Leonhard Rabensteiner ◄
Stimmen aus der Krise, Stimmen gegen die Krise – 11
Wir starten mit dem zweiten Block unserer Interview-Serie Stimmen aus der Krise, Stimmen gegen die Krise. In diesem fokussieren wir auf die Reflexion der Veränderungen, während der andauernden Ausnahmesituation und was diese für Menschen und Gesellschaft/en bedeuten. Oft spannt sich die Kommunikation, wie die Krise selbst, über längere Zeiträume und umfasst unterschiedliche Locations. Was sich aber immer wieder und durchgehend zeigt, ist die Notwendigkeit des Austauschs, der Verbindung und das Schaffen sozialer und solidarischer Räume. In deren Fehlen liegt die größte Gefahr. Auch darüber hat Leonhard Rabensteiner mit Evelyn Schalk im Interview gesprochen.
TATsachen.at: Wir haben dieses Gespräch im Sommer im Café begonnen, seither ist ja einiges passiert und wir kommunizieren wieder online. Nichtsdestotrotz würde ich gern an meine erste Frage anknüpfen und sie dir jetzt nochmal stellen, im zeitlichen Abstand und in Hinblick auf etwaige Entwicklungen: Wie geht‘s dir in der aktuellen Situation und was hat sich seither für dich getan, verändert?
Leonhard Rabensteiner: Persönlich geht es mir nach wie vor gut. Wenn mir aber im Sommer jemand gesagt hätte, wie sehr sich die Situation wegen Corona verschlimmern wird, hätte ich das als zuviel Pessimismus abgetan. Vermutlich ist das aber auch hier eine Frage des Blickwinkels, und man kann – zumindest wenn man gewisse Privilegien hat – auch jetzt anmerken, dass es „uns“ momentan doch gar nicht so schlecht geht.
Ja, dieses „uns“… Du warst im Sommer jedenfalls recht optimistisch, auch was mögliche gesellschaftliche Entwicklungen betrifft. Konkret hast du gemeint, die Krise zeige, welche großen globalen Veränderungen, die davor undenkbar waren, plötzlich realisiert werden können. Wenn sich das so rasch umsetzen lässt, warum sollte dies nicht auch in Zukunft auf längst notwendige Schritte zutreffen, Stichwort Klimawandel, gerechteres Wirtschaftssystem etc. Siehst du das noch immer so?
Das Virus hat uns allen gezeigt, dass von einem Tag auf den nächsten die ganze Gesellschaft gestoppt und zu einem großen Verhaltenswechsel gebracht werden kann. Wer hätte das vor 2020 für möglich gehalten? Andere, wohl noch größere Krisen wie etwa der Klimawandel, würden andere Veränderungen ebenso bedingen. Hier bin ich auch nach wie vor optimistisch: Ein Wandel ist möglich, wenn erst genügend Menschen die Ausmaße begreifen und die zu träge Politik zu raschem Handeln bewegen.
Über den öffentlichen Diskurs, der Menschen diese Ausmaße verstehen und reflektieren lässt (oder eben nicht), haben wir im Sommer ebenfalls schon gesprochen. Da hast du bei aller Diversität auch wieder eine ziemlich einheitliche „Erzählung“ festgestellt. Welche Entwicklungen siehst du dahingehend in den letzten Monaten, sowohl in deiner persönlichen Erfahrung als auch medial und politisch?
Bei Corona wurde während der ersten Welle in fast allen Medien auf die Gefahren hingewiesen – beim Klimawandel passiert das mittlerweile zwar auch in zahlreichen Medien, aber immer noch viel zu wenig, bzw. gibt es dann verzichtbare Berichte wie etwa über das Privatleben von Greta Thunberg, während richtungsweisende Beschlüsse im EU-Parlament zu konkreter Klimapolitik kaum erwähnt werden. Personenkulte lenken eben von Inhalten ab – hier liegt der Ball wieder bei den Medien, die nicht die Rolle von Instagram übernehmen sollten.
Thunbergs Rolle will ich damit nicht kleinreden, ohne sie hätte es die Fridays-Bewegung nicht gegeben. Man sollte aber ihre Aussagen – größtenteils Verweise auf die Wissenschaft – beachten, anstatt über ihre Geburtstagsfeier zu berichten.
Kommerzielle Medien finanzieren sich über Auflagenhöhe und Werbeeinnahmen. Komplexe Inhalte verständlich zu vermitteln bedeutet qualitätvolle Recherche, aufwändigere Produktion etc., benötigt entsprechende Ressourcen und ist trotzdem oft nicht massentauglich. Abgesehen davon, dass die zahlungskräftigsten Werbekunden meist genau jene sind, die wenig Interesse an entsprechenden Veränderungen haben, im Gegenteil. Wie also diesen Spagat schaffen? Noch dazu in Krisenzeiten, unter deren Auswirkungen auch fast alle Medienhäuser stöhnen?
Hier müsste die Presseförderung generell neu strukturiert und nicht über Auflagenstärke, sondern nach qualitativen Kriterien geregelt werden.
Würde der Staat hier die Parameter ändern, könnte dieses Dilemma gelöst werden. Die Bundesregierung interveniert jedoch ganz anders: Durch eine verdeckte Medienförderung mittels Inseraten, die dem Boulevard am meisten zugute kommt. Diesen Missstand gibt es in Österreich bereits seit langem, in den letzten Jahren sind diese Gelder aber absurd hoch geworden. Ganzseitige Inserate mit null Informationswert, wie kann das mit Steuergeld möglich sein? Ich verstehe nicht, warum es hier nicht schon längst massive Kritik gibt.
Kritik gibt es, ihre Wirkung ist begrenzt. Die Presseförderung in dieser Form ist ja ein österreichisches Spezifikum. Ursprünglich unter Kreisky eingeführt um die Diversität der Presselandschaft jenseits von Profitmaximierung zu gewährleisten, erhalten mittlerweile die größten Medienkonzerne höchste Ausschüttungen. Das wurde mit der Corona-Sonderförderung sogar noch verstärkt. Auch der rechtsextreme „Wochenblick“ wurde damit alimentiert, ebenso immer noch „Zur Zeit“, ungeachtet antisemitischer und rassistischer Hetze im Blatt. Nichtkommerzielle Medien haben hingegen keinen Zugang zu Presseförderung. Ortest du in der Krise ein verändertes gesellschaftliches Medienrezeptionsverhalten? Mehr oder weniger Informationsbedarf, Kritik, Bewusstsein?
Vielleicht wird es irgendwann auch einmal übertrieben mit den Regierungsinseraten, und Kritik wird laut genug, um hier wirklich etwas zu ändern. Die ganzen Gratisangebote schaden klassischen Medien aber auch stark; immer weniger Leute wollen für etwas zahlen, das sie auch kostenlos online lesen können. Dass hier mit der Analyse persönlicher Daten gezahlt wird, bedenken viele leider nicht. Angebote wie vom Standard, für Onlinenachrichten ohne Werbung ein paar Euro pro Monat zu zahlen, wären eine Lösung – aber dafür müssten Menschen erst wieder verstehen, wieso das wichtig ist. Würde hier ein Bewusstseinswandel stattfinden, könnten aber auch Menschen in dubiosen Filterblasen merken, dass „gratis“ oft „umsonst“ bedeutet. Bedarf an gut recherchierten und kritischen Medien besteht sicher, gerade wenn man sich die mittlerweile enorme Verbreitung von Verschwörungstheorien anschaut.
Wichtiges Stichwort – wie gehst du persönlich mit Verschwörungstheorien um bzw. welche Möglichkeiten siehst du, deren Verbreitung entgegenzuwirken?
Es kann durchaus schwierig sein, manche Nachrichten auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Hier sollte man immer quellenkritisch sein und irgendwelche unbestätigten Berichte im Internet eher nicht teilen, auch wenn sie ins eigene Weltbild passen. Das gilt auch für eineN selbst, nicht nur „die Anderen“ teilen Falschinformation. Dass hinter bzw. in der Politik intransparente Machtkonstellationen am Werken sind mag sein – aber wirre Theorien können hier nichts aufklären, das ist im Gegenteil am ehesten durch Transparenz möglich.
Wir haben im Sommer über Botschaften in und Verfügbarkeit von öffentlichem Raum gesprochen. Siehst du da aufklärerisches Potential bzw. wie hat sich das Bewusstsein für Zugänglichkeit und Machtverhältnisse da seither verändert?
Viele gehen davon aus, dass der öffentliche Raum von uns allen gestaltet wird, uns allen gehört und so etwas wie ein Gemeingut ist. Das trifft vielleicht auf öffentliche Infrastruktur zu, aber insgesamt ist er eine Manifestation unseres Wirtschaftssystems: Das Geld bestimmt, welche Wände wo stehen, und welche Werbung wir hier oder dort sehen müssen. Zwar gibt es ansatzweise Mitbestimmungsmöglichkeiten, etwa für die Neugestaltung von Plätzen, aber das sind oft nur Alibi-Aktionen. Wieso müssen wir Werbung sehen, für die wir nicht einmal einen Werbeblocker vorschalten können? Es fehlt ein Diskurs darüber, was der Allgemeinheit vorgesetzt wird, und warum nur manche Wenige bestimmen, was auf welcher Fläche zu sehen ist. Der öffentliche Raum ist nicht demokratisch, er gehört demokratisiert.
Welche Möglichkeiten siehst du für eine solche Demokratisierung?
Kunst am Bau etwa, aber mit einer Jury aus ausschließlich Anwohner*innen. Oder mit einem generellen Verbot von Außenwerbung – die niemand gerne sieht, die aber stillschweigend akzeptiert wird. Wir blenden sie irgendwie aus, nehmen sie unterbewusst, aber doch wahr – dadurch befinden sich zahlreiche Flächen in unseren Städten, die vergeudet sind. Sie könnten in offen zugängliche Wände umgewandelt werden, die entweder generell frei bespielt werden können, oder monatlich neu vergeben werden.
So viel – wirklich öffentlicher – Diskurs wäre möglich, der nicht an eine Plattform gebunden sein muss – das ist übrigens der Grund, warum ich den ausreißer so wertvoll finde. Wie wäre es, wenn es auf einmal 20 Wandzeitungen in Graz gäbe?
Das würde eine wesentliche Veränderung im Stadtraum bedeuten. Aber es bräuchte eben eine transparente Entscheidungs- bzw. Vergabestruktur, die verhindert, dass öffentliche Flächen etwa für Hetze, Propaganda u.ä. missbraucht werden. Solche Prozesse sind auch in punkto Werbung oft nicht wirklich nachvollziehbar, auch darüber haben wir im Sommer schon gesprochen. Du bist ja in Graz in diesem Bereich immer wieder aktiv, wie beurteilst du die aktuelle Situation?
Ich finde nicht einmal, dass man eine Vergabestruktur bräuchte, wenn eine Fläche völlig frei gestaltet werden kann. Hakenkreuze etwa werden ja ohnehin gleich übermalt, hier wäre das nicht anders – nur eben, dass das keine Hausverwaltung, sondern Anrainer*innen das machen würden. Ein grafisch gut realisiertes Bild, oder ein spannender Text wiederum würden lange nicht übermalt – oder wenn doch, dann größtenteils mit etwas Besserem. Viele sehen Kunst ja noch immer als etwas Distanziertes, Heiliges – aber bei gegenwärtigem Schaffen sollte man auch interagieren können. Diskurs würde im öffentlichen Raum vermutlich besser unmoderiert funktionieren – anders als etwa im Internet, wobei auch dort zu viel Moderation kritisch ist. Aber selbst wenn klein angefangen würde, und etwa 50 Werbeflächen in moderierte Flächen umgewandelt würden, wäre das schon ein Erfolg. Da aber in Graz die meisten Ankünder-Werbeflächen mehrheitlich der Stadt gehören, wird es von dieser Seite wenig Verständnis für derlei Veränderungen geben.
Ein anderer Bereich, über den es an Diskurs nach wie vor fehlt, ist die Nutzung von Werbeflächen durch Künstler*innen – vor allem Plakatprojekte. Viele Künstler*innen interessiert der öffentliche Raum ja, weil sie dort Menschen abseits einer Blase erreichen können, da bietet sich so etwas an. Seit dem Beginn der Pandemie sind viele Werbeflächen verwaist, und mehrere Plakatprojekte wurden umgesetzt. Letztlich dienen solche Projekte aber einer Rechtfertigung von Werbefirmen, dass sie ja ohnehin kulturellen Mehrwert hätten – und die Flächen werden dadurch für Betrachter*innen attraktiviert, nach dem Motto: „Hier gibt es also auch Kunst zu sehen, da schaue ich öfter aufmerksam hin.“ Es ist fatal, dass so viele der lokalen Künstler*innen somit Werbung für Werbetreibende machen – egal, wie kritisch das Sujet ist. Aber den Luxus, so eine verlockende Präsentationsform aus diesem Grund auszuschlagen, haben eben auch nur wenige.
Du verortest also gewissermaßen einen Gentrifizierungsprozess in der Nutzung von freien Flächen, ähnlich wie bei Gebäudeleerständen?
Das ist vielleicht eine charmantere Interpretation als „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ (lacht). Zur Gentrifizierung tragen Murals und bunte Wände natürlich viel bei – was aber nur teilweise an der Kunst an sich liegt. In Wetzelsdorf oder Puntigam gibt es sehr viele triste Flächen und eine grelle Werbewüste – warum aber so gut wie keine Kunst an Wänden? Wenn nicht nur in Lend und Gries, sondern auch dort und über die Stadt verteilt Murals oder offene Wände etabliert würden, könnte eine generelle Aufwertung des Lebensraumes ohne Verdrängung gelingen.
Wie könnte man so eine Entwicklung anstoßen?
Durch eine Stärkung von Stadtteilarbeit etwa. Viele Menschen leben in unpersönlichen Wohnungen und kennen über Jahre niemanden aus der Nachbarschaft. Paris ist hier ein gutes Vorbild, es will zur 15 Minuten-Stadt werden: Im Umfeld von 15 Minuten Gehweg soll alles Wichtige erreicht werden, man kann quasi in einem Dorf in der eigenen Stadt leben. Vermutlich geht die Mobilität in den kommenden Jahren zurück, und solche Modelle könnten dann von vielen Städten übernommen werden. Bis dahin zählt aber auch Eigeninitiative, etwa durch Zusammenarbeit mit der Bezirksvertretung, oder den Eigentümer*innen von – nicht nur, aber auch leerstehenden – Immobilien.
Da wäre also einiges zu tun. Wie sehen deine persönlichen Pläne für die nächste Zeit aus, bist du in diesbezügliche Prozesse involviert?
Ich habe eigentlich immer schon lieber Bewegungen und Organisationen mit sinnvollen Anliegen unterstützt als ein eigenes Projekt zu starten, für das es bereits etliche vorhandene Strukturen gibt. In den vergangenen Jahren bin ich aus verschiedenen Richtungen immer wieder bei der Werbekritik gelandet, habe aber keine lokale Organisation gefunden, die das Thema mehr als nur ansatzweise behandelt. Daher bin ich gerade mit ein paar Geichgesinnten dabei, eine Informationsseite auf die Beine zu stellen.
Gibt es darüber schon Näheres zu erfahren? Wo liegen eure inhaltlichen Schwerpunkte, wie wollt ihr euch organisieren?
Anfangs war es gar nicht so leicht, sich einen sinnvollen Fokus zu überlegen, da sich uns Werbung in allen erdenklichen Bereichen aufdrängt. Da es aber so wenig Diskurs zu dem Thema gibt, haben wir bald gemerkt, dass zunächst allgemeine Bewusstseinsbildung wichtig ist. Wir werden daher erst einmal über Werbung im digitalen Bereich, per Post und im öffentlichen Raum informieren und Tipps geben, wie man sich selbst bestmöglich davon befreit. Aber wir wollen auch strukturell etwas daran ändern, dass Werbung ohne Einverständnis zugestellt oder gezeigt werden darf. Städte wie Grenoble in Frankreich haben keine Außenwerbung mehr, und in Amsterdam bekommt man nur mehr Werbung per Post nach expliziter Zustimmung.
Es gibt also viele Beispiele wie es besser geht, und wir überlegen gerade, mit welcher Kampagne wir starten werden.
Da öffnet ihr ein riesiges diskursives Feld, Adbusters & Co waren ja internationale Vorreiter*innen, wir sind gespannt, was ihr im lokalen Bereich umsetzt! Vielen Dank für dieses, sozusagen zeit- und raumumspannende, Interview!
Wir sind auch gespannt auf die Reaktionen, und ob überhaupt jemand etwas mit unserem Ansatz anfangen kann. Vielen Dank für das Interview, und ich hoffe, den ausreißer bald an vielen neuen Flächen entdecken zu können!
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Leonhard Rabensteiner ist Kulturarbeiter in Graz. Er leistet in der Traumfabrik Schichtarbeit und pfuscht an freien Tagen im Hinterhof der Utopien, da sich Wale und Wälder nicht von alleine retten. In seiner Freizeit spielt er mit Worten.
https://tatsachen.at/2021/02/05/der-oeffentliche-raum-gehoert-demokratisiert/