Episode 7 _ Helen Sargeant

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Das feministische Wiener Kaffeehaus

Barbara Philipp ◄

Im Juni 2020 war Helen Sargeant mein Gast im Feministischen Wiener Kaffeehaus.

Ganz Europa war in eine zweite Teil- oder Vollsperrung eingetreten. Nach dem ersten Lockdown kam der zweite für viele überraschend schnell.

Helen Sargeant ist eine Künstlerin und Kunstverlegerin, die in Todmorden, West Yorkshire, Wales, lebt. Sie ist ursprünglich bildende Künstlerin, kommt von der Malerei und Zeichnung, und hat sich im Laufe der Zeit in verschiedenen Medien einen Namen gemacht. Der Körper spielt eine zentrale Rolle in ihrer künstlerischen Arbeit. Im Frühjahr 2020 veröffentlichte sie eine erste Zeitschrift zum Thema Maternal Art (MAM) und arbeitete mit vielen Künstlerinnen zusammen, die dank ihrer Initiative auch nach der Pandemie trotz großer räumlicher Entfernungen in Kontakt blieben.

Was hat sich in deiner Arbeit seit 2020 getan?

„MAM, die erste Zeitschrift zum Thema Maternal Art, war ein tolles, weitreichendes und ehrgeiziges Projekt, aber ohne fundierte Finanzierung und Unterstützung ist es nicht möglich, große Projekte wie dieses weiterzuführen. Es ist emotional und praktisch zu viel Arbeit für eine Künstlerin. Es war mir nicht mehr möglich, gleichzeitig meine eigene künstlerische Tätigkeit auszuführen und MAM weiterzumachen. Deshalb hatte ich beschlossen, mit MAM aufzuhören und mich auf kleinschaligere Kollaborationen zu konzentrieren, die mir aber auch mehr Fokus erlauben. Jetzt arbeite ich beispielsweise mit der Künstlerin Delpha Hudson zusammen, wir hinterfragen unsere Identitäten als Mütter in Cornwall und Yorkshire mit künstlerischen Mitteln und erarbeiten diesbezüglich gemeinsam Performances.

Meine künstlerische Recherche bezieht sich auf die Verbindung zwischen Matresence und Menopause. Das Meer, das Blau und die Steine sind zu wichtigen Elementen in meiner Praxis geworden. Diese Arbeit spricht von der “universellen Mutter” und meinen eigenen Müttern. Wir Menschen kommen aus dem Meer. Delpha und ich spielen mit den Archetypen der Jungfrau Maria … konkret beziehen wir uns auf die Madonna Del Parto von Piero Della Francesca.“

Als wir uns zum ersten Mal im Feministischen Wiener Kaffeehaus trafen, war die Onomatopoesie des Wortes  “Mamma”  auf Italienisch, mamiiii auf Deutsch, mmmmmothering auf Englisch und das französische Wort „mère“ Thema, wobei letzteres ohne Rücksicht auf die Schreibweise mit Akzenten oder ohne, eine besondere Faszination auf Helen ausübte, denn während “mère” mit Akzent “Mutter” bedeutet, ist beim Weglassen des Akzents und der Endung  mit “mer” das “Meer” gemeint. Folgt man nur der Aussprache, gehen die zwei Worte ineinander über und werden eins.  Dies ist der Ausgangspunkt der performativen Arbeit Helen Sargeants mit Delpha Hudson in ihrem performatives Werk.

Auf meine letzte Frage, Muss ein*e Künstler*in von seiner Arbeit leben?, antwortete Helen wie folgt:

„Nein, man kann weder Kunst noch Care-Arbeit mit einem Preispickerl versehen. Sie sind gleich wertvoll und gleich wichtig. Kultur hat mit Menschsein zu tun. Man muss kein Geld verdienen, um Künstlerin zu sein, aber folge ich diesem Gedanken, dann muss Geld von anderer Seite kommen, um das künstlerische Schaffen trotzdem fortsetzen zu können. Sowohl Mutterschaft, als auch die künstlerische Arbeit werden in unserer Gesellschaft nicht wirklich als eine Priorität angesehen. Sie werden verunglimpft und unterfinanziert. Und zwar absichtlich. Es ist bekannt, dass Bilder eine starke Wirkung haben können, aber ich frage mich, ob Menschen tatsächlich bereit sind, entsprechend zu handeln, um eine positive Veränderung herbeizuführen und diese dann ‚zu sehen‘. Solange (mütterliche) Fürsorge  nicht kulturell, politisch und gesellschaftlich wertgeschätzt wird, sind wir leider in einer Echokammer. Die Gesellschaft schaut lieber weg, als sich ihrer Menschlichkeit zu stellen. Ja, wir sehen mehr Maternal Art in Institutionen und Galerien, aber wir brauchen mehr Dringlichkeit. Uns läuft die Zeit davon. Ich bin mir nicht sicher, ob die Kunst in der Galerie gezeigt werden sollte … Vielleicht sollte sie auf der Straße gezeigt werden, wo sie besser sichtbar ist?“

Mit diesen Worten von Helen Sargeant schließe ich den kurzen Einblick in ihr Schaffen.

Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Philipp

Mehr auf: www.helensargeant.co.uk



Das Wiener Kaffeehaus, Episode 1 − 10

ist ein Kunstprojekt und eine Rauminstallation, in der eine Serie von Gesprächen mit Künstlerinnen, Kuratorinnen, Aktivistinnen und Mütter während der ersten zwei Jahren der Pandemie, 2020 − 2022 stattgefunden hat.

Das Kaffeehaus ist für mich ein Sehnsuchtsort, ein Ort des Austauschs und des Sich-Sammelns, ein Nachhausekommen. Aus dem Gefühl des Verlustes heraus malte ich ein Kaffeehausinterieur, in dem ich mich hineinprojizieren konnte und mit dem ich fortan arbeitete. Aber die menschlichen Stimmen fehlten! Einen Raum und eine Möglichkeit für feministische Künstlerinnen und Aktivistinnen zu kreieren, in denen es möglich ist sich auszutauschen, kennenzulernen und über die künstlerische Arbeit und das Zeitgeschehen nachzudenken, war ein logischer weiterer Schritt. Ich wollte meinen Gästen und mir sowohl eine Plattform zur Präsentation von Arbeiten und Gedanken bieten, als auch jene Veränderungen in Arbeitsbedingungen von Künstlerinnen mit und ohne Kindern dokumentieren, welche die Pandemie auslöste. Der fiktive Raum erwachte durch diese Begegnungen zum Leben, wurde real.

Mehr Infos unter: @feministviennesecoffeehouse