Leben, um zu erzählen

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Ancilla Umubyeyi im Interview mit Evelyn Schalk


Mein Name ist Ancilla Umubyeyi. Ich bin in Kigali, Ruanda, geboren. Dort habe ich eine Ausbildung zur Volksschullehrerin gemacht. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Seit 1991 lebe ich in Österreich. Hier habe ich mich zur diplomierten Sozialbetreuerin ausbilden lassen und arbeite nun in diesem Beruf.

Im Jahr 1994, während des Genozids an den Tutsi, lebte ich bereits mit meiner Familie hier in Österreich. Die Geschehnisse in meinem Herkunftsland verfolgte ich vom Bildschirm aus mit. Damals machte es mir schwer zu schaffen, nichts tun zu können. Weder konnte ich die Situation stoppen, noch konnte ich sie verhindern. Nach dem Genozid erfuhr ich, dass ich viele aus meiner Familie verloren hatte.

Danach sah ich mich in der Verantwortung, etwas zu tun, um über diese Geschehnisse zu informieren und alles in meiner Macht stehende daran zu setzen, dass all dies nicht mehr passiert. Dies bin ich den Verstorbenen schuldig. Ansonsten wäre deren Tod umsonst gewesen. In diesem Sinne habe ich einige Gedenkveranstaltungen initiiert und mitorganisiert, habe Vorträge gehalten und an der Erstellung von Kunstobjekten mitgewirkt.

2014 fand eine Gedenkveranstaltung im Hamakom Theater, anlässlich des 20. Jahrestages des Genozids an den Tutsi in Ruanda statt. Im selben Jahr gab es einen Vortrag im Republikanischen Club. Zusammen mit dem Ehepaar Dafroza und Alain Gauthier, die es sich zum Ziel genommen haben, die Täter des Genozids zu verfolgen, wirkte ich im Folgejahr ebenfalls im Republikanischen Club an einem weiteren Vortrag mit.

2019 initiierte und organisierte ich zusammen mit der Ruanda Diaspora in Österreich eine weitere Gedenkveranstaltung im Stadtkino, anlässlich des 25.  Jahrestages zum Gedenken des Genozids an den Tutsi.

2024 kam es in Zusammenarbeit mit der Ruanda Diaspora in Österreich zum 30-jährigen Gedenken zu einer weiteren Gedenkveranstaltung im Stadtkino. Zudem konnte ich zusammen mit dem Künstlerpaar Bele Marx und Gilles Mussard die Installation einer Gedenksäule am Yppenplatz verwirklichen. Zu dieser Säule gab es auch zwei Podiumsdiskussionen, unter anderem mit Doron Rabinovici, Esther Mujawayo und Dimitrie Sissi Mukanyirigira. Des Weiteren gab es mit mir im ORF Programm „Fremde Heimat“ einen Beitrag zum Thema Versöhnung in Ruanda sowie zwei Interviews mit Ö1, welche unter anderem den Einfluss des Hassradio-Senders RTLM behandelte.

Mir ist wichtig zu zeigen, dass die Vergangenheit allgegenwärtig ist und dass die Verstorbenen nicht in Vergessenheit geraten. Dafür setze ich mich ein.“

Wie gestaltet sich aktuell die Auseinandersetzung und Aufarbeitung des Völkermordes in Ruanda und wie präsent ist dies wiederum in der Diaspora?

In Ruanda ist es sehr präsent, es gibt sehr viele Gedenkstätten im ganzen Land. Die Angehörigen der Opfer sind mehrheitlich in Ruanda, weniger im Ausland. Es wird viel zur Prävention und gegen das Vergessen unternommen. Aber das Leben geht weiter, irgendwie.

Im Ausland ist es unterschiedlich, wo größere Communities der ruandischen Diaspora leben, ist es stärker präsent, hier in Österreich wiederum kaum.

Wie wichtig ist diese Präsenz neben Trauer, der Prävention und der Verantwortung gegenüber den Opfern auch angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage?

Gerade jetzt muss diese Thematik sehr präsent sein, mehr denn je. Solche Geschichten, solche Ereignisse müssen mahnen und Augen öffnen.

Was braucht es dafür?

Ich sehe, je mehr ich organisiere, desto mehr Leute kommen. Wenn man mehr tut in diese Richtung, kann es eine positive Entwicklung geben. Was die Thematik betrifft, sind wir in Österreich noch am Anfang. Klarerweise kann man die Situation nicht mit Frankreich oder Großbritannien vergleichen. Österreich hat keine Geschichte mit Ruanda. Nicht so viele Menschen aus Ruanda sind hier, und viele wollen nicht darüber reden.

Wie sind die Reaktionen auf ihre Projekte, die ja auch im öffentlichen Raum stattfinden?

Die Reaktionen sind ziemlich positiv: Als wir etwa die drei Säulen der Erinnerung am Yppenplatz in Wien ausgestellt haben, fand zeitgleich ein Kongress über Holocaustforschung statt, u.a. mit Doron Rabinovici und Teilnehmenden aus ganzer Welt. Da haben sich Gespräche und Verbindungen ergeben. Jetzt haben wir eine Einladung aus Südafrika bekommen, zu einem Projekt im dortigen Holocaustmuseum.

Sie haben selbst viele Familienmitglieder während des Völkermordes verloren. Waren bzw. sind Sie seither in  seither in Ruanda gewesen?

1994 war ich mit meinem Mann und meiner Tochter hier in Österreich, sie war damals zwei Jahre alt. Wir haben alles genau verfolgt. 1996 hatte ich das Bedürfnis, unbedingt selbst nach Ruanda zu reisen und das Grab meiner Eltern zu suchen. Ich bin mit meiner Tochter nach Ruanda gefahren und einen Monat dort geblieben. Wir hatten sozusagen Glück, wir wussten, wo meine Eltern sich aufgehalten hatten und konnten so ihr Grab finden. Viele wissen das bis heute nicht. Es war eine Erleichterung dagewesen zu sein. Das fühle ich immer wieder. Es kommen aber auch Zeiten, die schwer sind, dann muss ich etwas tun. Anders ertrage ich es nicht.

Ruanda hat sich trotz dieser Geschichte zum Positiven verändert, die Regierung macht alles, damit die Leute sich versöhnen und weiterleben können. Ich habe Hoffnung. 30 Jahre ist zu kurz, aber ich hoffe, es wird mit der Zeit besser. Die Geschichte verändert sich, wir leben, heiraten untereinander. Wenn es nicht weitergeht, wird es Ruanda nicht mehr geben und das wünsche ich meinem Land nicht.

Welche Verantwortung tragen europäische Länder und Medien? Ist das Thema präsent genug?

Es ist unterschiedlich, aber generell bräuchte es viel mehr. Auch in Frankreich oder England wird nicht genug dafür getan. Es ist präsenter, weil mehr Leute da sind, aber man könnte mehr tun. In Mitteleuropa gibt es sehr wenig Wissen darüber. Ich bin es meiner Geschichte, den Opfern schuldig, darüber zu reden. Ich glaube, es gibt einen Grund, warum jemand überlebt hat. Ich werde mein Leben lang nicht aufhören, darüber zu erzählen und zu warnen.