wo wände fehlen und gebraucht werden

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Evelyn Schalk ◄

Zum zweiten Teil der ausreißer-Doppelausgabe wort an der wand

Es fehlen die Worte, wenn Kinder nachts aus ihren Betten geholt, aus ihren Leben gerissen und mitten in der Pandemie, oder egal wann, in ein ihnen unbekanntes Land deportiert werden.

Es fehlen die Worte, wenn in Untersuchungsausschüssen Akten geschreddert und Falschaussagen über den größten politischen Skandal der Zweiten Republik sang- und klanglos akzeptiert werden.

Es fehlen die Worte, wenn Menschen an ihrem Lebensalter, ihrem Einkommen, ihrer Produktivität gemessen, beziffert werden und eine Gesellschaft gegenrechnet, wieviel ihr Schutz wert ist.

Es fehlen die Worte, wenn jene die Straße und den Diskurs übernehmen, die Fakten zugunsten der eigenen, vermeitlichen oder tatsächlichen, Bequemlichkeit, Ignoranz und Rücksichtslosigkeit leugnen.

Es feheln die Worte, wenn jene Sprache, jene Perspektive, jener Blickwinkel, jene Literatur und künstlerische Erzählung den gesellschaftlichen, öffentlichen Raum und Diskurs beherrscht, die am besten im und für ein kommerzielles System funktioniert und neben, vor und über sich nichts und niemand anders atmen lässt.

Jedes einzelne geschwiegene, verschwiegene, ungesagte, ungeschriebene, ungelesene, ungehörte, ungedachte Wort, das solche Zustände benennt, anprangert, ihnen die Akzeptanz entzieht, fehlt. An jeder Wand, in jedem Text, auf jeder Seite, in jeder Zeile, auf jedem Display. In jedem Gespräch.

Es braucht nicht weniger, sondern noch viel, viel mehr Wände für diese Worte – um die Mauern einzureißen, die solche Zustände zulassen und ermöglichen.


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