Punk’n’Politics
Martin Murpott ◄
They’ve hidden their swastika
Behind the national flag
You’d better watch out folks
They’re heading for a comeback”
(Crisis – Holocaust)
Den Tatsachen ins Auge blicken
Sind wir Linken nicht wirklich fantastisch darin, uns in zwanzigseitigen Exposés oder minutenlangen Monologen gegenseitig zu erklären, welches Wesen Parteien wie der FPÖ oder AfD innewohnt? Klopfen wir uns nicht seit Monaten voller Freude und Leidenschaft auf die eigenen Schultern, weil wir zum wiederholten Male erkannt haben, dass Parteien wie die FPÖ oder AfD das sind, was sie ohnehin immer waren? Halten wir uns nicht permanent alleine deswegen für besonders schlau, weil diese Parteien uns nicht über ihr Wesen hinweg zu täuschen vermögen, obwohl sie aus ihrer autoritären, nationalistischen und rassistischen Gesinnung ohnehin keinen Hehl machen? Ja, genau das tun wir! Doch werden wir bloß damit bei der kommenden Nationalratswahl noch die Kurve kratzen? Ich wage es zu bezweifeln!
Ach kommt! Es braucht ja wirklich nicht länger als den Genuss einer Tasse schwarzen Kaffees ohne Zucker um festzustellen, dass die FPÖ unseren Vorstellungen einer modernen Demokratie an das sowieso schon recht dünn gegerbte Leder will. Da wäre es doch wirklich angebracht, endlich einen Schritt weiter zu gehen und uns schleunigst einer anderen Tatsache bewusst zu werden. Die ÖVP wird vermutlich den Dollfuß tun, um eine blaue Volkskanzlerschaft zu verhindern. Warum sollte sie auch? Ihr ist trotz allen Beteuerungen ein Herbert Kickl in fast allen Belangen inhaltlich näher, als es ein Andi Babler je sein könnte. Die ÖVP ist eine zunehmend sozial- und asylfeindlich agierende rechtskonservative Partei, von der man sich keine Hilfe erwarten darf, ohne seine (linke) Seele zu verkaufen. Um einen freiheitlichen Volkskanzler zu verhindern wird es also notwendig sein, eine Mehrheit abseits von Schwarzblau zu bilden. Da wir diese allerdings augenscheinlich nicht haben, müssen wir sie folglich erst holen!
Agitation statt Arroganz
Wenn wir es mit der eigenen „Gegen Rechts“-Attitüde wirklich ernst meinen, werden wir an aktivem Handeln kaum vorbeikommen. Rock gegen Rassismus, Lichtermeere zur Rettung der Demokratie oder Kuchenwettessen gegen Faschismus sind dabei zwar richtig und wichtig, dürften aber angesichts sämtlicher Wahlumfragen innerhalb der letzten 12 Monate nicht reichen. Um also einen antidemokratischen Super-GAU im Parlament zu verhindern, sollten wir den Blauen und Schwarzen zusätzlich noch dringend einen Teil ihrer potentiellen Wählerschaft abknöpfen. Anderen Annahmen zum Trotz wird uns das allerdings nicht gelingen, indem wir jene, auf die es ankommt, als dummen Pöbel ohne moralischen Kompass brandmarken. Es wird uns gelingen, indem wir jene, auf die es ankommt, eine vernünftige und an die jeweilige Lebensrealität angepasste Alternative zu Hass und Hetze bieten.
Gute Gründe, weder blau noch schwarz zu wählen gibt es viele. Aber hey, erzählen wir uns das nicht selbst! Erzählen wir es unserem eigentlich eh ganz netten Nachbarn, dem Verwandten mit Hang zur vorschnellen Stimmzettelabgabe oder der Kneipenbekanntschaft mit dem grandiosen Fußballfachwissen. Erzählen wir es einfach jedem von dem wir glauben, dass es Sinn machen könnte. Vergesst den schlagenden Burschenschafter in vierter Generation. Pfeift auf das BWL-studierende AG-Mitglied und auf die scheiteltragende Zweimeter-Kante mit Landser-Shirt sowieso. Haltet euch vom wirtschaftstreibenden Dorfkatholiken mit seinen Raiffeisen-Anlageprodukten genauso fern, wie von der an den Deep State glaubenden Kollegin aus der Finanzbuchhaltung. Ihr fragt, wie viele dann wohl übrigbleiben? Zumindest genug, um eine Partei, deren Funktionäre jetzt schon von „Volksverrat“, „Fahndungslisten“ und „Systemparteien“ sprechen, am Regieren zu hindern. Agitiert, polarisiert und argumentiert! Ihr seid weder der ÖVP noch der FPÖ einen sauberen Wahlkampf schuldig, solange ihr davon Abstand haltet, deren rassistische und sozialfeindliche Narrative zu bedienen.
Rein Rechnerisch
Klar klingt das alles so leicht gesagt und wäre vor allem Aufgabe real existierender linker Parteien. Aber während sich letztere in internen Grabenkämpfen aufreiben oder in Resignation üben, dürfen wir nicht den Glauben daran verlieren, dass es diese 5 bis 10 Prozent an Wechsel- und Nichtwähler*innen gibt, mit denen wir zumindest das parlamentarische Ruder noch herumreißen können. Auch spielt es dabei kaum eine Rolle, ob es sich um Arbeiter*innen, Angestellte, Pensionist*innen oder Arbeitslose handelt. Zumindest wirtschaftlich und sozial bringt die Wahl einer rechten oder rechtsradikalen Partei für die meisten Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppen keinen Vorteil. Und nein! Das alles ist kein bloßes Gefühl, sondern eine programmatische Tatsache, die es innerhalb der uns verbleibenden Monate zu vermitteln gilt.
Lasst uns anfangen, wieder nach oben statt nach
unten zu treten! Kommuniziert den Leuten, dass
es eben nicht die vermeintlichen Ausländer und
Migrant*innen sind, die Lebensmittelpreise nach
oben treiben, Gehaltserhöhungen verhindern oder
Arbeitslosengelder kürzen.
Lasst uns anfangen, wieder nach oben statt nach unten zu treten! Kommuniziert den Leuten, dass es eben nicht die vermeintlichen Ausländer und Migrant*innen sind, die Lebensmittelpreise nach oben treiben, Gehaltserhöhungen verhindern oder Arbeitslosengelder kürzen. Beweist ihnen, dass sie selbst mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit NICHT zu den oberen Zehntausend gehören, für die FPÖ und ÖVP Klientelpolitik betreiben. Zeigt den Leuten, wie vor allem FPÖ und ÖVP seit Jahren einen Scheiß darauf geben, dass die Arm-Reich-Schere immer größer wird und der viel zitierte „kleine Mann“ seine Gas- und Stromnachzahlungen wenn überhaupt längst mit dem eh schon spärlich gesäten Urlaubsgeld abdecken muss.
Wir werden es bis Herbst nicht schaffen, seit Jahren geschürte bzw. ohnehin immer vorhanden gewesene Ressentiments gegenüber marginalisierten Gruppen oder Minderheiten aus den Köpfen jener zu vertreiben, die sich spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ebenso in ihrer finanziellen Existenz bedroht fühlen. Denn auch wenn wir dieses Ziel nie aus den Augen verlieren dürfen, braucht es dafür leider mehr Zeit sowie ein breiter strukturiertes gesellschaftliches Engagement. Was wir jedoch schaffen können ist, zumindest einem Teil dieser Menschen glaubhaft zu versichern, dass FPÖ und ÖVP vor allem eines nicht sind: eine sinnvolle politische Alternative zu auch nur ansatzweise linken Parteien!
No best case Scenario
Sollten es die Freiheitlichen tatsächlich schaffen, einen „Volkskanzler“ an der Spitze unserer Republik zu installieren, bräuchten wir uns nicht viel vormachen. „Im besten Falle“ würde dann nämlich bedeuten, dass wir „bloß“ eine weitere Orbanisierung Österreichs zu erwarten hätten. Pressevielfalt, Meinungsfreiheit sowie unabhängiger Kulturbetrieb wären zunehmender Einschränkung und Zensur unterworfen. Eine voranschreitende Demontage des Sozialsystems zugunsten Wirtschaftstreibender und Industriellen würde ganz oben auf der Agenda gesellschaftspolitischer Überlegungen stehen. Welche verschärften Repressionen gegen Asylsuchende oder Minderheiten das Ganze zur Folge hätte, mag ich mir an dieser Stelle erst gar nicht ausmalen. Nur gibt es politische Strömungen in diesem Land, deren Anhänger*innen das alles immer noch viel zu wenig wäre. Die nur darauf warten, ihre wahre Gesinnung endgültig nicht mehr hinter vorgeschobenem Patriotismus verstecken zu müssen. Die darüber diskutieren, Millionen von Menschen aus Österreich und Deutschland zu vertreiben, weil sie nicht ihrer rassistischen Ideologie entsprechen. Die mit den totalitären Führern längst vergangen geglaubter Tage sympathisieren. Lassen wir nicht zu, dass Blauschwarz endgültig eine Büchse der Pandora öffnet, von der wir nach 1945 fälschlicherweise glaubten, dass wir sie einigermaßen fest versiegelt hätten. Lassen wir nicht zu, dass man all jene ans Licht der politischen Macht holt, die jetzt schon nur mehr halbherzig im Schatten gehalten werden. Nehmen wir ihnen lieber diese paar verdammten Stimmen ab, die zumindest vorerst reichen würden, um Blauschwarz in die einzig verdiente Leere laufen zu lassen!