Antifaschistische Kommunikationsguerilla in Graz Teil II

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Immer wieder hat das Kollektiv Mayday 2000 auf historische Bausteine der öffentlichen österreichischen Identitätskonstruktion kritisch-satirisch Bezuggenommen. So auch auf die berühmte Weihnachtsansprache Leopold Figls – genauer gesagt seine Regierungserklärung im Parlament – aus dem Jahr 1945. Unter dem Titel „Glaubt an dieses Österreich!“ (der Satz, mit dem die Ansprache Figls endet und er kundtut, dass er außer der Bitte zu glauben nichts zu geben habe) und einer Karikatur des Bundesadlers werden als typisch österreichisch geltende politische Schlagworte mit den Verbrechen nationalsozialistischer Täter sowie rassistische Gewalt gegen Geflüchtete und sozialpolitische Kürzungen zusammengepasst. Als Herausgeber wird ein „‘Patriotischer Singkreis’ des Ministeriums für Volkskultur“ genannt.

Auf der Rückseite des Flugblattes ist eine satirisch umgetextete Version der österreichischen Bundeshymne zu lesen. Eine Passage aus der Partitur mit dem Originaltext ist statt eines Titels platziert, diese ist mit der Zeile „Feierlich, doch nicht zu langsam“ überschrieben.  Danach beginnt der Text mit „Land der Führer, Land der Dome, / Land der Walzer, der Pogrome / stets bereit für a schöne Leich’.“ Und weiter: „Heimat warst du Eichmanns Taten / hast bis heut ihn nicht verraten / Vielvergesslich Österreich!“  Die zweite Strophe beginnt mit „Für die Reinheit deiner Sitten / hast gemordet, wild gestritten / einem Wolf im Schafspelz gleich.“ Doch statt mit Vergesslichkeit endet der zweite Absatz mit dem nicht zu vergessenden: „Hast in die Welt an frühren Tagen / arischer Sendung Krieg getragen. / Unvergessen Österreich!“ Die letzte Strophe nimmt dann auf die gerade aktuelle Situation Bezug: „Drum gläubig wie in alten Zeiten / lasst den Führern nach uns schreiten: Grenzen dicht, Gewehr zur Hand!“ Und fast wie das Original endet auch die Satirefassung mit Ewigkeitsanspruch – und bricht das Reimschema dafür in der Schlusszeile: „Einig wolln in Männerchören / Krones Wort, dir, treue schören. / Ewig marschierendes Vaterland!

Immer wieder ist die österreichische Bundeshymne Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen, niederschwellige Matrix für Artikulation von Protest gegen herrschende Zustände.

Prompt wurde wegen „Herabwürdigung Staates und seiner Symbole“ Anzeige erstattet, die Vorwürfe jedoch wegen fehlender Relevanz wenig später fallen gelassen.

Vor kurzem ist eine „Hymne 2024“ erschienen, deren zweite Hälfte als „Aktualisierung“ zur heutigen Lage formuliert ist.  So heißt es in der zweiten Strophe: „Für die Reinheit deiner Sitten / hast nicht nur gestern du gstritten / einem Wolf im Schafspelz gleich. / An deinen Grenzen führst du Kriege / und feierst mitleidlos die Siege / Über Kinder andrer Sprachen / Sendungsbewusstes Österreich!“ In der letzten Strophe folgt dann ein wörtliches Zitat: Drum gläubig wie in alten Zeiten / lass neue Führer dich nun leiten / Ohne hässliche Bilder geht es nicht!“ Der Text endet dann mit: „Einig wollen in Jubelchören / wir dem Menschenrecht abschwören. / Anständiges Östereich!“

(Aktualisierung von Ines Aftenberger)

Bleibt die Frage, ob jemand Anzeige erstatten wird gegen jene, die die demokratische und menschenrechtliche Grundverfasstheit des Staates nicht nur herabwürdigen, sondern zu zerstören trachten, und wer jene Symbole massenhaft (weiter)verbreitet, derer sie sich zu diesem Zweck bedienen.

Teil I des Beitrags „Antifaschistische Kommunikationsguerilla in Graz“ ist in ausreißer #108 erschienen.