To the Roses of Anarchy

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Evelyn Schalk ◄

I would be a traitor to these poor burned bodies if I came here to talk good fellowship.“*

Die Weigerung, mit jenen auf der selben Seite zu stehen, denen Frauen*leben nicht mehr als ein Schulterzucken wert sind. Die Weigerung sich gemein zu machen mit denen, die für Opfer und Angehörige nicht mehr als eine milde Gabe, ein bisschen Charity übrig haben. Die Weigerung, den Profiteuren des „es war doch schon immer so“ weiterhin den Platz zu überlassen.

Sich also in den Weg stellen statt an falschen Verbindungen festzuklammern, laut sein statt überhörbar, konfrontieren statt akzeptieren.

We have tried you good people of the public and we have found you wanting.

Es immer und immer wieder versuchen, aber was bleibt sind Schulterzucken, Charity und es war doch schon immer so. Immer und immer wieder.

Kurz nachdem 1911 – wieder – eine Textilfabrikshalle in New York lichterloh gebrannt hatte und 146 Arbeiterinnen im Feuer umgekommen waren, konnte Rose Schneiderman, Gewerkschafterin, Feministin, Sozialistin, Tochter einer alleinerziehenden Mutter aus einer bitterarmen russisch-jüdischen Immigrant*innenfamilie, beim Gewerkschaftstreffen in der Metropolitan Opera nicht zur Mäßigung aufrufen. Wie sollte sie auch?

This is not the first time girls have been burned alive in the city. Every week I must learn of the untimely death of one of my sister workers. Every year thousands of us are maimed. The life of men and women is so cheap and property is so sacred. There are so many of us for one job it matters little if 146 of us are burned to death.

Schulterzucken, Charity, es war doch schon immer so.

Rose Schneiderman war eine der Organisatorinnen des berühmten New Yorker Streiks von 20.000 Textilarbeiterinnen, der als einer der ersten und der größte in der (US)Geschichte der Kämpfe für Arbeiterinnenrechte gilt. Zunächst wurden nur einige Forderungen der Streikenden erfüllt, doch in den folgenden fünf revolutionären Jahren änderte sich die Situation in der Textilproduktion und deren Gewerkschaft wurde zu einer der stärksten in den USA.

We have tried you citizens; we are trying you now, and you have a couple of dollars for the sorrowing mothers, brothers and sisters by way of a charity gift. But every time the workers come out in the only way they know to protest against conditions which are unbearable the strong hand of the law is allowed to press down heavily upon us.

Mit wem stehen wir Seite an Seite, oder eben nicht?

Und: Wer sind „wir“ überhaupt?

Public officials have only words of warning to us—warning that we must be intensely peaceable, and they have the workhouse just back of all their warnings. The strong hand of the law beats us back, when we rise, into the conditions that make life unbearable.

Sich auflehnen gegen Bedingungen, die Leben unerträglich machen. Diese Auflehnung brachte Schneiderman den Titel Red Rose of Anarchy ein. Sie wiederum war es, die für immer festschrieb: the woman worker needs bread but she needs roses, too.** Bread and Roses. Widerstand gegen unerträgliche Lebensbedingungen. Weil eine feministische Zukunft eine menschliche Zukunft ist, wie Johanna Dohnal wusste. Mit wem also Seite an Seite stehen, jetzt, hier, in jedem Moment? ‘We care’ muss auch für brennende Fabriken gelten, wenn heute darin Frauen in Kambodscha oder China sterben oder Frauen ihr Menschsein gänzlich abgesprochen wird, im Iran oder unter den Taliban in Afghanistan – globale Distanz darf nie solidarische Distanz oder Ignoranz sein – sonst stehen „wir“ auf der falschen Seite. Wenn ‘we care’ nicht sieht, dass „wir“ hier heute Abend nur sein können, weil in dieser Zeit wieder andere Frauen care-Arbeit übernehmen – als Kinderbetreuerinnen, als Pflegekräfte, als Haushaltshilfen – stehen „wir“ auf der falschen Seite. Wer kümmert sich in derselben Zeit um die Kinder der Nanny, um das ungewaschene Geschirr der Putzfrau und die kranken Eltern der 24Stunden-Betreuerin? Es ist ein zynisches Dominospiel. … if I came here to talk good fellowship…?

Wenn „wir“ strukturell manifestierte sexuelle Übergriffe in sovielen Bereichen noch immer ausblenden, von der Gastronomie bis zum Uni-Seminar, von der Werkstatt bis zum Theater, stehen „wir“ auf der falschen Seite … denn es war doch schon immer so…

Wenn „wir“ die Stimme nicht erheben gegen die massive Benachteiligung von Alleinerziehenden, gegen die fatale Hetze gegen Frauen* und Queers auf Social Media, gegen Angriffe auf Frauen* und Transfrauen im öffentlichen und privaten Raum, dann stehen „wir“ auf der falschen Seite.

Wenn unsere Unterstützung nicht jenen Frauen* gilt, die Opfer von Gewalt auf der Flucht geworden sind, stehen wir auf der falschen Seite, ebenso wenn wir schweigen angesichts der ungezählten Opfer sexueller und sexualisierter Gewalt gegen Frauen* in Kriegsgebieten – eine der noch immer am wenigsten beachteten Waffen in kriegerischen Konflikten. Immer und immer wieder.

I can’t talk fellowship to you who are gathered here. Too much blood has been spilled.

Wenn wir jetzt eine Brandmauer gegen Faschismus und Rechtsextremismus errichten wollen, muss diese auch eine gegen Frauen*hass und Klassismus sein, und zwar international. ‘

I know from my experience it is up to the working people to save themselves. The only way they can save themselves is by a strong working-class movement  war Rose Schneiderman überzeugt.

Eine gemeinsame Bewegung setzt einander Verstehen voraus, einander Zuhören, auf Augenhöhe, über Sprachgrenzen und Globusdistanzen, über Altersunterschiede und Erfahrungshorizonte hinweg und manchmal trotz oder gerade wegen diverser Perspektiven.

Aber immer jenseits von Ignoranz, Hass und Hetze. I can’t talk good fellowship.

Solidarität ist nur eine, wenn sie Platz gibt, und talking back gerade dann besonders laut wird, wenn Stimmen marginalisiert, ignoriert, übertönt werden sollen. Denn, remember bell hooks: 

In the world of the southern black community I grew up in, “back talk” and “talking back” meant speaking as an equal to an authority figure.” ***

Aber wenn wir schon bei Autorität sind: Ein Hoch auf die vielen, vielen Roses of Anarchy!

Denn ein solidarisches ‘We care’ heisst immer auch ‘we take action’!



* Alle im Text verwendeten Zitate von Rose Schneiderman sind ihrer Rede vom 2. April 1911 in der Metropolitan Opera, New York entnommen. Siehe: https://jwa.org/media/excerpt-from-rose-schneidermans-april-2-1911-speech
** Die erste Erwähnung des Slogans „Bread and Roses“ wird Schneiderman in einer Rede an die streikenden Textilarbeiter*innen von Lawrence, 1911 zugeschrieben, könnte aber auch von der Frauenrechtsaktivistin Helen Todd erstmals verwendet worden sein. https://en.wikipedia.org/wiki/Bread_and_Roses
*** bell hooks: Talking Back. Thinking Feminist. Thinking Black., 1989.

Der Text entstand anlässlich des Internationalen Frauen*kampftags am 8. März 2024 und wurde von Evelyn Schalk im Schauspielhaus Graz im Rahmen des Festprogramms des Bündnis 0803 präsentiert.