alltagssexismen: eine vater-tochter-verhandlung

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Hannah Lechner

Mein Vater sitzt am Küchentisch. Er schneidet Brot auf, Käse und eine Tomate. Ich hatte heute Fahrprüfung, sage ich. Stimmt!, sagt mein Vater. Er schaut vom Schneidebrett auf und mich an: Wie ist es gelaufen? Seine Augen sind sehr freundlich. Gut, sage ich. Außer, dass der Prüfer zur Begrüßung gesagt hat, dass ich sicher bestehen werde, wenn ich so schön fahre wie ich lächle. Ach komm, sagt mein Vater, das war doch sicher nur nett gemeint. So als Ermutigung! Nett!?, frage ich und meine Stimme wird dabei lauter. Glaubst du, das hat er den Typen vor mir auch gefragt? Ich will einfach nur dafür bewertet werden, ob ich fahren kann und nicht für mein Lächeln, so wie jeder scheiss Mann auch! Mein Vater isst ein Stück Brot. Jetzt reagier doch nicht gleich so stark, sagt er. Du hast die Prüfung doch bestanden! Seine Augen sind immer noch sehr freundlich, seine rechte Hand greift nach dem Salzstreuer. Ich schlage die Küchentür hinter mir zu.

Du verstehst das Problem nicht, sage ich am nächsten Morgen – ich sage es sehr ruhig. Es gibt Situationen, in denen sind Komplimente angebracht und Situationen, in denen sind sie es nicht. Eine Fahrprüfung gehört zu Zweiterem. Okay, sagt mein Vater. Aber solche Situationen kann ich doch wohl unterscheiden! Ach ja?, frage ich. Hast du es schon mal erlebt, dass jemand dein Äußeres kommentiert, während du im Büro eine Sitzung leitest? Dich auf dein nettes Lächeln anspricht? Nein, sagt mein Vater. Und du hast auch noch nie einer Frau ein solches „Kompliment“ gemacht, während sie eigentlich nur in Ruhe arbeiten wollte? Deiner Friseurin? Deiner Ärztin? Einer Kellnerin?? Mein Vater denkt kurz nach. Kann schon sein, sagt er. Aber wenn, dann habe er das doch auch nur nett gemeint. Man wird doch wohl noch Komplimente machen dürfen! Nein, rufe ich. Und: Siehst du, du bist auch nicht besser als der Fahrprüfer. Du bist auch nur ein alter weißer Mann. Damit endet mein Deeskalationsversuch. Ich schreie noch andere Dinge, sehr gemeine. Weil ich nicht so genau weiß, was ich sagen soll, wie ich es sagen soll und was ich eigentlich alles sagen will. Weil ich dann immer sehr schnell sehr emotional werde. Diesmal schlägt mein Vater die Tür zu.

Der Führerschein verändert mein Leben, ich bin endlich nicht mehr auf quasi nicht existente Busverbindungen angewiesen. Nur zum Fortgehen taugt er nicht so richtig, also holt mein Vater mich von der Disco ab, sehr geduldig und in regelmäßigen Abständen. Während ich einsteige, kotzt eine junge Frau neben uns auf den Parkplatz, ihre Freundin hält ihr die Haare. Deine Mutter hat nie getrunken, sagt mein Vater. Und: Das habe ich immer schon unattraktiv gefunden, wenn eine Frau sturzbetrunken ist. Und: Ich bin froh, dass das grad nicht du bist. Was macht das für einen Unterschied, frage ich, ob sich ein Mann oder eine Frau betrinkt? Du hast doch früher sehr gern gefeiert mit deinen Freunden, erzähl mir nicht, dass du noch nie auf einen Parkplatz gekotzt hast! Naja schon, sagt mein Vater. Eben, sage ich. Warum sollte ich das dann nicht auch machen? Ich glaube nicht, dass deine Kotze irgendwie schöner ausschaut, als meine. Hmm, sagt mein Vater. Dann fahren wir los und das Gespräch bleibt irgendwie hängen. Wir sind beide zu müde zum Streiten.

Das ist der Grund, warum es immer noch Feminismus braucht, sage ich einige Jahre später, als die Zeitungen am 8. März voll sind mit Texten über verschärfte Abtreibungsgesetze, über Femizide und über MeToo-Ereignisse. Ich bin inzwischen von zu Hause ausgezogen. Das ist alles sehr schlimm, sagt mein Vater durch den Handy-Bildschirm. Manchmal würden ihn solche Texte aber auch ärgern. Er kriege dann das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen dafür, dass nicht alle Männer so sind! Er habe Frauen doch immer mit Respekt behandelt, seine Freundinnen, seine Mitarbeiterinnen, seine Bekannten. Er habe sich niemals bewusst sexistisch verhalten und schon gar nicht übergriffig. Diese Texte würden seinem Blick auf die Welt doch gar nicht gerecht! Das mag sein, sage ich. Aber dein Blick auf die Welt ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt. Du hast scheinbar keine Ahnung von der Lebensrealität einer jungen Frau, sonst würdest du verstehen, dass die Texte in der Zeitung keine Berichte von Ausnahmefällen sind! Oder ist es dir schon mal passiert, dass du nachts am Heimweg von einer Bar einfach so von einem fremden Mann gegen eine Hauswand gedrückt wurdest, eine Hand auf deiner Brust und eine auf deinem Arsch? Nein, sagt mein Vater. Er schaut mich lange an. Mir schon, sage ich. Dann sagen wir beide eine Weile nichts mehr.

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Bild: DoIMiss — Barbara Philipp

Ein paar Monate später sprechen Sophie Passmann und andere Frauen in „Männerwelten“ über Sexismus und sexualisierte Gewalt. Ich kopiere den Link zum Video und schicke ihn meinem Vater per Mail. Betreff: Hat mich an unsere letzte Feminismus-Diskussion erinnert. Das müsse er erst Mal verdauen, antwortet er. Er wisse ehrlich gesagt gar nicht, wie er damit umgehen soll. Und: Gib mir Zeit zum Nachdenken! Wir schreiben uns über mehrere Tage lange E-Mails mit sorgfältig gewählten Worten. Beim Schreiben kann man sich nicht anschreien – das kommt uns sehr zu Gute.

Seit Kurzem ist mein Vater in Pension. Er erzählt mir von all den Plänen, die er im Kopf hat: von einem Kräutergarten, einer Ausbildung, einem Hund. Ich freue mich, dass du so aktiv bist, sage ich, ich hatte Angst, dass dir die Pension echt zusetzen könnte! Aber findest du nicht auch, dass jetzt auch mal Mamas Bedürfnisse an erster Stelle stehen sollten, so in beruflicher Hinsicht? Sicher, sagt mein Vater. Er wolle von nun an auch viel mehr zu Hause mithelfen! Nur vermute er, dass ihn das allein nicht befriedigen würde. Siehst du, sage ich, das ist Teil des Problems. Dass du von „mithelfen“ sprechen kannst und einfach so sagen, dass dich das Vater- und Hausmann-Sein nicht befriedigt. Ohne dass die Gesellschaft von dir denkt, du wärst ein schlechter Mensch. Wie meinst du das? fragt mein Vater. „Mental Load“, sage ich und „unbezahlte Care-Arbeit“. Was? fragt mein Vater. Ich hole sehr weit aus. Wir reden lange, die meiste Zeit ich. Am Ende bedankt er sich für das Gespräch. Da müsse er wohl noch viel mehr nachdenken, sagt er. Und: Lass uns wieder darüber sprechen!