Demokratien in Gefahr? – Demokratien in Gefahr!

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Joachim Hainzl, Eva Ursprung

Laut Gobal Peace Index 2024 ist Österreich nach Island und Irland das drittfriedlichste Land der Welt. Untersucht werden dabei die gesellschaftliche Sicherheit und der Schutz, das Ausmaß der nationalen und internationalen Konflikte und der Grad der Militarisierung. Als Säulen des Friedens gelten unter anderem solide Institutionen, eine gut funktionierende Regierung, Pressefreiheit, niedrige Korruptionsraten sowie eine geschäftsfördernde Umgebung.

Wenn man sich dagegen die Wahlergebnisse anschaut, scheint in unserem Land die Unzufriedenheit zu dominieren. Den Menschen geht es nach der Pandemie nicht nur international, sondern auch in Österreich schlechter, wir kämpfen mit Inflation, kaum noch leistbaren Wohnungen in zunehmend schlechter gebauten Wohnsilos, Unwetterkatastrophen, schlechter Luft und Hitzewellen. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Kein Stille Nacht im Winterwunderland, die Schipisten werden von Kunstschnee gespeist und die Gletscher verkommen schwindend in trübsinnigem Grau. Jede Partei und auch die Bevölkerung ist sich einig: Es kann nicht mehr weitergehen wie bisher.

Abgewählt wurden die Grünen, die gegen den Klimawandel antreten und eine SPÖ, die für soziale Gerechtigkeit eintritt, verlor ebenfalls an Wähler*innenstimmen. Die Partei, die sich für leistbares Wohnen einsetzt, schaffte es erst gar nicht ins Parlament. Also was ist die „andere“ Politik, die sich viele wünschen?

Wir haben diesbezüglich ebenfalls einen langen Wunschzettel: weniger Korruption, das Gemeinwohl als oberste Priorität einer Regierung, ein gutes Leben für alle, auch für Geflohene und Zuwander*innen auf der Suche nach einem besseren Leben, weg vom Albtraum von Ländern, in denen Kriege toben, Minderheiten oder auch Mehrheiten (Frauen) ihrer Menschenrechte beraubt werden oder das Land durch den Klimawandel im Meer versinkt oder austrocknet oder auch von westlichen Konzernen verseucht und unbewohnbar gemacht wurde. Und auch ein öffentlicher Raum, dessen Nutzung nicht auf Schritt und Tritt mit Verboten, Schutzzonen und Überwachungskameras gepflastert ist.     

Viele jedoch denken, es sei besser, sich von der Demokratie zu verabschieden. Ein starker Führer, der uns alle an der Hand nimmt und sicher durchs Leben begleitet. Egal, was die Geschichte gezeigt hat, was die Führer autokratischer Parteien sagen und tun, hier werden Hoffnungen genährt.

Es scheint, als könnte sich die Demokratie in Österreich nicht leiden, meint Markus Wilfling auf seinem Plakat, mit dem Titel „Austrian Parliament: For Sale“. Er ist einer der neun Künstler*innen bzw. Künstler*innenkollektive, die bis zum 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, im Rahmen eines Projekts von XENOS – Verein zur Förderung der soziokulturellen Vielfalt und KIÖR Institut für Kunst im  öffentlichen Raum Steiermark / Museum Joanneum in Kooperation mit sechs weiteren Kunst- und Kulturinstitutionen im öffentlichen Raum Graz ihre künstlerischen Statements zum Thema Demokratie abgeben. Seine Arbeit, zu Gast auf der Fläche der Wandzeitung ausreißer, befindet sich am Schloßbergplatz in unmittelbarer Nähe des Schloßbergstollens, der an den Zweiten Weltkrieg erinnert und des Kriegssteigs, den russische Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg errichten mussten. Ob wir es noch erleben, dass die erwünschte Umbenennung in Friedenssteig einmal erfolgt?      

Vieles, was noch 1988 in der Kunst möglich war, scheint 2024 gar nicht mehr realisierbar. Für die Arbeit der slowenischen Künstlergruppe IRWIN, ein Reenactment einer Arbeit von Hans Haacke im steirischen herbst 1988, damals kuratiert von Werner Fenz, sprang der ursprünglich bereits fixierte Kooperationspartner ab und so findet sich die Arbeit – nunmehr noch sichtbarer – auf dem von uns angemieteten Europaplatz.

Der Europaplatz ist für das Projekt auch deshalb von großer Bedeutung, da dort, von vielen wohl nicht registriert, eine künstlerische Arbeit an die Februarkämpfe 1934 erinnert, als Österreicher*innen dem einzigen Bürger*innenkrieg in Österreich, als Widerstandskämpfer*innen die Machtergreifung der Nationalsozialist*innen zu verhindern versuchten. Und die Arbeit von IRWIN wiederum erinnert an den Putschversuch der österreichischen Nazis, dem nur wenig später, im Juli 1934, unter anderem Bundeskanzler Dollfuß zum Opfer fiel.

Demokratien in Gefahr? Ja, das ist weltweit der Fall, finden auch Consuelo Mendez und Katcha Bilek. In Consuelos Heimatland Venezuela bleibt gerade eine Regierung trotz gefälschter Wahlergebnisse an der Macht und verfolgt Anhänger*innen der Gegenpartei. Mit ihrem Mural in der erst vor kurzem von Ottokar Kernstock gelösten, nunmehrigen Maria-Stromberger-Gasse und damit ebenfalls an einem ausreißer-Standort, erzählen  die beiden, unter der Schirmherrschaft des „Engels von Auschwitz“ von Zivilcourage, Widerstand und Solidarität mit den Verfolgten.

Zu den Grundpfeilern der Demokratie zählen Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Pressefreiheit. Zunehmend wird wieder geschwiegen, anstatt Position für die Menschlichkeit zu beziehen. Man hat Angst, sich zu exponieren, sieht lieber weg, wenn Missstände einreißen und versucht, durch diese unsicheren Zeiten „durchzutauchen“. In einigen Gesprächen mit möglichen Kooperationspartner*innen mussten wir erleben, dass viele  öffentlich nicht politisch Stellung beziehen wollten, weil ihnen das bei entsprechend erwartetem Ausgang der Wahlen schaden  und Subventionsvergaben beeinflussen könnte. Die Inszenierung von Maryam Mohammadi und uns (Eva Ursprung und Joachim Hainzl) als Warnung vor der Haltung der drei Affen, die nichts hören, sehen oder sagen, fordert zu Zivilcourage auf. Angebracht an der Mauer der Justizanstalt Karlau weist sie darauf hin, dass wir dadurch, im Gegensatz zu anderen Ländern, (noch) nicht im Gefängnis landen.

Auf dem Global Peace Index ist Myanmar auf Platz 148 von 163 gelisteten Ländern. Die Künstlerin und Aktivistin Zoncy Heavenly arbeitet in ihrer Installation mit Flaggen und einem Leuchtkasten am Kunsthaus mit Symbolen der dort wesentlich von Frauen geprägten Demokratiebewegung. Seit der Frühlingsrevolution gegen den Militärputsch 2021, der die demokratisch gewählte Regierungschefin Aung San Suu Kyi stürzte, halten Aktivist*innen ihre Sarongs (Wickelröcke) als Flaggen in die Höhe, da angeblich Männer, die unter Frauenröcken hindurchgehen, ihre Kraft (Phon) verlieren: “Our Sarong! Our Flag! Our Victory.“ In Umkehrung eines alten burmesischen Sprichwortes stellen sie damit unter Beweis, dass eine große, weise Frau sogar einen Stern vom Himmel pflücken kann. In Kombination mit einer Illustration des Drei-Finger Grußes, dem Symbol der Protestbewegung gegen die Militärdiktatur, fordert sie die Würde der Frauen wieder ein.

Auch das Grazer feministische Kollektiv The Cake Escape arbeitet mit bekannten Sprüchen. Doch anstelle von „In God we trust“ (die Eröffnung unserer Kunstausstellung findet übrigens am Tag der richtungsentscheidenden US-Präsidentschaftswahl statt) proklamieren sie in den Arkaden des Landhaushofs: „In Cake we trust“. Denn Menschen sind vielfältig, so auch ihre Bedürfnisse, Ziele, Wünsche und Träume. In einer Demokratie spiegelt sich diese Vielfalt wieder und  jede politische Ausrichtung, jede Regierung, die an der Macht ist, hat ihr Korrektiv in den anderen Parteien. So muss es zwar oft Kompromisse geben, aber es wird auch gewährleistet, dass nicht nur eine einzige Haltung zum Zug kommt. Deshalb vertraut das Kollektiv von The Cake Escape auch letztendlich in die Kraft der verschiedenen Zutaten, aus denen ein guter Kuchen besteht. Übrigens: Frauen sind erst seit 1919 im Landtag als Abgeordnete vertreten und waren es von 1934 bis 1945, in den undemokratischen Zeiten von Ständestaat und Nationalsozialismus, selbstverständlich wieder nicht.     

Helene Thümmel erzählt in ihrer Arbeit im Innenhof des Graz Museum aus ihrer subjektiven, künstlerischen Perspektive die Geschichte ihres Ururgroßvaters, der in Eggenberg Augenzeuge der Februarkämpfe 1934 wurde, als sich die Gegensätze in unserer österreichischen Gesellschaft verschärften und scheinbar unüberbrückbare Gräben aufrissen. Im heutigen Graz Museum, dem barocken Palais Khuenburg wurde 1863 der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand geboren, der zusammen mit seiner Frau Sophie 1914 dem Attentat von Sarajevo zum Opfer fiel.

Franz Kapfer reflektiert mit seinem Projekt „Atlanten“ die militarisierte Gegenwart. Mit der Abbildung einer überdimensionalen Stoffmaske am Grazer Schauspielhaus thematisiert er die Präsenz, die radikalisierte Gruppierungen im öffentlichen Raum gewonnen haben. Die Maske anonymisiert – wie auch die Identität im Internet verschleiert werden kann. Letzten Endes spielt es keine Rolle, ob sich dahinter auch wirklich ein Mensch verbirgt. Gibt es so etwas wie den destruktiven, faschistischen Urtrieb, der Demokratien unterwandern und zerstören will, und muss die permanente Möglichkeit von Gewalt zu einer Gefährdung der Demokratie führen? Der an das Schauspielhaus angrenzende Freiheitsplatz verdankt seinen Namen übrigens seiner Geschichte als Aufmarschplatz von Demonstrant*innen, die Anfang des 20. Jahrhunderts für das allgemeine Wahlrecht (für Männer!) kämpften. Als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Republik ausgerufen wurde, wurde diese auch vom Balkon des Schauspielhauses der Menge verkündet. 1934 vom Austrofaschismus in Franzensplatz zurück benannt, gab es schließlich eine nochmalige Rückbenennung des Platzes in Freiheitsplatz – 1938 durch den Nationalsozialismus im braunen Graz, der „Stadt der Volkserhebung“!      

Doris Jauk-Hinz installiert an der Terrasse von KiG! Kultur in Graz im Volkshaus die Aufforderung „Demokratie leben“ gegen die zunehmende Kälte, die das gesellschaftspolitische Klima national und international mehr und mehr durchzieht. Befeuert durch brandgefährliche populistische Ideologien werden hart erkämpfte soziale Errungenschaften ausgehebelt, das Recht der Stärkeren über die Kraft der Vielfalt gestellt. Alltäglich DEMOKRATIE LEBEN könnte diese Entwicklung stoppen. Das Volkshaus wiederum entstand nach 1945 aus einem Puch-Fahrradlager und wurde, unter anderem nach Plänen von Architektin Grete Schütte-Lihotzky und der Mithilfe vieler Verfolgter, zum „Volkshaus“ umgebaut.

So besitzen alle Orte und Gebäude, an welchen Künstler*innen ihre Arbeiten im Rahmen der Ausstellung „Demokratien in Gefahr“ bis zum Tag der Menschenrechte präsentieren, für die Geschichte der Demokratie, den Kampf um sie und deren zeitweisen Verlust eine große Wichtigkeit.

Und da sowohl eine Demokratie als auch Menschenrechte täglichen Einsatz verlangen, ist es gerade in diesen Tagen so wichtig, nicht wegzusehen, sondern hinzuschauen, nicht wegzuhören, sondern hinzuhören und vor allem nicht zu schweigen, sondern den Mund auf zu machen und eine Stimme zu sein, für jene, die keine (Wähler*innen)Stimme haben.

10. Dezember 2024 (zum Teil verlängert an ausgewählten Standorten) – Demokratien in Gefahr Democracies in Danger
Graz, öffentlicher Raum
Fotos der gezeigten Arbeiten: © Eva Ursprung, © J.J. Kucek

1. Maryam Mohammadi / Eva Ursprung / Joachim Hainzl
2. Doris Jauk-Hinz
3. Franz Kapfer
4. The Cake Escape
5. Consuelo Mendez
6. Katcha Bilek
7. IRWIN
Austrian Parliament: For Sale
Im Rahmen der Ausstellung Demokratien in Gefahr /  Democracies in Danger
Es scheint, als könnte sich die Demokratie in Österreich nicht leiden.
Die politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und die immer wiederkehrenden Enthüllungen über Korruption und Machtmissbrauch in der Politik lassen die Hoffnung auf Veränderungen schwinden. Diesbezüglich scheint sich auch eine neue Form kollektiven Vergessens in der österreichischen Bevölkerung breitgemacht zu haben, was sich vor allem am Ergebnis der letzten Nationalratswahl gezeigt hat.
Die Hauptbühne Parlament, auf der sich die Nationalratsabgeordneten tummeln und teils gegenseitig beschimpfen, ignorieren oder auch mit Beifall zujubeln, sofern es sich um die eigene Fraktion handelt, scheint sich zu einem Gruppentherapieraum zu entwickeln, in dem Demokratie Gefahr läuft, nur noch als (Heimo Zobernigs) künstlerisches Statement an die Wand geheftet zu sein. Wie die Geschichte zeigt, können Demokratien sich selbst abschaffen, wenn demokratische Werkzeuge, wie etwa das Wahlrecht, von demokratiefeindlichen Parteien dazu genutzt werden, um demokratische Prinzipien sukzessive zu verhökern. Sollte sich der Geist der Demokratie aus diesem Gebäude verflüchtigen, dann könnte ihm ein Schicksal drohen wie sinnentleerten Kirchen: freigegeben zum Verkauf.
Markus Wilfling