Markus Mogg ◄
Protest sorgt für Dissonanzen, werden doch gesellschaftliche Verwerfungen und Missstände öffentlich behandelt, die das Weiterlaufen des maroden Vehikels namens Kapitalismus irritieren. Brachten die Anliegen der Arbeiter:innen-, der Frauen*- oder der Bürgerrechtsbewegungen Ungerechtigkeiten in den Fokus, war das ein Misston in der harmonischen Melodie der Macht. Und auf der Gegenseite nähren sich Formen von gegenwärtigem Protest von anderen Missklängen, die geschürten Ängsten – und den kognitiven Dissonanzen ihrer Proponent:innen – Stimme verleihen.
Egal, was der historische Konsens vorzugeben scheint: Der Wandel hin zu einer offeneren und gerechteren Gesellschaft benötigte laute, radikale Stimmen seitens marginalisierter Gruppen – Arbeiter:innen, Frauen, People of Colour, sexuelle Minderheiten, … – , um sich Gehör zu verschaffen. Diese Anliegen kamen zumindest nominell an, denn der hegemoniale Konsens adaptiert, was davon passt, doch – wie die Aufklärung und das demokratische Projekt selbst – ist die tatsächliche Realisierung lange noch nicht abgeschlossen. Das wäre auch nicht im Sinne von business-as-usual, dafür reichen ein paar passend gemachte Ikonen: So war mit Martin Luther Kings “I have a dream” wohl alles gesagt und getan, und war nicht eh Obama Präsident? So muss doch der Traum der vom kulturellen Gedächtnis mythologisierten Vaterfigur ausreichen, die Verwerfungen und Ungerechtigkeiten bleiben weitgehend bestehen. Hegemoniale historische Erzählungen deuteten die sich wandelnden, adaptierenden und integrierenden Praktiken des kapitalistischen Systems als ewig gültigen sozialen Konsens, ein retroaktives Ende der Geschichte, um – geradezu toxisch positiv – jegliches Erinnern an vergangene Proteste zu vermeiden. Die verzerrte Darstellung radikalerer Kritik, die ob ihrer Misstöne nicht eingemeindet werden kann, hingegen wird dabei zu jenem neuen Gespenst, das es nun zu exorzieren gilt. Jene, die dem bestehenden Machtgefüge zugeneigt sind, sehen sich etwa durch ökologische Fragen und die Forderungen nach mehr Teilhabe und Gleichheit für alle irritiert und bedrängt. So begrüßen sie den hegemonialen Gegenschlag, der faktisch die schlechten Verhältnisse weiter festschreibt, solange er ihren imaginären Status als Teil jener souveränen Gruppen aufrecht erhält.
Dissonanzen und magisches Handeln
So hält für diese Gruppen, die sich frei und autonom wähnen, aber an der Macht hängen, diese Fantasie der Teilhabe ein marodes, räuberisches wie selbstzerstörerisches System am Laufen, indem sie die spürbaren Brüche zwischen Wunsch und Realität, zwischen Stärke und Verwundbarkeit, übertüncht. Die Vorstellung ihrer imaginierten Souveränität kann viele Formen annehmen, von offen neofaschistischen Haltungen über die bürgerliche Verachtung von materiell Schwächeren hin zu vergeistigten Spielarten, die die Überlegenheit und Reinheit ihrer Körper, Seelen und Personen absolut setzen, wozu neben Verschwörungsgläubigen, esoterisch Erleuchteten, auch Anti-LGBTQIA*-Agitator:innen zu rechnen sind. Liegt der Bruch aber offen, kompensierten sie gekränkt die erfahrene Fragilität, die sie verachteten (und so an sich selbst leugneten) mit Wut und Hass auf das Andere, als “von Jüd:innen” gesteuert”, “Queer”, oder gelegentlich “Woke” oder “Antifa”.
Die Ironie dabei: Sie werden nicht müde, gerade die Opfer ihrer ideologischen Ahn:innen, die viel blutiger ihre Herrschaft umsetzten, für sich zu vereinnahmen. Selbst berechtigte Anliegen kamen nur verzerrt vor, als wäre es ausreichend, die eigenen Mythen über die Fakten zu stellen. Der kollektive Wahn, marginalisiert zu sein, während deren dissonantes Sudern von allen Dächern tönte und in öffentlichen Diskurs viele Bühnen – und damit Zulauf – fand, spricht Bände. Der viel zitierte Kulturkampf ist ein Angriffskrieg von Rechten und Reaktionären und ihren erleuchteten Verbündeten. Wer diese Gestalten als die “Normalen” missversteht, sie zu vereinnahmen sucht, oder ihnen Bühnen bietet, gießt Öl ins Feuer und gefährdet das gesellschaftliche Projekt von Demokratie und Aufklärung, das ohnehin mit genug zu kämpfen hat.