WortWandeln – wenn Straßenschilder gegentexten

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Werner Schwaiger ◄

Man geht durch Graz, zwischen Schildern, die streng die Richtung weisen – blaues Schild, Rechtsabbieger – zwischen Plakaten, die Glück im Sonderangebot versprechen, und Denkmälern, die unbeirrt in die Vergangenheit starren. Alles geregelt, geordnet, amtlich abgesegnet. Doch mit dem richtigen Blick gerät diese scheinbare Klarheit ins Wanken, Worte beginnen zu stolpern, Bedeutungen verrutschen, das Offizielle fängt zu schielen an. Nein, kein kollektiver Rauschzustand nach zu viel Sturm, sondern „WortWandeln“ – ein Textprojekt, das die Stadt nicht wörtlich aufhübscht, sondern durcheinanderbringt.

Wer sich mit Smartphone oder Tablet durch die Innenstadt bewegt, kann über Augmented Reality Texte entdecken,  die sonst unsichtbar bleiben. Worte, die sich in Mauern, Gehsteige oder Denkmäler einschreiben, aber eben „nur“ digital. Eine geheime zweite Haut der Stadt.

Der Titel ist Programm: „WortWandeln“ meint nicht lediglich das Spazieren zwischen den Stationen, sondern auch das Wandeln von Sinn, von Sprache, von Bedeutung. Was dabei entsteht, ist keine neue Stadtführung, sondern eine literarische Störung. Eine Gegenrede zum Offiziellen. Eine Ironie zwischen Reklame und Rathaus.

In Graz heißt das Kapitel „WiderSinn“ – und der Name ist kein Zufall. Hier wird nicht der Sinn zerstört, sondern entlarvt, wie konstruiert in der aktuellen Geregeltheit Vieles ist. Ampeln geraten ins Stottern, Werbebotschaften in die Sinnkrise, Denkmäler erhalten neue Widmungen. Texte, die stolpern lassen.

Natürlich, man könnte jetzt fragen: Muss das sein? Haben wir nicht schon genug Baustellen in Graz, genug Stolperfallen in Mürzzuschlag, genug Sinnkrisen in Leoben? Ja, muss sein, denn während wie selbstverständlich der Förderzapfhahn für Formate wie etwa das „Aufsteirern“-Festival laufen gelassen wird wie ein Freibierfassl beim Großgröhlinger Männergesangsvereinstreffen, bleibt für kritische, verspielte, innovative Projekte oft nur das schale Noagerl vom Humpa-Krügerl.

Die Rechnung ist einfach: Ein paar Blasmusikkapellen, Dirndln, eine Kernölsegnung – dort, wo Männer in Lederhosen sich gegenseitig beim Proooooost-Trara überbrüllen und die Steiermark in eine Art postkartenhafte Alpen-Disneylandversion getunkt wird, da schöpft sich‘s immer noch ganz gut aus dem Subventionssupperl. Aber ja, der touristische Werbewert ist wohl ein enormer, die Deutung allerdings verschwommen: irgendwo zwischen „Mei do is owa no schei in da Schdeiamoak“ und einem Zustand, als wären alle hier ein Haufen Zeltfest-Zeugungen, die maximal zwischen „Schnitzel“ und „Backhendl“ unterscheiden können.

Einfach, safe und heimelig.

„WortWandeln“ glaubt an das Gegenteil: dass Menschen Lust haben, irritiert zu werden. Dass sie gerne um die Ecke denken, lachen, stolpern, zweifeln. Dass sie spüren wollen, wie Sprache kippt, wie Bedeutungen sich verschieben. Dass es Spaß machen kann, wenn ein Schild plötzlich widerspricht, wenn eine Werbung auf einmal keine Lust mehr auf Konsum hat, wenn ein Denkmal statt Heldenpathos nur ein lakonisches „Eh wurscht“ trägt.

In Graz, Mürzzuschlag und Leoben wächst so eine unsichtbare Gegenstadt. Keine geschlossene Erzählung, sondern ein Netz aus Fragmenten, Kommentaren, Kontrasten. Dialekt taucht auf, Erinnerung mischt sich ein, Arbeit und Peripherie flüstern zurück. Es ist kein Monument, sondern ein Prozess. Keine Feier des Ewiggleichen, sondern eine Einladung zum Wandeln, im doppelten Sinn.

Und am Ende zeigt sich vielleicht: Die Steiermark braucht nicht noch ein „Aufsteirern“, das uns wie ein zu enges Dirndl fröhlich ins geistige Ersticken schnürt. Sie braucht mutige Projekte, die Platz machen für Mehrdeutigkeit, für Widerspruch, für literarische Anarchie. Für den WiderSinn.

Bis dahin: Wer ein Smartphone hat, halte es in die Luft. Man weiß nie, wo plötzlich ein Text aus der Wand springt. Und wer keines hat, der darf immerhin weiter glauben, dass auf den Schildern einfach nur „Einbahn“ oder „Sackgasse“ steht. Auch das hat ja gerade einen gewissen Humor.

Einen Plan mit allen Text-Orten gibt’s als PDF direkt am Sujet: Einfach den QR-Code scannen, Kamera aktivieren und wieder aufs Sujet halten – schon öffnet sich das PDF und die erste AR.

WortWandeln – AR-Literatur im öffentlichen Raum

Eröffnungen in Mürzzuschlag, 03.09., 18:00 Uhr, kunsthaus muerz, Leoben, 05.09., 18:00 Uhr, KulturQuartier, Graz, 15.09., 18:00 Uhr, Kunsthaus Graz, Standort ausreißer.

Eine Veranstaltungsreihe finanziert und organisiert von

GKP – Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik.