Severin Hirsch ◄
Durch die Pandemie und den Lockdown wurde mein Flow im (künstlerischen) Schaffen unterbrochen. Anfangs war klar, dass wir warten müssen, Ausstellungen wurden verschoben oder abgesagt. Ständiges Warten und Bereithalten, dazwischen seinen Brotjob machen, wieder warten. Sich über Ankündigungen und Einladungen freuen. Wieder Absagen, wieder warten. Der Standby-Modus hat sich im ganzen inneren System ausgebreitet, Lesen oder künstlerische Betätigung fällt immer schwerer, das Hirn wird zu Gelee, die Funktionen reduzieren sich auf ein (lebenserhaltendes) Minimum. Es fehlt der Input und daher auch der Output.
Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass Menschen in prekären Verhältnissen nicht krisensicher sind und sich kaum eine Unterstützung von politischer Seite erhoffen können. Es fehlt ihnen die Lobby. Das gilt auch für Arbeitende im Kunst- und Kulturbereich. Die fehlende Wertschätzung (auch im Finanziellen) für Kunstschaffende gab es ja schon vorher. Dabei ist für jede gesellschaftspolitische Weiterentwicklung gerade die Kritik am vorherrschenden System wichtig.
Kunst bedeutet, sich in einen Raum einzuschreiben, den Raum zu erweitern. Natürlich kann das auch im virtuellen Raum stattfinden. Dadurch verändert sich die Art und Weise, Kunst zu betreiben und die Rezeption. Kunst ist eine Art von Präsenz im realen Raum und sie bedarf der Anwesenheit der Rezipierenden, um einen Austausch zu ermöglichen, um die Öffnung von Räumen voranzutreiben. Das Kunstwerk ist sozusagen intersubjektiv und als Objekt auch eine Form der Virtualität. Eine Virtualität im virtuellen Raum hat etwas Paradoxes. Zudem besteht aufgrund des Mediums auch die Gefahr, Kunstrezeption als einen passiven Vorgang zu betrachten – und dies ist eine Bedrohung für die Kunst.
Zudem sehe ich in der Transformation analoger Medien in digitale Formate eine zusätzliche Belastung im Schaffen von Kunst: nachdem Künstler und Künstlerinnen nicht nur für die Kunst verantwortlich sind, sondern auch für die Aufbereitung, Interpretation, Selbstvermarktung und die Dokumentation, müssen sie zusätzlich noch die Web-Performance übernehmen. Der virtuelle Raum eröffnet neue Möglichkeiten für Kunstformen, aber möglicherweise verflüchtigt sich dadurch auch die Konzentration auf die ursprüngliche Intention des eigenen Schaffens.
Außerdem kann ich mich mit der Abwesenheit des Anderen als Zukunftsvision schlecht anfreunden. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jede/r zu Hause bleiben muss und sich nur mehr in digitaler Form mitteilen und vom Rest der isolierten Individuen erfahren kann!
Wir kommen dem Ideal des „gläsernen Menschen“ immer näher. Homeoffices – auch in künstlerischen Bereichen – bringen Kontrolle und Überwachung in den eigenen Privatbereich. Je weniger Mobilität der/die Einzelne hat, desto leichter fällt die Kontrolle. Die Pandemie hat uns auch die Registrierungspflicht gebracht. Mittlerweile kann jede/r wissen, wann, wo, was ich konsumiere. Diese Entwicklungen sind sehr bedenklich und die Frage ist, ob sie nach der Krise bestehen bleiben und irreversibel sind. Vielleicht besteht ja genau darin die Krise.
Severin Hirsch wurde in Celje geboren und besuchte die Schule für Design, Grafik und Fotografie in Ljubljana. Seit 2003 lebt sie in Graz, arbeitete in Slowenien und Österreich als Fotografin und Restauratorin, bevor sie sich vermehrt der Kunst zuwandte und 2013 die Meisterschule für Kunst und Gestaltung/Malerei absolvierte. Ihr künstlerisches Schaffen liegt in den Bereichen Medienkunst, Installation und Malerei. In ihren Fotoarbeiten beschäftigt sie sich mit gesellschaftlichen Veränderungen und Werten im Wandel.