Martin Dragosits ◄
Sobald eine Gemeinschaft eine Größenordnung erreicht, die nicht mehr in ein Dorf hineinpasst, die Kommunikation von Meinungen und Informationen nicht mehr auf Zuruf erfolgen kann, gewinnt ihre Verteilung und Weitergabe an Wert. Wird sie gesteuert, manipuliert, beeinflusst? Kann sie unabhängig erfolgen, ungehindert, ohne Einschränkungen? Ist es möglich, Medien unabhängig von der politischen Ausrichtung zu gründen? Gibt es Zugangsbeschränkungen? Dominiert ein einzelnes Unternehmen die Deutung und Bewertung von Informationen oder ist der Markt auf mehrere Teilnehmer*innen aufgeteilt? Dürfen sie laufend berichten, selbst wenn kritische Artikel erscheinen, die für Mächtige, Prominente, Minister oder große Konzerne unangenehm sind? Ist die wirtschaftliche Existenz einer Zeitung, eines Verlags, einer Radio- oder Fernsehstation von Inseraten oder Förderungen einer bestimmten Gruppierung abhängig? Werden Sendungen oder Artikel zensuriert, ihre Veröffentlichung von Eigentümervertretern verhindert? Bleiben Informationsquellen geschützt oder müssen Redaktionen sie offenlegen, falls eine Behörde es anordnet, das Gericht es veranlasst? Besteht für bestimmte Bereiche oder Arten von Informationen Weitergabeverbot, drohen dafür Geldstrafen, Gefängnis oder Anklage wegen Hochverrats?
Der Reifegrad einer Demokratie ist direkt von der Beantwortung dieser Fragen abhängig. Ohne offenen Zugang zu Informationen, ohne Möglichkeit, von Missständen zu erfahren, von neuen Ideen, anderen Meinungen und Interpretationen, werden Mitglieder einer Gesellschaft in letzter Konsequenz von qualifizierten Entscheidungen ausgeschlossen.
Für die Ausformung einer eigenständigen Meinung, die Für und Wider aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, ist die Anzahl vorhandener und voneinander unabhängiger Informationsquellen entscheidend. Wer Informationen nur über einen Informationskanal aufnimmt, von Eltern, dem Partner, einseitigen Medien – eine einzige Zeitung liest, in ihr nur oberflächlich blättert –, kann zwischen Sachverhalten, Beschönigung und Manipulation nicht unterscheiden. Das Reduzieren und Einschränken der Informationsaufnahme führt fast zwangsläufig zu ebensolchem Denken, einer Schwarz-Weiß-Mentalität, die das erstbeste Argument ungeprüft in die Manteltasche steckt, dort dauerhaft als Talisman aufbewahrt, den Gesang einer ferngesteuerten Sprechpuppe stützt.
Jede Nachrichtenquelle berichtet in der ihr eigenen Qualität, transportiert bestimmte Sichtweisen, vertritt spezifische Glaubenssätze, befürwortet und spart aus. Möchte sie größere Menschenmengen erreichen, vereinfacht sie Sprache und Themen, ersetzt Texte durch Bilder oder Videos, heutzutage schon oft von Einzelnen produziert. Jedes Medienunternehmen braucht eine kommerzielle Grundlage, Auflage, Inserate, also Leser, die angelockt und gehalten werden müssen, was am besten mit Bedrohungsszenarien, geschürten Ängsten, Parolen, durch Kontaktaufnahme mit dem Stammhirn und Ansprechen des Instinkts gelingt.
Medien, die sich der Marktlücke verschreiben, die Qualität verspricht, jener Nische zwischen Mehrheitsfähigkeit und Provokation, die laut unterstützt, aber selten genutzt, damit leben muss, Berichte, Kommentare, Glossen im spitzen, fast schon toten Winkel zu verfassen, müssen, ob sie wollen oder nicht, mit den Überbringern vereinfachter Nachrichten konkurrieren, ein Aufmerksamkeitsreservat errichten, einen festen Standort ihrer flüchtig wahrgenommenen Bemühungen. Das ist nur bei Rahmenbedingungen möglich, die Vielfalt erhöhen, statt Konzentrationsprozesse zu fördern, die zum Wegfall von Mitbewerber*innen führen.
Nur ein vielfältiges Angebot miteinander durchaus heftig konkurrierender Meinungen führt zur tatsächlichen Auseinandersetzung mit Thesen und Standpunkten und ermöglicht die Gewichtung von Argumenten, Akzeptanz und Ablehnung in einem nicht schon von vornherein festgelegten Raum. Das Angebot an Meinungen muss frei verfügbar sein, nutzbar, uneingeschränkt, vor allem in ausreichend großer Zahl vorhanden, als Voraussetzung für Diskurs, Entwicklung von Handlungsalternativen, als Reservoir für entstehende Ideen, aus denen jeder, unabhängig von Alter, Geschlecht, Abstammung, Sprache, kultureller Besonderheit, sprichwörtlich mit vollen Händen schöpfen kann, aus verschiedenen Becken und Gefäßen und nicht aus einem einzigen großen Pool, in dem schon zuvor alles vermischt und begradigt, aufgeweicht schwimmt.
Ob den Medien dadurch eine besondere Rolle, eine besondere Verantwortung zukommt? Dadurch, dass sie Multiplikationseffekte erzeugen, eine Verstärker*innenrolle wahrnehmen, abschwächen, beschwichtigen, sogar manipulieren? Ja und nein. War die schlechte Presse am Ersten Weltkrieg schuld, wie Karl Kraus es ihr vorgeworfen hat? Ja und nein. Hätte es den Krieg ohne sie gegeben? Ja. Was wäre gewesen, wenn die Presse nicht schon Jahre zuvor den Krieg gegen Serben und Slawen gefordert hätte? Sie war nicht die einzige, die davon profitierte oder entsprechende Interessen zu vertreten hatte.
In einer komplexen Welt beruhen Entscheidungen nur selten auf einzelnen Faktoren, die linear berechenbar, nach Ursache-Wirkung-Prinzip den Ablauf der Dinge gestalten. Berichterstattung ist immer auch ein Spiegel ihrer Zeit, der gerade um Aufmerksamkeit ringenden Argumente. Wenn es so einfach wäre, das Weltgeschehen durch Kommentare, Leitartikel und fett gedruckte Schlagzeilen zu beeinflussen, könnten sich Politiker oder Militärs die eine oder andere Rüstungsausgabe ersparen. Andererseits ist es wahrscheinlich einfacher, einen Krieg herbei zu schreiben, Emotionen von einer Ebene auf die nächste zu führen, sie zu schüren und anzuheizen, als das Gegenteilige zu erreichen.
Das Geschäft der Medien ist sensibel und nicht ausschließlich als kommerzielles Unternehmen zu begreifen, auch wenn ihre Investor*innen die zu erzielende Rendite interessieren muss. Die öffentliche Meinung hat in jeder Regierungsform Gewicht, kein Herrscher kann sie völlig negieren. Presse, Medien, Internet-Blogs, sie nehmen Meinungen auf, Stimmungen, Schwankungen von Gunst und Kritik. Feinfühlige Barometer, die Tendenzen verdichtet darstellen. Eine Schlagzeile ist ihre Statistik, ein Balkendiagramm aus Buchstaben und Worten, simpel und effektiv.
Sollte diese Vielfalt eingeschränkt sein, reduziert, gesteuert, beeinflusst, manipuliert, zensuriert, verboten, so hat jede dieser Einflussnahmen eine direkte Auswirkung auf die Möglichkeit der Meinungsbildung und damit im weiteren auf die Fähigkeit zur selbstständigen Entscheidung. Information ist daher ein Grundrecht, für eine Demokratie so wichtig wie Wasser und Luft.
Martin Dragisits
Neben dem wirtschaftlichen Effekt ermöglichen Medien Einfluss, Themenführerschaft. Sie feuern täglich oder wöchentlich Kräftevektoren ab, deren Zweck nicht nur auf monetären Überschüssen beruht. In einem Gesamtgefüge trägt jeder Einzelne seinen Teil bei, der nicht mathematisch exakt berechenbar, trotzdem jedoch unbestreitbar vorhanden ist und wirkt.
Die Presse, die Medien, sind bedingt durch den Faktor Zeit, der sie zwingt, beschleunigt zu handeln, ein Brennglas der Gesellschaft, ihrer moralischen Vorstellungen, ihrer im täglichen Leben angewandten Regeln, vielmehr noch der Übertritte und Verstöße, die sie journalistisch dekorieren, mit den Mitteln der Berichterstattung für ihre Zielgruppe aufbereiten. Sie vergrößern, verkleinern, verzerren. Sie leisten in komplexen Systemen ihren Beitrag, in einer Bandbreite, vergleichbar mit dem Einsatz von Spielgeld im Casino, bei dem der nächste Lauf der Roulettekugel und ihr unmittelbares Ergebnis nicht vorhersehbar ist, von völligem Verlust bis zu überproportionalem Gewinn reichen kann. Meist wirksamer als der Flügelschlag eines Schmetterlings auf der gegenüberliegenden Seite der Erde, wobei sie damit allerdings nur in besonderen Fällen einen Sturm auslösen.
Die Sprache der Medien, ihre Argumente im täglichen Gebrauch, ihre Bilder und Vergleiche sind ein direktes Spiegelbild der Gesellschaft, das in Wechselwirkung, in ununterbrochenem Austausch mit ihr entsteht, sich laufend anpasst, wie abgeschliffene Kanten, die einander im Lauf der Zeit immer besser ergänzen, gegenseitig den Vortritt lassen, ohne einander zu verletzen. Daraus entsteht jedoch nicht Komplexität, sondern Vereinfachung. Desto höher die Auflage, desto simpler die Botschaft, inklusive Ursache und nötiger Maßnahmen. Als wenn nur ein einziger Beschluss anzustreben wäre, um Erdbeben dauerhaft zu verbieten. Als wenn die Welt Modellcharakter hätte und ein einzelner Mensch im Labor ihre Bestandteile durcheinander wirbeln, sie neu zusammensetzen könnte und dabei noch wüsste, was er oder sie denn gerade täte.
Sind verschiedene Medien mit unterschiedlicher Ausrichtung am Markt vorhanden, frei erhältlich, regelmäßig veröffentlicht, so ist es dem Einzelnen möglich, aus den vielen Darstellungen, selbst wenn sie vereinfachte Argumentationen pflegen, einen Überblick zu bekommen, der als Entscheidungsgrundlage und zur Bewertung von Themenstellungen taugt. Sollte diese Vielfalt eingeschränkt sein, reduziert, gesteuert, beeinflusst, manipuliert, zensuriert, verboten, so hat jede dieser Einflussnahmen eine direkte Auswirkung auf die Möglichkeit der Meinungsbildung und damit im weiteren auf die Fähigkeit zur selbstständigen Entscheidung.
Information ist daher ein Grundrecht, für eine Demokratie so wichtig wie Wasser und Luft. Für den Bürger ist es auf lange Sicht notwendig, sich damit entsprechend zu versorgen, sorgfältig zwischen verschiedenen Quellen zu wählen, einseitige Informationen vorbeugend zu ergänzen. Selbstständig auf Ausgewogenheit zu achten, auf Balance in der Zufuhr hochwertiger, aber manchmal auch profaner Grundnahrungsmittel des gesprochenen und geschriebenen Worts.
Es liegt in der Auswahl und Verantwortung des Einzelnen, sich dieser Herausforderung zu stellen, die keinen unmittelbaren Vorteil außer möglichem Erkenntnisgewinn verspricht. Aber nicht nur die passive Aufnahme ist dabei von Relevanz, die Wiederverwertung, sprich Weitergabe gesammelter Informationen ist durch elektronische und Soziale Medien für jeden von uns einfacher geworden. Konnten wir früher bestenfalls durch Leser*innenbriefe, Unterricht, in öffentlichen Versammlungen mit anschließender Diskussion, Menschen außerhalb des eigenen Freundes- und Bekanntenkreises erreichen, ist es nun möglich, Positionen und Argumente mit wenig Aufwand weiter zu empfehlen und zielgruppenorientiert zu verbreiten, bei gleichzeitig nennenswerter Reichweite.
Die Weitergabe und Vermittlung von Informationen geschieht oft nur sehr oberflächlich, aber viele Meinungen, die unabhängig voneinander entstehen und andere erreichen, können ein Sicherheitsnetz bilden, einen Informationsfluss von vielen kleinen Bächen und Rinnsalen, die im Ganzen den Grundwasserspiegel verfügbarer Information erhalten oder heben.
Diktaturen wissen schon, warum sie versuchen, im Internet ihr Informationsmonopol zurückzugewinnen, Blogs vom Netz nehmen, IP-Adressen sperren, Hegemonie der Informationsweitergabe herstellen und beibehalten wollen. Sie kämpfen gegen eine Hydra, der immer neue Köpfe nachwachsen, sofern sie sich nicht dazu entschließen, ihr Land vollständig vom Netz zu nehmen, es abzuschotten und damit gleichzeitig ihre wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten zu ruinieren.
Eine funktionierende Demokratie sorgt dafür, Medienvielfalt zu erhalten. Ob sie dafür finanzielle Förderungen einsetzt oder Rahmenbedingungen schafft, die dazu führen, ist eine ideologische Frage, bei der uns vor allem das erfolgreiche Ergebnis interessiert.
Nicht nur ein Monopol ist schädlich, bereits ein Oligopol im Medienbereich, die Konzentration auf einige, wenige Marktteilnehmer, die den Informationsmarkt unter sich aufteilen, ist ein gefährlicher Zustand. Sie lassen kleine Mitbewerber unter die Wahrnehmungsschwelle sinken, erschweren deren wirtschaftliches Überleben durch ihre Marktmacht.
Martin Dragisits
Sie muss ungehinderten Journalismus ermöglichen, Meinungsaustausch stärken, unzensurierte Äußerungen und kritische Berichterstattung. Kriterien für eine funktionierende Medienlandschaft und damit ausschlaggebend für den Reifegrad einer Demokratie sind Fragen, wie wir sie uns zu Beginn gestellt haben. Eine Demokratie muss bereit sein, den dafür notwendigen finanziellen Einsatz zu leisten.
Die Wahlfreiheit zwischen mehreren verschiedenen Nachrichtenquellen unterscheidet den Informationszugang in einer pluralistischen Gesellschaft von dem in einem autoritär gelenkten Staat, der die Verbreitung von Meinungen und Beurteilungen nur mehr über einen verengten Kanal zulässt, der Staat als Eigentümer direkt oder indirekt Schlagzeilen und Kommentare kontrolliert, bevor sie an die Öffentlichkeit gelangen.
Nicht nur ein Monopol ist schädlich, bereits ein Oligopol im Medienbereich, die Konzentration auf einige, wenige Marktteilnehmer, die den Informationsmarkt unter sich aufteilen, ist ein gefährlicher Zustand. Sie lassen kleine Mitbewerber unter die Wahrnehmungsschwelle sinken, erschweren deren wirtschaftliches Überleben durch ihre Marktmacht.
Wenn Informationen sozusagen über Autobahnen, über einige wenige Kanäle fließen, ohne Querverbindungen, ohne kleine und unabhängige Transportwege, findet bereits eine Vorselektion statt. Es entsteht eine geringere Zahl an veröffentlichten Meinungen. Eine Regierung oder an politischem Einfluss interessierte Investor*innen können daher einfacher und umfassender Kontrolle über sie erlangen. Alternativen Ideen, Haltungen, Standpunkten, fällt es in so einem Umfeld schwerer, Aufmerksamkeit zu erringen und sich durchzusetzen.
Mit reduzierten Informationen, einseitig aufgetragen, vorausgewählt, an bestimmten Punkten beschwert, entsteht Einflussnahme, die den Boden aufbereitet, auf dem nachfolgend weiterführende Maßnahmen ohne größeren Widerstand beschlossen werden können, zum Vorteil von Regierenden und mit ihnen verbundenen Interessensgruppen. Eine Vielfalt an Meinungen, frei zugelassen, ist das bestmögliche Gegenmittel, um uns vor Manipulation zu schützen. Darauf müssen wir achten, falls der Staat oder eine Behörde bei unliebsamer Berichterstattung versucht, einen Anlassfall zu konstruieren, um Redaktionen und Journalist*innen Rechte zu entziehen, sie bei ihrer Arbeit zu behindern. Sie möchte sich damit meist der Kontrolle durch die Öffentlichkeit entziehen, von Fehlern und Versäumnissen ablenken, politische Konsequenzen vermeiden. Gegen eine solche Vereinnahmung müssen wir uns wehren und standhaft beim Schutz der journalistischen Freiheit bleiben.