Martin Murpott ◄
Nun ist es also passiert! Zum ersten Mal in der Geschichte der zweiten Republik hat eine rechtsradikale Partei, deren historische Ursprünge im Ewiggestrigen des Nationalsozialismus wurzeln, einen bundesweiten Urnengang gewonnen. Tatsächlich ist dies aus mehreren Gründen gerade in Österreich weniger verwunderlich, als man vielleicht meinen möchte. Was man hierzulande nämlich seit Jahren vergeblich sucht, ist ein mehrheitsfähiger, antifaschistischer sowie überparteilicher Konsens mit dem Ziel, die Freiheitlichen erst gar nie stärkste politische Kraft im Land der Mittäter- und -läufer*innen werden zu lassen. Und selbst wenn es die altbekannten Redakteur*innen der größten heimischen Tageszeitungen nie zugeben würden, haben sie sich eines solchen Konsens ebenfalls gekonnt entzogen.
Auf die Frage, ob die österreichische Medienlandschaft dabei im Vorfeld der Nationalratswahl 2024 versagt hat, lässt sich wohl trotzdem keine einfache Antwort finden. Ein Versagen würde nämlich implizieren, dass man überhaupt erst versucht hätte, eine breite Front gegen die in Umfragen seit Monaten vorangelegene FPÖ auf die Füße zu stellen. So aber wurden die Freiheitlichen von den meisten relevanten Medien im besseren Fall bloß als eine völlig normale demokratische Partei in einem völlig normalen demokratischen Parteienspektrum behandelt. Im schlimmeren Fall, und das lässt sich relativ gut am auflagenstärksten Tagesblatt des Landes demonstrieren, präsentierte man der geneigten Leserschaft eine Wahlempfehlung für die FPÖ schon fast auf dem Silbertablett.
Nicht, dass der Kronen Zeitung per se zu unterstellen wäre, dass sie unverhohlen mit den Freiheitlichen sympathisieren würde, allerdings lässt sich eine gewisse Vorliebe für zumindest rechtspopulistische Themen wirklich nicht verleugnen. Konkret bedeutet das, dass in den Wochen vor der Wahl verhältnismäßig oft Schlagzeilen wie „Vor Abschiebung jeder 2. kriminell“ (26.08.), „Deutsch an Schulen schon Fremdsprache“ (03.09.) oder „IS erobert die Kinderzimmer“ (07.09.) auf der Titelseite zu finden waren. Zwar hat die Krone ihrer Leser*innenschaft immer irgendwie nach dem Mund geschrieben, aber hier wurden blaue Kernthemen bedient, als wären sie ein russischer Oligarch in einem Kitzbüheler Nobellokal.
Auch die vermeintlich seriösere Nummer 2 im Ranking hat sich kaum mit journalistischem Ruhm bekleckert, was eine notwendige Abwehrhaltung gegenüber der FPÖ betrifft. Viel eher hat sie in ihrer medialen Darstellung und Einbindung der Partei ebenfalls dazu beigetragen, die Blauen als legitime Mitspieler*innen zu etablieren. Dabei besitzt die Kleine Zeitung ja durchaus etwas, das der Krone im Wesentlichen abgeht: eine relativ beständige politische Ausrichtung, die wenigstens auf den ersten Blick mit autoritärem und antidemokratischem Gehabe von Rechtsaußen unvereinbar scheint. Sie wird nämlich traditionell dem katholisch-konservativen Spektrum und somit im weiteren Sinne der ÖVP zugeordnet, ist sie doch Produkt des Styria-Konzerns, der wiederum der Privatstiftung des Katholischen Medien Vereins gehört.
Für viele Zeitungsleser*innen drängt sich vermutlich trotzdem sofort die Frage auf, warum ausgerechnet die Kleine Zeitung (KLZ) aktiv gegen die Freiheitlichen kampagnisieren hätte sollen? Nun gut! Zwar mag es gerade in Österreich exorbitant naiv klingen, aber bis zum 23.3.2023 hätte ich tatsächlich gesagt, dass Vernunft und Überzeugung zwei wirklich gute Gründe dafür gewesen wären. An diesem Tag allerdings konstituierte sich die neue niederösterreichische Landesregierung unter der schwarzen Landeshauptfrau Mikl-Leitner und ihrem blauen Stellvertreter Udo „Ich kenne unsere eigenen Liederbücher nicht“ Landbauer. Denn während die KLZ in den Vorjahren durchaus kritisch über die sogenannte Liederbuchaffäre berichtete, war „die Zahl der aus der Zeit Gefallenen“ (Ernst Sittinger, 1.11.2019) seit dem Schwarz-blauen Arbeitsübereinkommen plötzlich kein Empörungsgrund mehr, sondern wenn überhaupt eine Notiz am Rande.
Nun ist es natürlich so, dass die NS-affinen Eskapaden im Umfeld der FPÖ regelmäßig wiederkehrend sind. Doch was macht die KLZ auch in der letzten Woche vor der Nationalratswahl daraus? Nichts! Eine am 28.9.2024 stattgefundene Anzeige wegen Verdachts auf Wiederbetätigung Seitens der Jüdischen Hochschülerschaft gegen mehrere FPÖ-Funktionäre hätte sogar noch zwei Tage vor dem Urnengang massig Inhalt für einen wirklich giftigen Artikel gegen die Freiheitlichen geboten. Ein dazugehöriger Online-Beitrag der KLZ vom selbigen Tag indessen las sich fast schon so wertneutral und trocken wie ein Kochrezept in Plachuttas „Gute Küche“. Man könnte also meinen, anstatt allgemein klare Kante zu zeigen, wollte man weiterhin die Illusion aufrechterhalten, dass mit der FPÖ notfalls eine vernünftige Regierung zu bilden wäre. Damit würde die KLZ nämlich ganz klar dem ÖVP-Credo folgen, wenn überhaupt einzelne Akteure, nicht jedoch die gesamte Partei von einer möglichen Koalition auszuschließen.
Man möge mir verzeihen, dass ich ÖSTERREICH bis jetzt ausgespart habe, allerdings bringt mich alleine der Gedanke an eine Folge FELLNER LIVE mit Gerald Grosz oder Schlagzeilen à la „Neue Umfrage: Diese Wahl wird „arschknapp“ “an den Rand eines Gehirnschlages. Dieser sogenannte „Fellnerismus“ gepaart mit der absolut kritikwürdigen Inseratenpolitik des Gratisblatts lassen eigentlich nur den Schluss zu, dass den Machern gesellschaftlich einfach wirklich alles egal sein dürfte. Nicht viel besser verhält es sich mit der zweiten Gratis-Zeitung des Landes. Die Frage, ob HEUTE noch als Boulevard durchgeht, oder bereits als Verursacher von Augenkrebs benannt werden muss, scheint durchaus berechtigt. Inhaltlich gab man sich betont neutral und fair. Herbert Kickl als jemanden zu präsentieren, der gerne Nudeln jausnet, Viktor Hugo liest und Journey hört (HEUTE Wien vom 28.9.2024), ist halt um ein Vielfaches einfacher, als die wiederkehrenden Angriffe seitens der FPÖ auf die Pressefreiheit zu thematisieren. Und warum sollte man schon in einem einseitigen Interview vom 25.9.2024 Kickls Vorstellungen von „Fahndungslisten“ oder „Volksverrat“ hinterfragen, wenn man seiner Expertise zum Thema Asyl oder Klimawandel Platz geben kann?
Bei weitem weniger bunt und reißerisch gibt man sich traditionell in Die Presse. Sie ist eine der ältesten Zeitungen des Landes und gilt als liberal-konservativ sowie einigermaßen seriös. Sie verzichtet zwar auf manipulierende Bilder, suggestive Schlagzeilen oder die Wortwahl eines grantelnden Kleinkindes, tappt aber trotz fehlender Sympathie für die Blauen in eine Art Reproduktionsfalle. Das heißt, die FPÖ schafft es letztendlich auch in der großformatigen Presse, sich selbst bzw. ihren rechtsradikalen Neusprech zu promoten. Recht gut zu beobachten ist das beispielsweise im Online-Artikel ‚„Kickl: „Was ich sage, ist nicht rechtsextrem, sondern normal“‘ vom 27.9.2024. Auf direkten Konfrontationskurs geht Die Presse somit ebenso wenig wie der Kurier, der sich zwar nicht immer zwischen Qualität und Boulevard entscheiden kann, zumindest aber politisch ähnlich zu verorten wäre. Dieser wiederum tendiert leider ebenfalls dazu, die Freiheitlichen als Rechtspopulist*innen zu verharmlosen. Ferner erweckt es den Anschein, als wolle man selbst bei gröberen Tabubrüchen den sachlichen Berichterstatter geben und eine ethische Bewertung anderen überlassen. Glücklicherweise gibt es natürlich nicht nur bürgerliche, konservative oder boulevardeske, sondern auch eine dezidiert linke überregionale Presse. Allerdings nicht in Österreich, weswegen wir auf das zurückgreifen müssen, was dieser Einordnung am nächsten kommt: Der Standard. Seine Ausrichtung definiert sich als linksliberal, doch seien wir uns ehrlich, auch das muss man halt irgendwie mögen. Nichtsdestotrotz ist man im Der Standard zumindest nicht darum verlegen, unbequeme autoritäre Wahrheiten auszusprechen, wie etwa dass „Volkskanzler Kickl das System – also die liberale Demokratie – abschaffen will“ (Hans Rauscher, 23.9.2024). Des Weiteren verspürt man dankenswerterweise nicht den Zwang, wertneutrale Formulierungen zu verwenden, wenn Freiheitliche Funktionäre einmal mehr mit brauner Sauce kochen. Jedoch ist der Standard weder ein populistisches Krawallblatt, noch hat er die notwendige Reichweite einer Krone, um als linke Schwalbe einen antiautoritären Meinungssommer zu eröffnen. Es bleibt also weiterhin den kleinen und unterfinanzierten Wand- oder Nischenzeitungen überlassen, klare Kante gegen eine Partei zu zeigen, die eigentlich fast nur mehr im deutschsprachigen Raum nicht als extrem bezeichnet wird …