Interview mit Alexander Danner ◄
ausreißer: In deinen Arbeiten als Dokumentarfotograf fokussierst du immer wieder auf Flucht und Migration, soziale Bewegungen und öffentlichen Raum. Als 2015 tausende Menschen an der slowenisch-österreichischen Grenze ankamen, warst du vor Ort und hast von da an die Geschehnisse in Spielfeld kontinuierlich dokumentiert. Mit welchem Impuls bist du damals an die Grenze gekommen und wie hast du die Lage dort wahrgenommen?
Alexander Danner: Im Spätsommer 2015 war ich in Ungarn um die menschenunwürdige Situation am Budapester Keleti-Bahnhof zu dokumentieren. Die ungarische Regierung war gerade dabei einen Grenzzaun zu den südlichen Nachbarn zu errichten − was von den allermeisten damals noch scharf kritisiert und als Tabubruch wahrgenommen wurde. Es war bald klar, dass neue Fluchtrouten entstehen würden. Die Ankunft vieler tausender Menschen in Spielfeld wurde also allgemeinen erwartet und von vielen ziemlich genau vorhergesagt. Insofern war es vielleicht kein spontaner Impuls mit meiner Kamera an die Grenze in Spielfeld zu gehen, sondern vielmehr eine Erwartung, sobald sich die Ereignisse in die Südsteiermark verlagern würden, einfach dort sein zu müssen. Es war, man kann es so sagen, etwas von historischer Bedeutung. Und es fand auch “vor unserer Haustüre” statt – für mich sprichwörtlich, ich bin nämlich nicht unweit der Grenze zu Slowenien aufgewachsen und hab dort meine Kindheit verbracht. Meine Wahrnehmung vor Ort war dann einerseits geprägt von diesem unglaublichen Chaos. Warum waren Behörden und Politik so unvorbereitet? Andererseits war es vor allem der Anblick so vieler verzweifelter Menschen, alles Erlebte und die Strapazen der Flucht in ihren Augen, im wahrsten Sinne des Wortes: Schutz suchend. Es sind Bilder, die sich für immer ins Gedächtnis eingebrannt haben.
ausreißer: Von da an warst du immer wieder vor Ort, bis heute. Was war dir wichtig, festzuhalten und zu zeigen? Wie hast du deine Rolle als Fotograf und Zeuge dieser Geschehnisse wahrgenommen und wie siehst du das jetzt?
Danner: Als Dokumentarfotograf versuche ich die Dinge darzustellen wie sie sind. Das klingt freilich einfacher als es ist. Die Vorstellung einer vollkommenen Objektivität ist natürlich einen Illusion − so sehr man es versucht, am Ende wählt man doch einen Bildausschnitt, eine Perspektive, einen Augenblick. Dazu kommt: als Fotograf vor Ort verändere ich mitunter, alleine durch die bloße physische Präsenz in einem Raum, diesen Moment, den ich eigentlich nur beobachten will. Hinter meiner Kamera kann ich mich nicht verstecken. Das will ich auch gar nicht. Das Objektiv fokussiert immer in beide Richtungen. Und diese Innenschau bringt eine ganze Reihe ethischer Fragen mit sich: Schaffe ich es, die Geschichte der Menschen, die ich fotografiere echt und vor allem würdevoll zu erzählen? Woher nehme ich mir das Recht, das überhaupt versuchen zu wollen? Noch dazu wenn sich ein Mensch in einer absoluten Ausnahmesituation befindet. Wann lege ich meine Kamera weg? Wann helfe ich, wann muss ich es tun? Wo ist die Grenze erreicht, ab der ich durch mein noch so geringes Eingreifen diese Geschichte, die ich nur beschreiben wollte, zu meiner eigenen mache? Diese Fragen begleiten mich seit vielen Jahren, einfache Antworten kann es da natürlich nicht geben. Jede Situation muss aufs Neue beurteilt werden. Jeder Moment ist so einzigartig wie die Biografie des Menschen, auf die ich durch meinen Sucher blicke. Und es gibt da einen weiteren Aspekt, den ich gerade in Bezug auf Spielfeld erwähnen möchte: Über die Jahre wurde die Grenze immer wieder als politische Bühne missbraucht. Ich verweise hier nur auf die im Juni 2018 vom damaligen Innenminister Herbert Kickl veranstaltete sogenannte “Pro-Border”-Show. PolizeischülerInnen mussten damals “Fremde” spielen und einen “Ansturm” Geflüchteter auf die Grenze simulieren. Eine groteske Darstellung, welche die “Abwehrstärke” und Einsatzbereitschaft verschiedener Einheiten an der Grenze demonstrieren sollte. Es war eine Übung, für die es davor eine Generalprobe gab, eine Vorführung mit eigens eingerichteten Tribünen für Gäste aus dem In- und Ausland, inklusive Blackhawk-Hubschraubern und Radpanzern mit Absperrgittern. Als Fotograf stellt mich das vor eine große Herausforderung. Das passiert hier gerade wirklich, also möchte ich es festhalten. Wie aber vermeide ich es, die Bilder dieser absurden Inszenierung weiter zu reproduzieren? Wie kontextualisieren? Hier ist größte Vorsicht geboten, um nicht zum Erfüllungsgehilfen eines politischen Schauspiels zu werden und dennoch zu versuchen, die Dinge darzustellen wie sie sind.
ausreißer: Wie siehst du die mediale Präsenz dieser Themen? Wie haben sich die Berichterstattung, die öffentliche Auseinandersetzung und damit ja tatsächlich die Bilder deiner Meinung nach in den Jahren seit 2015 entwickelt?
Danner: Als der damalige Noch-Nicht-Kanzler Sebastian Kurz gerade dabei war, vorgeblich die Balkan-Route zu schließen, wollte er die Öffentlichkeit gleichzeitig auf “hässliche Bilder” einstimmen. Es würde ohne diese nicht gehen, behauptete er. Abgesehen von der berechtigten Empörung über diese Aussage fragten sich wohl viele – ich zumindest – wie diese Bilder wohl aussehen würden? Noch viel mehr von den Fotos, die uns bereits seit dem Sommer und Herbst 2015 medial begleitet hatten? Sollten sie jetzt noch schlimmer werden? Etwas anderes ist passiert. Und es wurde in Spielfeld angekündigt. Jedenfalls dort auch. Es war die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die an der Grenze vor versammelte Presse sagte, es brauche eine “Festung Europa”. Eine Phraseologie, die bisher nur von der extremen Rechten zu hören war. Heute wissen wir, wie diese Festung aussieht: eine weitgehend militarisierte Außengrenze an der permanent und vermutlich auch systematisch jegliche Konventionen und Grundrechte gebrochen werden. Und Europa sieht weg. Aber: Eigentlich wissen wir gar nicht so genau wie diese Festung Europa aussieht, wir können sie beschreiben, wir wissen, was dort passiert, aber wir haben kaum Bilder davon. Mit ein Grund dafür ist bestimmt, dass in den letzten Jahren an den Außen-, aber auch Binnengrenzen nicht nur die Arbeit von NGOs massiv eingeschränkt wurde, sondern auch unabhängige JournalistInnen kaum mehr Zugang zu den entscheidenden Orten hatten. Das betrifft selbst Spielfeld! Der Platz, wo wir davor echte Bilder von echten Menschen und ihren echten Geschichten hatten, blieb leer und wurde eingenommen von konstruierten Bildern im Kopf: nämlich von dieser Festung Europa. Sie empört heute aber nicht mehr, sie erscheint wie eine Notwendigkeit. Die “Pro-Border”-Show von Kickl mit den SchauspielerInnen, die den Angriff auf die Grenze probten, passt da genau ins Bild. Die Stimmung ist längst gekippt und mit ihr die Diskurse. Seit Jahren hören wir, “die Grenzen müssen geschützt werden”. Vor einer Bedrohung, vor Menschen, die uns nichts Gutes wollen, manche sagen sogar: vor einer “Invasion”. Und gegen eine Bedrohung ist es nur legitim sich zu verteidigen. Wenn nötig mit Gewalt. Heute wird sie schließlich hingenommen. Deshalb halte ich es für wichtig, weiter hin zu schauen, Bilder entgegenzuhalten, kontinuierlich, auch wenn es etwas mühsamer geworden ist.
ausreißer: Danke für das Interview und fürs Nicht-Hinnehmen, für dein Präsent-Sein, immer wieder.