Tabuthema Flughafen Graz

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Heinz Wittenbrink ◄

Urlaubsflüge können heute nicht weit genug sein. Trotzdem – vielleicht sogar deshalb – wollen wir nicht anerkennen, dass unsere Lebensweise von Elementen des Erdsystems auf anderen Kontinenten abhängig ist und dass sie diese Elemente beeinflusst. Die Treibhausgase, die wir etwa in Graz ausstoßen, machen Kipp-Elemente auf der anderen Seite des Globus instabil, doch von diesen Kipp-Elementen hängt wiederum ab, wie in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts noch besuchen können.

Am 21.  August wurde eine Studie zum Zustand der Antarktis publiziert, die Erkenntnisse vieler Klimaforschender zusammenfasst (Überblick mit Link zu einer nicht kostenpflichtigen Version der Studie: red and APA 2025). Diese Studie ist ein Alarmruf: Wenn die Erderhitzung nicht in der allernächsten Zukunft gestoppt wird, besteht ein sehr hohes Risiko, dass ökologische Systeme kippen, die für das Klima auf der ganzen Erde mitbestimmend sind. Das Eis auf dem Ozean um die Antarktis Antarktis hat so sehr abgenommen, dass es riesige Gletscher, die vom Festland ins Meer fließen, nicht mehr lange bremsen kann. Die Folge wäre eine rasche Erhöhung des Meeresspiegels um mehrere Meter. Das Schmelzen des Meereises sorgt aber auch dafür, dass die Erde weniger Strahlung reflektiert und sich damit noch weiter erhitzt. Außerdem verändern sich durch die Erwärmung des Ozeans die Strömungssysteme und der Planktongehalt des Meeres um die Antarktis. Das Risiko, dass er bald viel weniger menschlich verursachtes CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen kann als bisher, ist groß. Auch das würde die Erhitzung weiter antreiben, und zwar deutlich.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kipp-Punkte für den Anstieg des Meeresspiegels durch das Schmelzen antarktischer Gletscher und für den deutlichen Verlust der CO2-Aufnahmefähigkeit durch den antarktischen Ozean bereits überschritten sind. Es ist fast sicher, dass sie überschritten werden, wenn sich die Temperatur der Erde insgesamt um 2 und mehr Grad erwärmt – und dafür sprechen zur Zeit alle wichtigen Klimaindikatoren. Anders gesagt: Die Pariser Klimaziele müssen eingehalten werden, um globale Katastrophen zu verhindern, die weit schlimmer sein werden, als das, was wir jetzt schon als Folgen der Klimakrise erleben.

Regionalflughäfen sind nicht zu retten

Die Stadt Graz hat sich dazu verpflichtet, dass die Stadt bis 2040 klimaneutral wird, also nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre pumpt, als – vor allem durch Pflanzen – absorbiert werden können. Die Stadt gibt erhebliche Summen dafür aus, die Klimaneutralität zu erreichen. Sie ist ehrgeiziger als Österreich und Europa – aber auch Europa hat sich zum Erreichen der Klimaneutralität verpflichtet.

Der Flughafen Graz spielt eine Schlüsselrolle dabei, dieses Ziel in Graz tatsächlich zu erreichen. Flugemissionen unterscheiden sich von den meisten anderen Emissionen nicht nur dadurch, dass ihre Wirkung erheblich größer ist – u.a. durch Kondensstreifen, die ihren Treibhauseffekt mindestens verdoppeln. Vor allem lässt sich die Luftfahrt – anders als fast alle anderen Branchen – bis 2040 oder 2050 mit Sicherheit nicht dekarbonisieren. Im Unterschied zu anderen Verbrennungsmotoren gibt es für Flugzeugmotoren bisher keinen ausgereiften technischen Ersatz – wie Elektomotoren für Autos und Wasserstoff-Turbinen für Schiffe. Flugzeugmotoren können zwar mit Biokraftstoffen oder synthetischen, aus dem atmosphärischen CO2 gewonnenen Treibstoffen betrieben werden.  Aber für Biokraftstoffe fehlen die Anbauflächen, und jene Energie, die für die Gewinnung von synthetischen Treibstoffen nötig ist, wird dringend gebraucht werden, um lebenswichtigere Teile des Energiesystems selbst zu dekarbonisieren.

Sicher ist: Luftfahrt ist im auch nur annähernd bisherigen  Umfang nicht mit den Pariser Klimazielen vereinbar. Sie kann nur da aufrechterhalten werden, wo sie dringend notwendig ist.

Sicher nicht dringend nötig sind Flüge zu touristischen Destinationen und für die meisten Geschäftsreisen. Das sind jeodch genau jene Flüge, die am Grazer Flughafen starten und landen. Für die wenigen möglicherweise unerlässlichen interkontinentalen Flüge sind  Flughäfen wie in Wien ausreichend, das von Graz schnell erreichbar ist. Da beim Starten und Landen von Flugzeugen die meisten Emissionen entstehen, sind Zubringerflüge nach Wien oder Frankfurt ökologisch besonders wenig zu rechtfertigen.

In einer CO2-neutralen Stadt und in einem CO2-neutralen Europa gibt es für den Grazer Fluhafen keine Zukunft. Bisher existiert allerdings kein Plan dafür, den Flughafen zu schließen oder wenigstens schrittweise zu verkleinern. Im Gegenteil: Die stadteigene Holding Graz feiert das Wachstum des Flughafens und will in seinen Ausbau investieren. Ein gemeinsamer Betrieb mit dem Land – geführt von einer blau-schwarzen Koalition – ist eine Option, die auch für die linke Grazer Stadtregierung nicht ausgeschlossen zu sein scheint. Der offenbare Widerspruch zur Grazer Klimapolitik wird nirgendwo erwähnt. Steigerung der Emissionen durch den Flugverkehr auf der einen Seite, Abbau der Emissionen auf der anderen durch Klimapakte und weitere Maßnahmen, stehen unverbunden nebeneinander. Die Stadt agiert hier nicht anders als der Bund und die Europäische Union, die ebenfalls gleichzeitig intensiv daran arbeitet, die Emissionen zu steigern – z.B. durch den Aufbau der LNG-Überkapazitäten (d.h. es gibt mehr Anlagen für Verarbeitung, Transport und Nutzung von verflüssigtem Erdgas als gebraucht werden)– und zu senken, etwa durch den Ausbau erneuerbarer Energien.

Gut vernetzte Senioren in den oberen Etagen
blockieren die Abkehr von den Verhältnissen,
in denen sie ihre Geschäftsbeziehungen aufgebaut
haben. In der Steiermark haben „Männer,
die die Welt verbrennen“, wie es Christan Stöcker
genannt hat, besonders gute Chancen, als Wirtschaftsexperten anerkannt zu werden.

Old boys-Netzwerke und lokale Hierarchien

Dass ein kleiner Flughafen wie der in Graz ausgebaut wird, hat überregionale Gründe, wie das Wachstum des Tourismus nach der Corona-Epidemie. Aber auch regionale Faktoren führen dazu, dass in den Flughafen investiert wird, darunter lokale Hierarchien in der sogenannten „Wirtschaft“, die auf dem billigen Erfolg fossiler Geschäftsmodelle beruhen. Gut vernetzte Senioren in den oberen Etagen blockieren die Abkehr von den Verhältnissen, in denen sie ihre Geschäftsbeziehungen aufgebaut haben. In der Steiermark haben „Männer, die die Welt verbrennen“, wie es Christan Stöcker genannt hat (Stöcker 2024), besonders gute Chancen, als Wirtschaftsexperten anerkannt zu werden.

So lässt sich Wolfgang Malik, langjähriger Vorsitzender der Holding Graz gern als begeisterter Flieger inszenieren. Seine Expertise zum Flughafen wird dermaßen gefeiert, dass er sogar über seinen 70. Geburtstag hinaus als Vorsitzender des Aufsichtsrats des Flughafens ins Gespräch gebracht wird (Saria 2025). Ex-Rennfahrer, Formel-1-Manager und Hotelier Marko freut sich ebenfalls über den Flughafen-Ausbau und möchte noch mehr Fluggäste zu den Renn-Veranstaltungen in Spielberg transportieren (Marko 2025). Die Autorität dieser fossilen Motörheads wird im Land kaum in Frage gestellt.

Pseudo-Klimapolitik auch bei der Linken

Das Amalgam von Gerontokratie und Begeisterung für mit fossilen Brennstoffen betriebene laute Motoren ist wohl nur ein Grund dafür, dass der Grazer Flughafen kaum kritisiert wird. Auch die in Graz regierende Linke wagt es nicht, den Flughafen in Frage zu stellen – obwohl die weniger wohlhabenden Teile der Bevölkerung kaum oder gar nicht fliegen. Angesichts der Budgetsituation der Stadt will sie die Einnahmen aus dem Flughafen nicht gefährden (sie machen weniger als ein halbes Prozent der Schulden der Stadt aus), und in Anbetracht einer immer wieder gegen grüne Projekte mobilisierten Öffentlichkeit möchte sie wohl auch keinen zusätzlichen Konflikt riskieren. Die KPÖ versteckt Klimapolitik hinter ihrer Sozialpolitik, die Grünen profilieren sich am liebsten durch Wohlfühlprojekte, die niemand zu Einschränkungen zwingen. So posiert man bei der Einführung von Elektrofahrzeugen auf dem Flughafengelände ohne über die Emissionen zu sprechen, die von den Flugzeugen verursacht werden und den relevanten Teil der Klimabilanz des Flughafens bilden (Formfaktor 2022).

Apokalyptischer Pessimismus?

Weiterbetrieb und Ausbau des Flughafens sind Teil des business as usual. Den Flughafen auszunutzen und auszubauen ist für viele so selbstverständlich, dass es ihnen absurd scheint, auf diese Chancen für Einnahmen und Wachstum zu verzichten. Sie halten es für unrealistisch anzunehmen, dass schon in wenigen Jahren nur noch ein paar oder gar keine Flüge mehr starten werden – jedenfalls keine Urlaubsflüge, Flüge für leicht ersetzbare Geschäftsreisen und Status-Darstellungen. Diese Einstellung wirkt rational, weil kaum jemand an das Gegenteil glaubt, und weil auch kaum jemand öffentlich vertritt, dass radikale Transformationen nötig sind, um den schlimmsten Folgen der Klimakatastrophe noch zu entgehen.

Rational wäre eine solche Haltung aber nur, wenn Europa darauf verzichten würde, die Emissionen auf Null zu reduzieren. Diese „Rationalität“ würde voraussetzen, dass Europa und die übrige Welt akzeptieren, dass alle Küstenstädte der Erde zerstört werden, Hunderte Millionen zu Klimamigrant:innen werden und Billionen Euro jährlich durch Klimaschäden verloren gehen. Rational wäre die Annahme, dass ohne radikale Einschränkungen weitergeflogen werden wird – auch noch in 10 oder 15 Jahren – damit nur, wenn die Mehrheit der Bevölkerung und der Eliten die sich vor aller Augen verschlimmernde Klimakrise weiter ignoriert. Anders ausgedrückt: Diese Annahme ist nur für Anhänger:innen jenes apokalyptischen Pessimismus überzeugend, der der Klimabewegung gern vorgeworfen wird. Sie setzt dabei gegen alle historische Erfahrung voraus, dass sich die Zukunft von der Gegenwart kaum unterscheiden wird.

Den Flughafen Graz als Tabuthema zu behandeln und nicht zu diskutieren, dass er mit der offiziellen Klimapolitik der Stadt, des Bundes und der EU nicht zu vereinbaren ist, macht nicht nur Klimaschutzmaßnahmen unglaubwürdig. Es erschwert auch die Transformation der Stadt und ihrer Wirtschaft. Zu lange am Gewohnten festzuhalten – auch wenn dieses noch selbstverständlich erscheinen – behindert die Innovationen, wie sie gerade von den Fürsprechern der „Wirtschaft“ gefordert werden. Es behindert z.B. die Entwicklung von Tourismusangeboten, die ohne Flugzeuge auskommen und von attraktiven emissionsfreien Mobilitätsangeboten für Touristinnen und Touristen, die nach Graz kommen oder die von hier aus in andere Destinationen reisen. Hier können sich die Stadt und unsere Wirtschaft profilieren. Geschäftsmodelle, die von Verbrennungsmotoren abhängig sind, und Old Boys-Netzwerke, die sich auf diesen veralteten und simplen Modellen ausruhen, passen nicht zu einer emissionsfreien Zukunft und blockieren die Suche nach Wegen dorthin.

Als stabiler und kämpferischer Antifaschist auf der Flucht vor dem heimischen Rechtsruck muss man allerdings auch nicht großartig gen Osten ziehen. Ungarn unter Orbán scheidet wohl völlig aus! Die gesellschaftlich konservative, aber wirtschaftlich liberale Občanská demokratická strana in Tschechien ist ebens„Queer-Propaganda“ zu lesen.2  Dass die betroffenen Personen hier äußerst berechtigten Grund zur Sorge haben, liegt nicht nur mit Blick auf die freiheitliche Nahbeziehung zu Russland und Ungarn durchaus auf der Hand. Als Linker einfach abzuhauen, solange man noch nicht selbst um Leib und Leben fürchten muss, wäre in Wahrheit also mehr als bloß billig oder privilegiert. Es wäre vor allem unsolidarisch! Unsolidarisch gegenüber all jenen, die sich nicht so leicht eine neue Existenz aufbauen oder mal eben ins Ausland gehen können. Gegenüber jenen, die aus mannigfaltigen Gründen an Österreich gebunden sind, egal ob diese Gründe nun rechtlicher, familiärer, finanzieller, gesundheitlicher oder wirtschaftlicher Natur sind. Es wäre unsolidarisch gegenüber allen, die ihr Zuhause nicht kampflos den Rechten überlassen wollen, solange dieser Kampf noch zu führen ist. Unsolidarisch gegenüber jenen, die hier tatsächlich leben müssen oder es sogar wollen.

Formfaktor. 2022. “Automatisiertes Laden Von E-Shuttles Am Flughafen Graz — FORMFAKTOR.” May 16, 2022. https://form-faktor.at/automatisiertes-laden-von-e-shuttles-am-flughafen-graz.

Marko, Helmut. 2025. Hotelier und Formel-1-Motorsportchef: Helmut Marko: „Graz hat eigentlich überhaupt keine Bedeutung“ Interview by Nina Müller. Kleine Zeitung. https://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/19912446/helmut-marko-graz-hat-eigentlich-ueberhaupt-keine-bedeutung.

red, and APA. 2025. “Hinweise Auf Bevorstehenden Kipppunkt in Der Antarktis Mehren Sich,” August 22, 2025. https://www.derstandard.at/story/3000000284487/forscher-antarktis-vor-einem-kipppunkt-8211-pinguine-bedroht.

Saria, Michael. 2025. “Politik-Intern: Von verlängerten Verträgen und „Abflügen“ bei der Holding Graz.” Kleine Zeitung, August 6, 2025, sec. steiermark. https://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/19970233/die-erste-zugabe-bei-der-holding-graz-ist-fix-folgt-ein-abflug-des-zum.

Stöcker, Christian. 2024. Männer, die die Welt verbrennen: der entscheidende Kampf um die Zukunft der Menschheit. Berlin: Ullstein.