Susanne Sackl-Sharif ◄
Urbane, öffentliche Räume tragen das Potenzial in sich, Begegnungen zwischen allen Stadtbewohner:innen gleichermaßen zu ermöglichen und dabei Vielfalt und Differenzen auszuhalten. Seit mehr als drei Jahrzehnten werden Partizipationsmöglichkeiten für manche Bevölkerungsgruppen allerdings eingeschränkt. Die Regulierung öffentlicher Räume wird oftmals von privaten Investor:innen bestimmt, die sich vor allem den Interessen privilegierter Bevölkerungsgruppen und Tourist:innen annehmen. Nicht selten werden junge oder obdachlose Menschen, die als zu laut, geschäftsschädigend oder einfach als störend empfunden werden, aus den zunehmend kommerzialisierten, öffentlichen Räumen verdrängt.
Im Zuge dieser Ökonomisierungs- und Privatisierungsprozesse werden öffentliche Stadträume – in Analogie zur landwirtschaftlichen Bodenerschöpfung – in zunehmendem Maße zu ‚erschöpften Räumen‘. Vergleichbar mit der landwirtschaftlichen Monokultur, bei der eine einseitige Bodennutzung zu einem Mangel an Nährstoffen führt, mangelt es monofunktionalen öffentlichen Räumen an Vielfalt, wenn ihre Nutzung vorrangig auf Konsum abzielt und alternative Partizipationsformen verhindert werden.
Diese Tendenzen lassen sich in vielen europäischen Städten beobachten, auch in Graz. So wurden in den letzten zwei Jahrzehnten während der vier Amtsperioden (2003-2021) des ehemaligen Grazer Bürgermeisters Siegfried Nagl (ÖVP) etliche Verbote und Gebote eingeführt, die Nutzungs-, Aufenthalts- und Aneignungsmöglichkeiten für bestimmte Personengruppen in öffentlichen Räumen einschränken. Dazu zählen etwa ein im Jahr 2011 ausgerufenes Bettelverbot, das 2013 aufgrund seiner Verfassungswidrigkeit wieder aufgehoben werden musste, eine neue Straßenmusikverordnung aus dem Jahr 2012 oder ein Alkoholverbot in manchen innerstädtischen Zonen.
Eines der jüngsten Beispiele hierfür ist das sogenannte Skateboardtrickverbot, das seit 2021 das Ausüben von Sprüngen und Tricks mit dem Skateboard im öffentlichen Raum untersagt. Ausgelöst wurde dieses Verbot durch Nutzungskonflikte am Kaiser-Josef-Platz, an dem sich während der Covid-19-Pandemie verstärkt Skater:innen aufhielten, da andere Möglichkeiten zur Ausübung von Sport oft nicht gegeben waren. Beschwerden von Anrainer:innen über den von Skateboards erzeugten Lärm wurden von der Grazer FPÖ im Zuge des Gemeinderatswahlkampfs 2021 aufgegriffen und mündeten in einer Neuauslegung von §88 der Straßenverkehrsordnung (StVO) im März 2021. Seitdem ist es nur mehr erlaubt mit dem Skateboard zu fahren, der Asphalt darf allerdings nicht für Sprünge und Tricks verlassen werden, um die öffentliche Sicherheit nicht zu gefährden.
Dieses Verbot führte zu zahlreichen Protesten, Solidaritätsbekundungen und Allianzbildungen rund um den Skateboardverein GRÄB – Grazer Rollbrett Ästheten Bund. Für eine kurze Zeit kann im Jahr 2021 von einer städtischen sozialen Bewegung gesprochen werden, an der sich Akteur:innen aus Kunst, Kultur, Wissenschaft, Politik, Sport oder anderen sozialen Bewegungen wie Fridays for Future beteiligten und die viel Aufmerksamkeit erzeugte. Neben zahlreichen Berichten, Interviews und Kommentaren in lokalen, regionalen und (inter-)nationalen Medien fand auch auf digitalen Plattformen wie Instagram oder Facebook sowie im öffentlichen Raum viel Diskussion und Vernetzung statt. Protestiert wurde nicht nur gegen die Einschränkungen für Skater:innen im engeren Sinne, sondern gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Stadtraums insgesamt. Das Skateboardtrickverbot wurde hierbei als Paradebeispiel für jene politischen Regulierungsnormen betrachtet, die zu einer Erschöpfung des öffentlichen Raums führen. Die soziale Bewegung sprach sich für Kompromisslösungen und gegen Verbote aus.
In den Protestaktionen gegen das Skateboardtrickverbot bedienten sich die Akteur:innen, die selbst oft nicht der Skateboarding Community angehörten, auch vieler kreativer und künstlerischer Ausdrucksformen. Der nichtskateboardende Grazer Fotograf Ralf König zeigte in einer Fotostrecke mit dem Titel „Eure Sündenböcke“ etwa Portraits von jungen Skateboarder:innen aus Graz, um damit das durch das Trickverbot erzeugte Image der ‚bösen‘ Skater:innen aufzubrechen. Quer über die Fotos ist außerdem der Slogan ‚Skateboarding is not a crime‘ zu lesen, der ebenfalls Teil einer Lichtinstallation war, die im Mai 2021 auf Häuserfassaden am Lend-, Haupt- und Kaiser-Josef-Platz projiziert wurde. Viel Aufmerksamkeit erzeugte darüber hinaus der Online-Protestsongcontest mit dem Titel #skatenbleibt, der von GRÄB gemeinsam mit Graz Connected Mitte 2021 organisiert wurde. Insgesamt wurden zehn Songs plus Videos eingereicht, die aus unterschiedlichen Genres wie beispielsweise Punk, Metal, Hip-Hop oder Eurodance stammten. Die Musiker:innen setzten sich in den Texten kritisch mit dem Skateboardtrickverbot und dessen Auswirkungen für die Stadt Graz auseinander. Der Gewinner Vuko Jebinac sang zum Beispiel „Graz wird zum Friedhof“ und schloss mit den Worten „Politik kommt und geht, aber Skaten bleibt“.
Nach der Gemeinderatswahl in Graz im September 2021 nahmen die Berichte zum Skateboardtrickverbot in den Medien sowie die Protestaktionen deutlich ab. Womöglich war mit der Formierung einer neuen Stadtregierung unter Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) die Hoffnung verbunden, dass das Skateboardtrickverbot mit diesem politischen Wechsel bald wieder Geschichte sein würde. Ein Bedarf an einer größeren Vernetzung, einer sozialen Bewegung, schien nicht mehr vorhanden zu sein.
Der Verein GRÄB setzte sich allerdings weiterhin für die Aufhebung des Skateboardtrickverbots ein und erzielte im August 2022 einen richtungsweisenden Erfolg vor dem steirischen Landesverwaltungsgericht. Eine von GRÄB beauftragte Rechtsanwaltskanzlei hatte Einspruch gegen die Strafe eines Skateboarders eingelegt, der diese aufgrund der Durchführung eines Skateboardtricks erhielt. Da zum Zeitpunkt der Trickausübung allerdings keine Passant:innen in der Nähe waren und somit keine direkte Personengefährdung vorlag, wurde das Verfahren eingestellt und die Strafe aufgehoben. Das Skateboardtrickverbot ist aktuell zwar nach wie vor in Kraft, bei der Vergabe von Strafmandaten muss nun allerdings besser begründet werden, welches Gefährdungsdelikt vorliegt.
Der Beitrag basiert auf Medienanalysen und Interviews mit Skater:innen, die im Rahmen des Forschungsprojekts „U-YouPa – Understanding Youth Participation and Media Literacy in Digital Dialogue Spaces“ (Research Council of Norway, 2020-2025, 301896 – SAMKUL) durchgeführt wurden.
Das Konzept der ‚erschöpften Räume‘ stammt aus dem Artikel: Susanne Sackl-Sharif (2022). Erschöpfte Räume? Über den ‚Kampf‘ um öffentlichen Raum am Beispiel der Grazer Skater:innen. In: Kuckuck. Notizen zur Alltagskultur 2/22, S. 30-33.