Demokratie – k/eine Leihautofahrt mit Automatik

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Wortmülldeponie

Eva Ursprung und Joachim Hainzl ◄

Vom Einzelgänger bis zur Basisdemokratie – die Herausforderungen von Gleichheits- und Beteiligungsidealen

Demokratie definiert sich als eine Machtausübung, die auf der Grundlage von Freiheit und Gleichheit sowie weitreichender Beteiligungsrechte erfolgt.

Neulich fuhr ein Grüppchen von Autor*innen und Künstler*innen mit einem Leihauto zu einer Lesung aufs Land.

Das Leihauto war brandneu und technisch auf dem letzten Stand, aber niemand wollte damit fahren. Zu frisch der Führerschein der einen, viel zu lange nicht gefahren die andere, in Österreich nicht gültig oder gar nicht vorhanden – das war die Kompetenzkonstellation.

Letztendlich landete die mit der meisten Erfahrung, wenn auch eingerostet, am Steuer, befand sich jedoch für nicht wirklich fahrtauglich. Angesichts der Panik bildete sich rasch ein effizientes Team: eine Person kümmerte sich um den richtigen Weg, die andere studierte die Gebrauchsanweisung und kümmerte sich um eine funktionierende Arbeitsumgebung. Eine Person fasste sofort Vertrauen und schlief ein.

Also, ich war einer von jenen, die nicht schliefen und ich möchte diese Fahrt, die tatsächlich einem demokratiepolitischen Planspiel ähnelte, aus meiner Sicht schildern. Ich bin ein Mensch, der zwar in seinen 20ern den Führerschein gemacht hat, es seitdem jedoch auf rund fünf Kilometer Fahrpraxis gebracht hat. Obwohl ich sonst gerne meinen eigenen Weg bestimme, vertraue ich mich bei Autofahrten stets der Führung anderer an. Ob Zufall oder mein unbewusstes Auswahlprinzip – auch alle meine Beziehungspartnerinnen brachten ihre Fahrkünste in die Beziehung mit ein. Sich neben ihnen am Beifahrersitz das Dreinreden und instinktive Mitbremsen abzugewöhnen war gar nicht so leicht. Inzwischen bin ich ein recht geschätzter Beifahrer, was mit meinem schlechten Gewissen zu tun hat, andere für mich fahren zu lassen. Sogar bei stundenlangen Fahrten getraue ich mich nicht zu schlafen oder mit irgendetwas anderem zu beschäftigen und so bleibt meine Aufmerksamkeit fast die ganze Zeit hindurch auf Straße, Verkehr und Navigation ausgerichtet.

„Wie geht das hier mit dem Rückwärtsfahren?“ Also bei dieser Landpartie mit einem Automatik-Leihauto und seinen ungewohnt rasch reagierenden Bremsen erlebte ich die Fahrt vom Rücksitz aus. „Oh, jetzt habe ich schon wieder so stark gebremst!“


Ein Reisegefühl wie auf der Titanic

Auf die ersten Minuten voller Heraus- bis hin zu Überforderungen folgte in unserem Auto ein Geständnisschwall, wer sich schon wie oft wie sehr beim Autofahren unsicher oder sonst wie nicht kompetent gefühlt hatte. Obwohl mir diese Berichte einerseits ein Gefühl von Gleichheit gaben, mit meinen Unsicherheiten nicht allein auf der Welt zu sein – jetzt saßen wir alle im selben Boot, mit einer Kapitänin, die verkrampft das Steuer in Händen hielt. Da hätte mir weniger Ehrlichkeit wohl mehr Sicherheit gegeben. Ob für Männer das Lügen zum Handwerkszeug des Beschützertums gehört? Und wenn einer auf der Titanic das Wasser schon bis zum Hals steht, sagt der Beschützermann immer noch: „Hey Babe, das schaffen wir schon!“ Langsam übernahm die Abenddämmerung die Kontrolle über die Landschaft entlang der Autobahn. „Ist eigentlich unser Licht eingeschalten?“ Nach einigen Verfahrern kurz vorm Zielort (trotz zwei Mitfahrenden, die ihre Augen auf die jeweiligen Online-Routenplaner konzentrierten), stellte unsere Lenkerin das Auto am erstbesten Parkplatz ab, noch weit weg vom Eingang. „Ich will nicht nachfragen, wie fertig sie ist!“

Von der Gleichheit der Überängstlichen

Am Nachhauseweg übernahm ein Kollege, der mit dem Zug angereist war, das Fahren. Und wieder: Sitz und Außenspiegel einstellen, („Weiß jemand, wie das hierfunktioniert?!“), wieder der Tipp der Beifahrenden („Stell dein zweites Bein ganz weit weg, damit du nicht irrtümlich bremst, weil du schalten möchtest!“) und ich nun in der Mitte, am „Kindersitz“, dessen Gurt nicht bedienbar war, obwohl wir zu dritt nach einer Lösung suchten und erfolglos das Betriebshandbuch durchblätterten. Schließlich liess sich eine angebrachte Sperre und damit das Problem nur mit Gewalt lösen. „Na super!“ Wir fuhren endlich los, um eine Minute später draufzukommen, dass wir noch tanken mussten (eine Aufgabe, die die „Vorgängerregierung“ absichtlich aufgeschoben hatte). Aber wie Tanken, wenn sich niemand traut, Hand anzulegen? „Das macht sonst immer mein Partner!“ „Ich hab schon mal was daneben geschüttet, ich mach das nicht!“ „Ich hab das erst einmal gemacht, ich trau mich nicht!“ Zuletzt griff unsere Lenkerin von der Hinfahrt zu und führte den Tankstutzen ein. „Warum geht nichts?“ „Ach so, da muss man erst auf den Schalter drücken?!“ Die fünfte von uns blieb weiterhin unbeteiligt und holte sich im Tankstellenshop einen Snack. Kam ich mir jetzt schon vor wie in einem Videoclip mit versteckter Kamera, so wurde es bei der Tankstellenausfahrt noch schlimmer. „Müssen wir nach rechts?“ „Nein, nach links!“ „Egal, da ist eh ein Kreisverkehr – fahren wir im Kreis, bis wir wissen wohin!“ Ja, so stellt man sich ein Auto voller diskussionsfreudiger, demokratieverliebter, kompromissbereiter, empathischer Frauen und Männer vor, die jedes Alpha-Männchen oder -Weibchen wohl zum Frühstück verspeisen würde. Der Rest der Fahrt – „Wie schalte ich die Klimaanlage ein, damit ich hinten was raussehen kann?“ – verlief ohne größere Zwischenfälle und beim kurzen Raststätten-Halt akzeptierte ich auf meine Frage, ob ich inzwischen in den Müllbehältern nach Zigarettenpackungen für meine Sammlung suchen dürfte, das negative Mehrheitsvotum mit Demut.

Die gesamte Fahrt war ein kontinuierlicher Prozess des Verhandelns, miteinander Denkens, Diskutierens: sowohl über das Ziel und wie man es am besten erreicht, als auch über den Zustand des Gefährts und dessen Möglichkeiten sowie das Autofahren an sich: Wie geht es uns damit, brauchen wir es, ist es für alle ok und unter welchen Bedingungen?

Selbstbestimmte Unterdrückung statt pseudodemokratischer Gruppendynamiken

Wann immer möglich, versuche ich als Einzelgänger meinen eigenen Weg zu bestimmen, ohne Hierarchien und Gruppendynamiken. Darum arbeite ich seit über 20 Jahren nicht mit anderen in einem Büro zusammen. Ein Chef, der jedes Mal auf die Uhr schaute, wann ich ins Büro kam. Eine Vorgesetzte, die meinte, dass ich mich besser anziehen und zum Friseur gehen sollte. Kolleg*innen, die sich in Fraktionen aufteilten und nur in der Kaffeeküche und prinzipiell nur hinter dem Rücken anderer getrauten, Kritik zu üben. Ein Chef, der meine Fehler unbarmherzig kritisierte, aber von mir gut Gemachtes gegenüber Auftraggebern als seinen Erfolg verkaufte. Ein Büro, in dem es die Berater*innen und uns Sachbearbeiter*innen gab und wir zweiteren die Arroganz ersterer immer zu spüren bekamen. Eine mir unterstellte nette Mitarbeiterin, zu der ich mich zumeist kumpelhaft verhielt. Wenn mir aber etwas nicht passte, dann kehrte ich den diktatorischen Boss heraus. Und diese ständigen Vermischungen von Arbeit und Privatem. Flirten am Arbeitsplatz, Beziehungen am Arbeitsplatz. Freundschaften, die nur so lange halten, bis jemand neidig ist auf eine/n. Danke, alles schon erlebt. Ich bin nicht geschaffen für diesen Tummelplatz von Gefühlen. Büros, das sind Orte, an welchen es meiner Erfahrung nach an demokratischen Strukturen mangelt. Da arbeite ich lieber allein und bin mein eigener unleidiger Boss, der mir die selbst geschaffene Ausbeutungssituation als Gipfel der Selbstbestimmtheit und Autonomie verkauft.

Basisdemokratische Strukturen erfordern permanente Arbeit

Ich wiederum verbrachte den größten Teil meines Lebens in basisdemokratischen Kleinstrukturen. Bereits als Jugendliche war ich von der Münchner Räterepublik angetan, Rosa Luxemburg wurde meine Heldin, entsprechend nannte sich meine erste Punkband „rosi lebt“. Dem Faschismus konnte ich nie etwas abgewinnen. Mitmischen, Mit-denken, Beteiligen, gemeinsam eine bessere Welt für alle bauen – das war das Bestreben.

Im Alter von sechzehn Jahren trat ich dem Team des „Splitter“ bei, einer Zeitschrift für Kultur und Politik im Bezirk Voitsberg. Die meisten studierten in Graz, auch einer meiner Lehrer war in der Redaktion. In nächtelangen Diskussionen wurden alle Entscheidungen gemeinsam getroffen. Um Layout und Druck kümmerte sich damals Veronika Dreier, die ich später als Studentin in Graz im Gründungsteam der feministischen Kulturzeitschrift „Eva & Co“ wieder treffen sollte. Später bauten wir gemeinsam das afrikanische Restaurant „Baodo im Nil“ auf, davor machte ich unter anderem einen mehrjährigen Abstecher ins Programmforum des Forum Stadtpark.

Ich eignete mir wertvolles Basiswissen an, das sich mit jedem meiner darauffolgenden Projekte erweiterte. Vorne stehen und Reden schwingen wollte ich nie, das Bauen von Möglichkeitsräumen war das Ziel: Plattformen für Austausch schaffen, für gemeinsame Projekte, kleine Modelle für die Utopie einer besseren, gerechteren, kreativeren Welt, in der sich alle entfalten können und auch die Leisen eine Chance haben, im Geschrei der Lauteren gehört zu werden.

Einfach ist es in basisdemokratisch selbstbestimmten Strukturen nie: so einzigartig jede Person ist, so verschieden auch die Meinungen, Ansprüche und Bedürfnisse. Das Scheitern schwingt ständig mit, weil irgendjemand immer unzufrieden sein wird, weil die Lösungen für alle irgendwie funktionieren müssen und nicht nur für einige wenige, weil man einen gemeinsamen Nenner finden muss, der zumindest niemandem schadet und möglichst allen nützt. Kontinuierliche Auseinandersetzung, Respekt, aufeinander hören und viel Offenheit, Reflexion und Kompromissbereitschaft sind notwendig. Und permanente Arbeit an den Zielsetzungen, den Strukturen und vor allem: an sich selbst.

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