Maria Katharina Moser ◄
Aufräumen, putzen, einkaufen, kochen, trösten, erziehen, pflegen – all das erfährt wenig Wertschätzung. Die so genannte Reproduktionsarbeit, die Großteils von Frauen geleistet wird, scheint nicht der Rede wert. Weltweit verrichten Frauen drei Viertel der unbezahlten Sorgearbeit – über 12 Milliarden Stunden täglich. In Österreich hängt sie zu zwei Drittel an den Frauen. Drei Viertel der 950.000 pflegenden Angehörigen sind weiblich. Auch die bezahlte Care-Arbeit ist vorrangig Frauen-Arbeit. Zwei Drittel der Care-ArbeiterInnen weltweit sind Frauen. In Österreichs Krippen und Kindergärten liegt der Männeranteil bei rund zwei Prozent. 86% der Pflege- und Betreuungspersonen sind weiblich. Care-Arbeit – ein Verteilungs- und Gleichstellungsproblem also? Auch. Aber nicht nur.
Warum also erfährt Care-Arbeit wenig Anerkennung? Und wo ansetzen, um das zu ändern? Diese Fragen betreffen unser Weltverhältnis und Menschenbild.
Auf Andere und ihre Sorge angewiesen zu sein, wird in unserer Gesellschaft als Makel erlebt. Konkret äußert sich das darin, dass Menschen immer wieder sagen: Ich will niemandem zur Last fallen. Unabhängigkeit gilt uns als Ideal, Abhängigsein von anderen als Ausnahmezustand, negativ besetzt und mit Ängsten verbunden. Die Care-Ethik hinterfragt diese Vorstellung. Sie sieht im Angewiesensein auf andere ein grundlegendes Moment des Menschseins. Das beginnt mit der Geburt. Niemand von uns ist aus sich selbst heraus. Wir werden alle geboren. Und wir würden die ersten Monate unseres Lebens nicht überleben ohne andere, die für uns sorgen – uns füttern, waschen, pflegen, Gehen und Sprechen beibringen. Wir Menschen sind abhängige, aufeinander angewiesene Wesen. Das müssen wir neu verstehen lernen. Wir müssen lernen, uns umsorgen zu lassen.
Ebenso wie Abhängigkeit von anderen und Angewiesensein auf ihre Sorge gehören Endlichkeit und Verletzlichkeit zur conditio humana. Das gilt es, in unser Menschenbild zu integrieren. Und es gilt, die Unverfügbarkeit in unser Weltverhältnis zu integrieren. Auch das ist gegen den Trend, den der Soziologe Hartmut Rosa so analysiert: Die Moderne ist darauf ausgerichtet, „die Welt in allen Hinsichten berechenbar, beherrschbar, vorhersagbar, verfügbar zu machen“. Hand in Hand damit gehen Optimierungsdruck, Wachstum, Beschleunigung. „Immer mehr, immer schneller“ lautet die Devise.
Beschleunigung und Optimierungsdruck lasten auf der Care-Arbeit, ob in Kindergarten oder Seniorenarbeit, in der Arbeit mit chronisch kranken Kindern oder Menschen mit Behinderungen. Wenn ich mit MitarbeiterInnen der Diakonie rede, höre ich: „Ich habe mich für diesen Beruf entschieden, weil ich Menschen dabei begleiten möchte, ein gutes Leben zu führen. Ich will da sein für sie. Ich will auf individuelle Bedürfnisse und Vorlieben eingehen. Das braucht Zeit.“ Zeit für Zuwendung und Beziehung. Zeit, um sich dem Tempo von Kindern oder Menschen mit Pflegebedarf anzupassen. Zeit ist die professionelle Anforderung an Sorge-Arbeit. Zeit, die es nicht gibt in einem System, das sich mehr an Vergütungsmodalitäten der öffentlichen Hand und betriebswirtschaftlichen Kriterien, an Standards und Dokumentationen orientiert, als an den Menschen, die Sorge brauchen. Für Care-ArbeiterInnen heißt das: Es bleibt ihnen zu wenig Raum, um das zu tun, was Care zu einer erfüllenden Arbeit macht. Sie müssen immer wieder hinter ihren eigenen Ansprüchen an gute Sorge zurückbleiben. Wertschätzung von Care-Arbeit heißt auch Anerkennung ihrer Eigen-Logik – und dementsprechende Investitionen, nicht zuletzt in mehr Personal.
Ich höre Einwände: Sozialromantik. Zeit ist Geld. Wie soll das finanziert werden? Nun, Anerkennung der Care-Arbeit und entsprechende Bereitstellung von Ressourcen ist eine Frage des Realitätssinns. Care-Arbeit ist gesellschaftlich notwendig und hat ökonomischen Mehrwert. Würde die weltweit unbezahlt geleistete Sorge-Arbeit mit Mindestlohn bezahlt, entspreche das jährlich 11 Billionen US Dollar. In Österreich macht die unbezahlte Arbeit umgerechnet 105 Milliarden Euro im Jahr aus (etwa 30 Prozent des BIP). Soziale Investitionen schaffen krisensichere Jobs. In der Wirtschaftskrise 2008/09 ist die Beschäftigung etwa in der Autoindustrie und im Baugewerbe gesunken – im sozialen Sektor ist sie gestiegen, EU-weit um 16%. Und 70 % der Ausgaben für die Pflege fließen via Steuern und Sozialversicherung wieder an die öffentliche Hand zurück.
Care ist das Schmiermittel, das dafür sorgt, dass die Räder unserer Wirtschaft und Gesellschaft laufen. Stellen wir uns vor, was passieren würde, wenn die vielen Frauen und zunehmend mehr Männer aufhören würden zu putzen und zu kochen, Kinder zu versorgen und Menschen im Alter zu pflegen…