt werden als andere.

Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung3 wurde als staatengemeinschaftliche Antwort gegen das grausame Apartheidregime in Südafrika verfasst und durch gemeinsamen Entschluss der Politik, so auch in Österreich durch das BVG Rassendiskriminierung, anwendbar. Es definierte den Begriff der rassistischen Diskriminierung und war ein Motor für den weltweiten Kampf gegen Rassismus.

Ein Meilenstein für die Bürger:innen der Europäischen Union in der Gleichbehandlung war und ist die Anti-Rassismus Richtlinie 2000/43/EG und Anti-Diskriminierungs-Richtlinie 2000/78/EG. Die Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund rassistischer Zuschreibungen oder der ethnischen Herkunft in den Bereichen Beschäftigung und Beruf, allgemeine Bildung, soziale Sicherheit und Gesundheit sowie Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen einschließlich Wohnraum rüttelte an der Privatautonomie der Unternehmen und Dienstleister:innen und zeigte, wie wichtig Nicht-Diskriminierung für den wirtschaftlichen Erfolg und die Flexibilität der EU-Bürger:innen am EU-Arbeitsmarkt war. Das politische Bekenntnis folgte mit der Erweiterung des Gleichbehandlungsgesetzes in Österreich. Ein Levelling-up, also der gleichwertige Schutz der im Gesetz genannten Diskriminierungsgründe, ist aufgrund verschiedener Einwände von politischen Vertreter:innen bis dato gescheitert.

Im Wandel begriffen und durch den Diskriminierungsschutz getragen, war die Entwicklung bis 2008 von einem Mehr an Rechten und Teilhabe verschiedener Bevölkerungsgruppen geprägt. Ziel war es, niemanden aus der Gesellschaft auszuschließen und Jahrhunderte tradierte Diskriminierungen zu beenden. Eines der prominentesten Beispiele ist die UN-Behindertenrechtskonvention, um damit Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Ging man noch vor zwanzig Jahren davon aus, dass das von der Französischen Revolution beseelte Konzept der Menschen- und Bürgerrechte weltweit Einzug finden würde, steht man heute vor der kritischen Frage: „Welche Menschenrechte kann man sich noch leisten?“

Die Frage nach der Anpassung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)4 sowie die über Jahrzehnte aufgeladenen Diskussionen zu Asyl und Migration zeichnen ein neues Bild der Menschenrechtspolitik. Diese tendiert dazu, Menschenrechte für bestimmte Gruppen einzuschränken, um Kosten zu sparen und eine Bevorzugung zu generieren – ein System, das dem eigentlichen Menschenrechtsgedanken zuwiderläuft.

Altersversorgung, Sozialleistungen, Recht auf Wohnen, Gesundheitsversorgung Bildung uvm. – soziale Menschenrechte, die zur Absicherung eines menschenwürdigen Lebens dienen – stehen ebenfalls auf dem Prüfstand, denn sie genießen nicht denselben Stellenwert wie Freiheitsrechte und sind verfassungsrechtlich nicht abgesichert. Umso wichtiger sind die Forderungen, Maßnahmen und Initiativen der Politik wie z.B. „housing for all“, um Armut und Obdachlosigkeit zu verhindern.

Das Argument mangelnder Finanzierung könnte Kindergartenbetreuungsplätze, Krankenhausbetten, Renten und Heizkostenzuschüsse weiter reduzieren. Umso entscheidender ist es, dass Menschenrechte nicht als Last, sondern als verbindendes Glied für den sozialen Zusammenhalt und den Frieden betrachtet werden.

Regierungen und Politik wären gut beraten, die Menschenrechte zu schützen und zu gewährleisten, um den sozialen Frieden zu wahren und die warnenden Worte des UNO-Hochkommissars für Menschenrechte, Volker Türk, ernst zu nehmen, nämlich diejenigen Themen im Auge zu behalten, „die Menschen am wichtigsten sind – sei es ein Zuhause zu haben, die Schulbildung der Kinder, ihre Gesundheit oder ihr Arbeitsplatz, Gerechtigkeit, ihre Familie und ihre Liebsten, die Umwelt, frei von Gewalt zu sein, die Bekämpfung von Korruption, sowie Gehör zu finden.“5

Denn ganz im Sinne des Dalai Lama:

„Frieden kann nur von Dauer sein, wenn die Menschenrechte geachtet werden.“
Daniela Grabovac

Daniela Grabovac ist Juristin und Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Steiermark.

1 https://www.conseil-constitutionnel.fr/de/erklaerung-der-menschen-und-buergerrechte-vom-26-august-1789
2 https://www.derstandard.at/adblockwall/story/3000000207849/gendern-kanzleramt-r252hmt-sich-der-abschaffung-von-sonderzeichen
3 ICERD (https://www.ohchr.org/en/instruments-mechanisms/instruments/international-convention-elimination-all-forms-racial)
4 https://www.diepresse.com/6215380/asylwerber-was-braechte-eine-aenderung-der-emrk
5 https://www.tt.com/artikel/30891150/uno-kommissar-fuer-menschenrechte-warnt-vor-duesterer-zukunft