Das Feministische Wiener Kaffeehaus

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Barbara Philipp ◄

Das Feministische Wiener Kaffeehaus hatte während der Pandemie, am 12. Juni 2020, die in Paris lebende Künstlerin Albertine Trichon zu Besuch. Nachdem ich von den strik-ten Ausgangssperren während des ersten Lockdowns in Frankreich gehört und oft an meine Künstlerkollegin gedacht hatte, lud ich sie zum Gespräch mit Kaffee und Kuchen.

Unser Gespräch und die Entwicklung ihres Lebens und ihrer Arbeit seither wurden von ihr am Beginn dieses Jahres aktualisiert:
“Ich bin Malerin und Mutter von zwei Kindern, die heute (2024) vierzehn und achtzehn Jahre alt sind. Eingeschlossen in einer 80 Quadratmeterwohnung hatten wir 2020 zu viert den ersten Lockdown verbracht und unser einziger Kontakt mit der Außenwelt war über das Internet und über unsere Handys. In Paris war es mir vom Staat verboten mein Atelier aufzusuchen, das sich außerhalb unseres Wohnbezirkes befand. Weder wir als Künstlerinnen, noch die Kunst selbst wurden als systemrelevant angesehen.

Auch unsere Kinder kamen wenig nach draußen, da wir tatsächlich kontrolliert wurden (die Polizei überprüfte unsere Genehmigungen um nach draußen zu gehen). Ich hielt mich nicht immer an die Verbote und verließ das Haus vier Mal pro Tag um im Eiltempo Einkäufe zu tätigen. Ich hatte das Gefühl, eingeschlossen mit meiner Familie, verrückt zu werden. Die Mahlzeiten waren die familiäre Hauptbeschäftigungen des Tages. Wie selbstverständlich wurden in dieser Zeit diese als mein Aufgabenbereich betrachtet, noch mehr als sonst. Dazu kam, dass mir vor allem die mentale Verfassung meiner Kinder Sorgen machte. 

Mein Partner hatte die Rolle des “Vermittlers”. Er versuchte, uns alle bei Laune zu halten. Die restlichen Aufgaben unseres gemeinsamen Familienlebens fielen auf mich. Paradoxerweise führten mich die Verbindlichkeiten der Hausarbeit aus meiner Wohnhaft, ich versuchte so oft wie möglich aufgrund der Einkäufe der Enge meines Zuhauses zu entfliehen. Ich verdoppelte die Anzahl meiner Ausgänge zum Einkaufen um dem Eingesperrtsein zu entkommen.

In dieser Zeit war die Küche mein Atelier. In der Küche fanden die Mahlzeiten, Debatten, Tanz, Gymnastik und Spiele mit der Familie statt, dort geschah alles.

Ich fing an, wie mein Mann jeden Tag laufen zu gehen. Unsere Kinder tanzten und trieben in der Wohnung Sport. Wir hatten uns eigentlich nie gestritten − aber nach dem Ende des Lockdowns beschlossen wir, die Eltern, uns zu trennen. Diese Entscheidung hatte sich langsam, aber stetig abgezeichnet, unser Zusammenleben erschien uns nach dieser Zeit nicht mehr möglich.

In weiterer Folge beschloss ich, die Familie zu verlassen und mein Mann Erik entschied, mit den Kindern nach Österreich zurückzugehen.

Ich habe diese Zeit in meiner Erinnerung völlig ausgeblendet. Sie ist zu schmerzhaft. Ich malte nur kleine Formate auf der metallenen Herdabdeckplatte. Es waren Landschaften aus der Ferne.

Das half mir, mich auf die Rolle meiner Arbeit in meinem Leben und in der Gesellschaft zurückzubesinnen: Ich begann eine Serie von Bildern, auf denen mein Körper, zwischen den vier Wänden eingeschlossen, allein in einer Rolle (Funktion) oder in einer Spiegelung zu sehen ist, Selbstbildnisse im Spiegel sozusagen. Wie sehe ich mich, welchen Platz geben mir die anderen und welchen Platz schaffe/nehme ich mir selbst? Während des Lockdowns kämpfte ich mit mir und den anderen um einen solchen Platz zu finden.

Seither arbeite ich an diesem Sujet, als Thema ist das Verhältnis in einer Paarbeziehung noch hinzugekommen.

Der invasive Charakter des Mediums Internet in unser Leben und die immer mehr verschwindende Grenzziehung zwischen dem Realen und Virtuellen sind Themenbereiche,  die uns heute umso mehr auch in der Malerei tangieren.

(Aus dem Französischen von Barbara Philipp)



Albertine Trichon studierte an der École nationale supérieure des beaux-arts  in Paris. Als künstlerischen Ausdrucksweise hat Albertine Trichon das Medium der Malerei gewählt und folgt ihren Gedanken mit ihrem Pinselstrich. Kürzlich verbrachte sie einen Monat als Artist in Residence des Institut Français in Tanger.

Zuletzt waren ihre Arbeiten in der Ausstellung „Amour V“ in Paris zu sehen.
Mehr auf: @albertinetrichon



Das Wiener Kaffeehaus, Episode 1 − 10

ist ein Kunstprojekt und eine Rauminstallation, in der eine Serie von Gesprächen mit Künstlerinnen, Kuratorinnen, Aktivistinnen und Mütter während der ersten zwei Jahren der Pandemie, 2020 − 2022 stattgefunden hat.

Das Kaffeehaus ist für mich ein Sehnsuchtsort, ein Ort des Austauschs und des Sich-Sammelns, ein Nachhausekommen. Aus dem Gefühl des Verlustes heraus malte ich ein Kaffeehausinterieur, in dem ich mich hineinprojizieren konnte und mit dem ich fortan arbeitete. Aber die menschlichen Stimmen fehlten! Einen Raum und eine Möglichkeit für feministische Künstlerinnen und Aktivistinnen zu kreieren, in denen es möglich ist sich auszutauschen, kennenzulernen und über die künstlerische Arbeit und das Zeitgeschehen nachzudenken, war ein logischer weiterer Schritt. Ich wollte meinen Gästen und mir sowohl eine Plattform zur Präsentation von Arbeiten und Gedanken bieten, als auch jene Veränderungen in Arbeitsbedingungen von Künstlerinnen mit und ohne Kindern dokumentieren, welche die Pandemie auslöste. Der fiktive Raum erwachte durch diese Begegnungen zum Leben, wurde real.

Mehr Infos unter: @feministviennesecoffeehouse