gegen kultur stand oder die kunst des label links

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Silvia Stecher ◄

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welche literatur?

avant stand arte

in ihrer auffächerung öffnen die begriffe widerstand und literatur ein ganzes arsenal von bezüglichkeiten aufeinander, etwa von der bürgerlichen widerstandsdebatte des 19. jahrhunderts über die romantische idee eines poetischen gegenentwurfs zur realität hin zum konflikt zwischen einer poésie pure und poésie engagée und dem versuch seiner auflösung, zur gebrauchswertdebatte von literatur 1968 und zurück in die zukunft zum impetus der avantgarden und der späteren aneignung der metaphorik rund um diesen begriff. er diente der auslotung einer randposition im kulturellen feld, von wo aus dieses einer (selbst)beobachtung und -analyse unterzogen werden kann:

„das springen zwischen standorten und beschleunigungen hat eine form avantgardistischer identität zur folge, die sich nicht unter etablierten wiedererkennungsmustern subsumieren lässt, sondern fluktuiert. verortbar zu sein stellt für avantgarden eine systemische bedrohung dar, was [ihre] unattraktivität für vermarktbares kulturschaffen wesentlich zur folge hat […] verortbarkeit ist daher funktionsvoraussetzung für kanonisierte experimentpositionen, die nur so (unter förderbedingunen) adressierbar bzw. (als event) identifizierbar gemacht werden können […]“ (1)

label der vielen

beobachtbar ist aktuell: verortbares und damit vermarktbares kulturschaffen bedient sich des politischen engagements häufig auf eine weise, in der letzteres ersteres befördert, und tut dies von moralischer und zu selten von analytischer ebene aus. schließt sich beispielsweise wie heuer das gros des kulturbetriebs zusammen, um gegen rechtsextremismus und rechtspopulismus aufzutreten, wirkt das nach der medialen lancierung bald wie eine interessenvertretung oder werbeplattform, bei der der „widerstand unter glitzernde rettungsdecken“ (2) gekrochen ist. eingekuschelt in den herdenschutz erklärten sich kulturschaffende im gefolge einer in berlin begründeten plattform zu den „vielen in der republik österreich“ (3), die sich „für vielfalt und freiheit der kunst“ aussprechen – und zwar zuerst exklusiv die zur unterzeichnung geladenen organisationen und personen, bevor man das netzwerk bei einer pressekonferenz vorstellte.

widerstand wird über eine abgemilderte form von anstand als etikett rekuperiert: „widerstand? gemeinsame kulturinitiative für ein mindestmaß an anstand!“ (4) welches label es sein mag, es wirft fragen auf: wie organisiert und repräsentiert sich eine im kulturbetrieb versammelte zivilgesellschaft mit dem anspruch, eine „vernetzung im sinne einer solidarisierung“ zu bieten? ist widerstand ein deklarativer akt in listenform? soll er nach allen regeln der kunst verpackt werden, um wirksam zu werden? und reicht es, sich gegen politische verhältnisse zu stellen, wenn die bedingungen des eigenen feldes nicht mitreflektiert werden?

während in autoritären systemen namenslisten, auf die menschen gesetzt werden, die grundlage für denunzierung, bespitzelung, ausschluss, inhaftierung, ermordung bilden, sind unterschriftenlisten, auf die sich menschen selbst setzen, ein direkt-demokratisches mittel, sie ermöglichen volksbegehren, bürgerinitiativen oder petitionen, dienen aber auch außerhalb der einbringung in politischen gremien als massen-mittel des politischen statements. im gegensatz zu repressiven verzeichnissen sind sie produktive verzeichnisse, vorderhand der produktion eines bekenntnisses. sie schaffen eine positive grundlage, eine politisch strukturierte öffentlichkeit, über die statt des ausschlusses der verzeichneten deren zu(sammen)gehörigkeit formiert wird – bei zugleich implizitem ausschluss der nicht verzeichneten.

die „erklärung der vielen“ listet eine reihe von punkten auf, die allesamt unterstützenswert sind, dennoch bleibt das signal: der kulturbetrieb solidarisiert sich zuvorderst mit sich selbst unter einer durchdesignten dachmarke, will „nach außen glänzen, nach innen vernetzen“ – womit die vernetzungsarbeit betont wird, die bisweilen die inhaltliche im kulturbereich ohnehin ablöst. jene, denen dieser betrieb abgehoben erscheint, müssen sich bestätigt fühlen. die „privilegien“, die entsprechend dem slogan „solidarität statt privilegien“ durch ersterers ersetzt werden sollen (welche und wessen privilegien genau?), schimmern durch die plattform auf glanzpapier hindurch. innerhalb der kapitalistischen verwertungslogik konnte nun eine kulturinstitution aus einer unterschrift, mit der man bei geringem aufwand – zumindest solange produktive listen nicht in repressive verkehrt werden – wenig bis nichts aufs spiel setzt, zudem symbolisches kapital generieren: sätze wie „auch wir sind unter den erstunterzeichnern der vielen“ fanden eingang in ankündigungstexte für veranstaltungen und transportieren ebenjene privilegien, die man zwar bekenntnishaft abschaffen will, tatsächlich aber ein stück weiter absichert.

statt eines slogans „glänzen statt grenzen“ wäre für einen ernsthaften kampf gegen den rechtsruck eine debatte darüber vonnöten, was passiert, wenn er in seiner identifizierbaren form zurückgedrängt, rechte politik aber unter anderem label bleibt, oder warum es einander ähnlicher werdende transnationale, kosmopolitische eliten gibt, die eine sozial geschlossene gruppe bilden und andere milieus gar nicht mehr wahrnehmen (5), also geografische grenzen mühelos überschreiten, soziale aber kaum. statt sozioökonomische probleme mit den mitteln der kultur zu analysieren, werden diese als kulturelle probleme verkannt.

größtes wir auf kleinstem nenner

diese einwände sind randnotizen – für die angesichts unmittelbarer bedrohungen oft kein platz bleibt und durch die verschärfungen in der trennlogik von innen und außen, wir und die anderen eintreten. wo ein innen und ein außen benannt wird, stellt sich unweigerlich die frage, wer drinnen ist und wer draußen. politischer druck befördert eine zunehmende innen/außen-polarisierung und verdrängt differenziertere positionen, die sich dieser identitätslogik zu entziehen suchen. dann geht es um die findung des einfachstmöglichen wir, um die verteidigung des kleinsten gemeinsamen nenners. etwa wenn der druck von rechts auf nicht konforme medien steigt, kritische fragen suspendiert werden. jede zeit erfordert andere mittel für die gleiche position: je stärker angriffe auf kultur und medien werden, desto schwieriger gestaltet sich eine kritik am gebaren ihrer vertreter*innen. zumal kulturorganisationen durch die ausschreibungs- und förderstruktur in einen wettbewerb zueinander gebracht werden (6), in dem sie aufgrund ihrer häufig prekären lage die regeln eines freien marktes widerstandslos adaptieren. die dann stattfindenden akte der solidarisierung lassen die analyse gesellschaftlicher widersprüche zugunsten von kultur als einrichtung weg und die chance ungenutzt, das wettbewerbsprinzip selbst infrage zu stellen.

akte der solidarisierung werden auch durch attacken auf einzelpersonen hervorgerufen. was bleibt für eine möglichkeit, als sich hinter und an die seite von medial präsenten autor*innen oder aktivist*innen zu stellen, die nicht etwa inhaltlich-argumentativ oder in bezug auf die mechanismen kritisiert werden, die eine position in diesem feld überhaupt erst ermöglichen, sondern zum beispiel frauen in bezug auf ihren körper, der als bildspender missbraucht wird. das ziel solcher populistischen und polemischen strategien, zu emotionalisieren, zu reduzieren und den diskurs zu ersticken, wird durch die als solidarisch verstandene ausschaltung der binnenkritik über umwegen schließlich dennoch erreicht.

dann bleibt alles wider. alles stand. wieder. still?


(1) ralf b. korte: handout aktion solitude, in: perspektive – hefte für zeitgenössische literatur 37 + 38 (1999), 7
(2) colette m. schmidt: „widerstand unter glitzernden rettungsdecken“, der standard, online, 27. 1. 2019
(3) https://dievielen.at
(4) https://esel.at/termin/101480/pressekonferenz-die-vielen
(5) elke buhr: lebenslügen. interview mit cornelia koppetsch über ihre studie „die gesellschaft des zorns. rechtspopulismus im globalen zeitalter“, transcript 2019. in: monopol – magazin für kunst und leben 9 (2019)
(6) lidija krienzer-radovjević: die administration des klassenkampfes. https://tatsachen.at