Punk’n’Politics
Martin Murpott ◄
Thousands are sailing
Across the western ocean
Where the hand of opportunity
Draws tickets in a lottery
(The Pogues – Thousands are sailing)
Jedes Mal, wenn unsere geliebte Erdäpfelrepublik kurz davor ist, endgültig auf die dunkle Seite der Macht zu kippen, fallen vor allem in linken Kreisen vermehrt wieder Sätze, die sinngemäß wie folgt lauten:
„Wenn XY Kanzler wird, daun waunder I aus!“
Und soll ich euch was sagen? Ich kann es nicht mehr hören! Natürlich ist mir klar, dass man solche Sätze schnell einmal in den Raum wirft, ohne sich konkrete Gedanken über eine weitere Umsetzung zu machen. Trotzdem ist mir das Ganze irgendwie zu billig. Es ist mir gleichermaßen zu einfach wie zu privilegiert. Und abgesehen davon: Wo wollt ihr überhaupt hin?
Nach Deutschland? Wo die AfD nur deshalb nicht in der Regierung sitzt, weil sich für die CDU gerade noch so eine Dreierkoalition ausgeht, in der sich vor allem die beiden anderen Parteien zum rechtsangebiederten Clown machen? Dann habe ich eher bedrückende Nachrichten für euch! Die selbst ernannte Alternative zu jeder liberalen Demokratie hat den politischen Diskurs in Deutschland schon so sehr an den Rand getrieben, dass sie sich eigentlich längst im KdF-Bad Prora zur Ruhe setzen könnte. Einfach nur noch die Füße hochlegen, den rechten Arm auslockern und sich die Schwarze Sonne auf den weißen Bauch scheinen lassen. Danziger Goldwasser oder Henkell schlürfen, gelegentlich mit den Schäferhunden Gassi gehen – und darauf warten, dass Friedrich Merz als quasi externer Beauftragter den Rest erledigt.
Oder eventuell nach Bella Ducessa Italia? Das immer wärmer werdende südländische Klima hilft zwar bei Rheumabeschwerden, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass in der ewigen Stadt seit 2022 die postfaschistischen Fratelli d’Italia das Sagen haben. Deren Führerin Giorgia Meloni dürfte dabei ähnlich gesichert rechtsextrem sein, wie die AfD, weshalb man sich das „post“ in faschistisch ruhig hätte sparen können. Letztlich steht diese lateinische Präposition ja doch nur für den Irrglauben, man hätte die verschiedenen historischen Formen des Faschismus – sei es in Italien, Österreich, Deutschland oder sonstwo – irgendwann überwunden. Meloni selbst hat zwar begriffen, dass man ohne gewisse Distanzierung von vergangenen Diktaturen keinen Wahlkampf mehr gewinnen kann, agiert dabei aber ebenso wenig vertrauenswürdig wie die Spitzen anderer europäischer Parteien aus dem äußersten rechten Spektrum.
Als Linker einfach abzuhauen, solange man
noch nicht selbst um Leib und Leben fürchten
muss, wäre in Wahrheit also mehr als
bloß billig oder privilegiert. Es wäre vor allem
unsolidarisch! Unsolidarisch gegenüber
all jenen, die sich nicht so leicht eine neue
Existenz aufbauen oder mal eben ins Ausland
gehen können.
Als stabiler und kämpferischer Antifaschist auf der Flucht vor dem heimischen Rechtsruck muss man allerdings auch nicht großartig gen Osten ziehen. Ungarn unter Orbán scheidet wohl völlig aus! Die gesellschaftlich konservative, aber wirtschaftlich liberale Občanská demokratická strana in Tschechien ist ebenso wenig ein Garant für ein gutes Leben, und in Polen liegt der letzte linke Ministerpräsident noch länger zurück als der erste Konkurs des glorreichen Grazer Athletiksportklubs. Will man also nicht unbedingt im derzeit noch vergleichsweise liberal geführten Baltikum darauf warten, bis es dem Moskauer Kriegsverbrecher endgültig den Eroberungsvogel raushaut, sollte man sich wohl nach anderen Alternativen umsehen. Ob man diese jedoch im Westen oder Norden der EU auf Anhieb fände, bleibt äußerst fraglich. Irgendwelche rechten Separatisten in Belgien oder bürgerlich-konservative Spaßbremsen in Schweden klingen ja nun ebenfalls nicht unbedingt nach Keine Macht für Niemand.
Was also bleibt, wäre unter anderem Übersee – sofern man dabei primär an Australien oder vielleicht noch Kanada denkt. Beide Staaten sind allerdings nicht dafür bekannt, eine rechtsradikale Regierungspartei per se als Asylgrund anzuerkennen. Natürlich könnte man alternativ ein längerfristiges Arbeitsvisum beantragen, aber – surprise, surprise – ein freundliches Lächeln sowie ein Bachelor in Soziologie werden dafür kaum ausreichen. Wenn ihr also nicht zufällig Umweltmanager oder Bauprojektleiter mit ausgezeichneten Englischkenntnissen seid und zudem über äußerst gute Kontakte zu sponsorfreudigen Arbeitgebern verfügt, könnt ihr euch das Ganze wohl gleich wieder abschminken. By the (American) way: Selbst wenn in den Staaten nicht diese groteske Mischung aus John Wayne und Bozo the Clown an der Macht wäre, hättet ihr es dort mit der Arbeitsmigration um keinen Deut einfacher!

Nicht, dass ihr mich falsch versteht! Wenn ich eingangs von „privilegiert“ spreche, meine ich damit definitiv nicht jene in Österreich lebenden Minderheiten und Randgruppen, die tatsächlich guten Grund haben zu glauben, dass ihnen eine FPÖ-geführte Regierung so weit wie nur irgendwie rechtlich möglich ans Leder will. Das Perfide daran ist allerdings, dass es gerade diese Minderheiten und Randgruppen zum Teil am allerschwersten hätten, sich dem Zugriff einer ultrarechten Regierung zu entziehen. Unser heiß geliebter Innenminister hat bereits jetzt relativ wenig Hemmungen, nach Syrien oder sogar nach Afghanistan abzuschieben. Dabei ist der alte Dollfuß-Affineur noch nicht einmal Mitglied der Freiheitlichen, sondern „bloß“ der Österreichischen Volkspartei. Man mag sich also gar nicht vorstellen, wie er unter einem Kanzler Kickl agieren würde.
Die Krux an der Sache ist, dass nicht nur abgelehnte Asylwerber*innen, sondern auch Geflüchtete mit legalem Aufenthaltstitel – wie etwa einem Konventionspass oder einer subsidiären Schutzberechtigung – auf der Abschussliste stehen. Im Gegensatz zu den „Eingeborenen“ besitzen all diese Menschen jedoch nicht dasselbe oder gar kein Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU. Sofern sie also nicht bereit wären, sich erneut auf eine meist strapaziöse und traumatisierende Flucht zu begeben, würden sie wohl recht schnell wieder in jenen Höllen landen, denen sie ursprünglich entkommen wollten.
Neben ihrem Hass auf Geflüchtete aus vermeintlich „kulturfremden“ Ländern eint die abendländische Rechte eine weitere fixe Idee: Der Islam – völlig egal, wie lange er in den jeweiligen Staaten schon als gesetzlich anerkannte Religion existiert – gehört nicht zu Europa! Bei uns tut er das übrigens seit 1912, womit der Islam definitiv länger Teil der österreichischen Geschichte ist als beispielsweise die FPÖ oder deren Vorgängerorganisationen. Wenn nun die Freiheitlichen „Asylstopp, Remigration und ein Verbot des politischen Islams“ fordern und von „Einheitsparteien“ oder „Brüsseler Marionetten“ sprechen1, liegt – trotz der affektierten Betonung auf „politisch“ – der Schluss nahe, dass sie auch vor moderaten und alteingesessenen Muslim*innen nicht Halt machen wollen und werden.
Geflüchtete und Migrant*innen ganz allgemein und Muslim*innen im speziellen sind natürlich nicht die einzigen, die sich existenzbedrohliche Sorgen um ihre Zukunft machen müssten. So ist etwa die Liste antisemitischer Äußerungen im Umfeld der Freiheitlichen Partei durchaus beachtlich – wenn auch historisch stringent. Klar, die Blauen werden mehr als einen 30%-Kanzler brauchen, um völlig konsequenzlos Ressentiments gegen das hiesige jüdische Leben schüren zu können. Allerdings ist durchaus anzunehmen, dass eine FPÖ-geführte Bundesregierung allein durch ihre Außenwirkung ein Klima verstärken würde, das der jüdischen Bevölkerung bereits schon jetzt nicht sonderlich wohlgesonnen ist. Weniger zurückhaltend, was offene Ablehnung betrifft, war man in den letzten Jahren definitiv im Hinblick auf die queere Community und alles, was irgendwie mit LGBTIQ+ zu tun hat. So ist im Wahlprogramm von 2024 unter anderem von „Transgender-Gehirnwäsche“, „Zersetzung unserer gesellschaftlichen Grundlagen“ oder „Queer-Propaganda“ zu lesen.2 Dass die betroffenen Personen hier äußerst berechtigten Grund zur Sorge haben, liegt nicht nur mit Blick auf die freiheitliche Nahbeziehung zu Russland und Ungarn durchaus auf der Hand. Als Linker einfach abzuhauen, solange man noch nicht selbst um Leib und Leben fürchten muss, wäre in Wahrheit also mehr als bloß billig oder privilegiert. Es wäre vor allem unsolidarisch! Unsolidarisch gegenüber all jenen, die sich nicht so leicht eine neue Existenz aufbauen oder mal eben ins Ausland gehen können. Gegenüber jenen, die aus mannigfaltigen Gründen an Österreich gebunden sind, egal ob diese Gründe nun rechtlicher, familiärer, finanzieller, gesundheitlicher oder wirtschaftlicher Natur sind. Es wäre unsolidarisch gegenüber allen, die ihr Zuhause nicht kampflos den Rechten überlassen wollen, solange dieser Kampf noch zu führen ist. Unsolidarisch gegenüber jenen, die hier tatsächlich leben müssen oder es sogar wollen.
1 https://www.fpoe.at/themen/verbot-des-politischen-islam
2 https://www.fpoe.at/themen/wahlprogramm-nationalratswahl-2024